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?Rassismusforschung, sollte ebenso wie Gleichstellungsfragen ein Querschnittsthema werden.“

Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der HU besch?ftigt sich seit seiner Gründung unter anderem mit Grundlagenforschung zu Rassismus. Im Interview erkl?rt Direktorin Naika Foroutan, was eine Universit?t in diesem wichtigen gesellschaftlichen Bereich für sich selbst und die Gesellschaft tun kann.

Foto: Nina Pieroth
Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) sowie Leiterin des Deutschen Instituts für Migration und Integrationsforschung (DeZIM).

Welche?Rolle?schreiben?Sie?der?Humboldt-Universit?t bezogen auf das Thema Diversit?t zu?

Die Humboldt-Universit?t zu Berlin hat vor einiger Zeit einen strukturierten Prozess entwickelt, um in einer AG-Diversit?t auf breiter Ebene der Frage nachzugehen, wo die Uni strukturelle und institutionelle Defizite in der Gleichbehandlung und Repr?sentation vulnerabler Gruppen aufweist. Leider ist die Datenlage so, dass Aussagen über marginalisierte Gruppen schwer m?glich sind. Wir k?nnen zwar über Geschlechterverh?ltnisse sprechen und dank der Vertretung für Belange von Menschen mit Behinderung k?nnen wir auch darüber Aussagen treffen, in Teilen k?nnen wir auch über die soziale Schicht Aussagen treffen, aber rassistische Diskriminierung k?nnen wir nicht abbilden. Hier fehlt also eine strukturierende Herangehensweise, die das Thema Rassismus von Beginn an ins Auge fasst. Es muss auf struktureller Ebene dafür eine universit?re Institutionalisierung und Vertretung geben.

Was wünschen Sie sich von der AG Diversit?t? Oder aus der Mitte der Universit?t?

Die AG müsste deutlich sichtbarer sein und st?rker institutionell unterstützt werden. In vielen angels?chsischen Universit?ten gibt es EDI- Abteilungen für Equity, Diversity und Inclusion. Dort wird auf einer viel breiteren Basis auf Gleichheit, Repr?sentation und Sichtbarkeit aller sozialer Gruppen – besonders jener, die durch jahrhundertelange Ungleichheiten strukturell und institutionell benachteiligt sind - geachtet. Ich denke, die AG-Diversit?t k?nnte sich daran orientieren. Somit würde dies bedeuten, dass es nicht nur eine Arbeitsgruppe, sondern eine in allen universit?ren Einrichtungen verankerte Abteilung, die sich mit diesen Fragestellungen auseinandersetzt.

Reicht eine AG? Was muss noch passieren, damit Diversit?t an der HU ins Leben kommt?

Es k?nnte von Seiten der Universit?t ein aktiver Community-Outreach und eine st?rkere Kooperation mit der Stadtgesellschaft angestrebt werden. Es gibt rassismuskritische NGOs in der Stadt, wie Each One Teach One (EOTO), die sich gemeinsam mit anderen Organisationen für die Interessen Schwarzer, Afrikanischer und Afrodiasporischer Menschen in Deutschland und Europa einsetzen, oder auch Korientation e.V., ein Netzwerk für Asiatisch Deutsche Perspektiven, mit dem Ziel, vielf?ltige Lebenswirklichkeiten in Deutschland bewusst und sichtbar zu machen und damit Rassismus entgegen zu wirken oder auch die Junge Islam Konferenz (JIK oder das Netzewrk Jung, Muslimisch Aktiv (JUMA), die alle aktiv für Gleichstellungsfragen und Wissensaufbau über besonders rassifizierte Communities eintreten. Mit diesen jungen Akteur*innen der Stadtgesellschaft, die Zugang zu Studierenden haben, k?nnten Kolleg*innen enger kooperieren, wenn es um Antirassismussensibiliserung aber auch Datenerhebung, Item-Konstruktionen oder aber auch Inputs für die in der Lehre zu verwendende Literatur geht. Aber auch mit Bundesbeh?rden wie der Antidiskriminierungsbeh?rde des Bundes k?nnte eine Zusammenarbeit intensiviert werden, um z.B. mehr über die M?glichkeiten der Meldung von Rassismus und Diskriminierung zu erfahren.

Wie ist es mit dem Bereich der Forschung an der HU?

Rassismusforschung sollte an der Humboldt-Universit?t ebenso ein st?rkerer Schwerpunkt sein oder im besten Falle sogar ein Lehrstuhl dafür geschaffen werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass wir das in Deutschland noch nicht haben – in vielen europ?ischen L?ndern gibt es bereits eine etablierte Rassismusforschung an den Universit?ten. Die HU k?nnte hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Somit sollte die Rassismusforschung endlich auf akademischer Ebene institutionalisiert werden. Erst eine Erforschung des rassistischen Wissens und Praxen erm?glicht eine Auseinandersetzung auf institutioneller Ebene – im n?chsten Schritt folgt dann die Umsetzung in der Praxis. Hier reicht eine AG nicht aus, sondern es müssen institutionalisierte Schutzmechanismen entstehen, die auch die Frage nach der Institutionalisierung von Wissen und Praxen reflektiert, die deutlich weiterreichen als ein Diversit?tskonzept.

Wie k?nnen PoC (People of Colour), die an der HU arbeiten oder hier studieren, unterstützt werden, damit das Wort "Gleichberechtigung an der HU" Realit?t und nicht nur Wunschdenken ist?

Ich denke es w?re gut, wenn es hier Vertretungen g?be, die diese Frage direkt mit den Betroffenen Studierenden und Mitarbeitenden diskutieren und evaluieren k?nnten, um dann neue Strukturen einzuplanen, an denen die Beteiligungsstrategien von Anfang an durchl?ssiger und offener sind. Es sind oft subtile Strukturen und Praxen, die PoC deutlich wahrnehmen, aber die sichtbar gemacht werden müssen. Eine anti-rassistische Strategie erfordert demnach die Einbeziehung von PoC in Entscheidungsprozesse auf allen universit?ren Ebenen.

Inwiefern sind Menschen mit Migrationsbiografien im Wissenschaftsbetrieb Diskriminierung ausgesetzt?

Um das sagen zu k?nnen, müssten wir erst mal in die Lage versetzt werden, hier empirische Befunde zu sammeln. Vielleicht w?re das ein erster Schritt, den die Universit?t gehen k?nnte? Die Diskriminierung beginnt aber schon weit vor dem Eintritt in die 三亿体育·(中国)官方网站. Schon in der Schule werden Kinder mit einem türkischen Namen systematisch benachteiligt, dadurch dass die Lehrkr?fte weniger von ihnen erwarten. Das zeigt zum Beispiel eine Studie, die unser Kollege Georg Lorenz vor einigen Jahren am BIM durchgeführt hat.

Wie kann das eigentlich in einer Community wie der Wissenschaft sein, die von Unterschiedlichkeit und m?glichst breiten Erfahrungs- und Herkunftshintergründen lebt?

Institutioneller Rassismus durchzieht die Gesellschaft als Ganzes und macht vor den Toren von Universit?ten nicht halt. Im Kontext der Universit?t kommen noch weitere Macht- und Hierarchisierungsmechanismen hinzu, die ihrer eigenen Logik folgen. Auf der einen Seite lebt sie von Internationalisierung und einer kollektiven Identit?t, die für sich selbst einen hohen Grad der Selbstreflektion beansprucht. Auf der anderen Seite muss sich auch die Universit?t die Frage erlauben, wie sie mit Fragen von Diskriminierung und Rassismus in den eigenen Reihen umgeht. Da man sich selbst zu den Guten und Reflektierten h?lt, weist man oft das Thema Rassismus weit von sich. Zu wenig wird reflektiert, dass rassistisch strukturierte Gesellschaften bereits früh den Pfad für institutionelle Ungleichheiten legen und auch jene, die sich selbst niemals rassistisch ?u?ern würden, von diesen Ungleichheiten profitieren. Hier fehlt aber wie bereits erw?hnt eine quantitative Basis, um auch durch Daten die theoretischen Befunde in das Bewusstsein von Kolleg*innen und Entscheider*innen verankern zu k?nnen.

Wie werden Sie am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung mit der Problematik weiter umgehen?

Das BIM betreibt seit seiner Gründung Grundlagenforschung zu Rassismus gegen BPoC’s, antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus. Die Black Lives Matter-Bewegung führt ein weiteres Mal vor Augen, dass wir uns auch weiterhin für die Vermittlung unsere Ergebnisse, um anschlussf?hige und ?ffentlichkeitswirksame Formate, die ein breites Publikum erreichen, bemühen müssen. Da der Kontext von Black Lives Matter in Deutschland migrationshistorisch ein anderer ist, als jener in den USA, bemühen wir uns im Besonderen darum, die Forschung auf progressive zivilgesellschaftliche Bewegungsgeschichte und Bewegungsgegenwart zu richten, die die selbstbestimmte und selbstorganisierte Interessenvertretung von migrantischen und marginalisierten Gruppen in den Vordergrund stellt. Darüber hinaus werden wir die ohnehin schon umfangreiche Forschung zu struktureller Diskriminierung und strukturellem Rassismus vertiefen. Im Rahmen der Berlin University Alliance haben wir au?erdem gemeinsam mit der FU ein Projekt eingeworben, das sich mit anti-asiatischem Rassismus in Zeiten von Corona auseinandersetzt. Wir haben uns am BIM auch mit Quotierungs- und Repr?sentationsfragen forschend auseinandergesetzt und dazu mit der IG-Metall zusammengearbeitet. Auch für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben wir Daten erhoben und Empfehlungen geschrieben. Darüber hinaus haben wir? zu Bildungsungleichheit oder Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt haben wir am BIM einschl?gig publiziert. Insofern sind wir seit Jahren im 三亿体育·(中国)官方网站feld Rassismus, soziale Ungleichheit, Diskriminierung? breit aufgestellt? und werden hier natürlich auch die neuen sozialen Bewegungen und die Diskurse um Rassismus weiterverfolgen.

Was bedeuten die Forderungen und Botschaften aus Black Lives Matter für eine Bildungseinrichtung wie die HU, zum Beispiel in Bezug auf Teilhabe an Karrierepfaden oder Bildungschancen?

Black Lives Matter fordert vor allem eine aktive Reflektion der eigenen Position und ein ?berdenken der damit einhergehenden, etablierten Strukturen. Für eine Universit?t der Gr??e und Wichtigkeit der Humboldt-Universit?t wird es unabdingbar sein, Weiterbildungsm?glichkeiten, Sensibilisierungsworkshops und weitere Angebote für das Personal sowohl in der Lehre als auch in der Verwaltung anzubieten, die genau diese verfestigten Denkmuster aufdecken. Darüber hinaus müssen Ma?nahmen ergriffen werden, die beim Hochschulzugang ansetzen. Hier müssen bereits existierende Instrumente zur Antidiskriminierung auf ihre Wirksamkeit überprüft und mit Expert*innen auch aus betroffenen Gruppen angepasst und ver?ndert werden. Au?erdem bedarf es auch in den Lehrpl?nen einer grundlegenden Reflektion, die sicher stellt, dass rassismuskritische Inhalte nicht lediglich in sozial- und geisteswissenschaftlichen Studieng?ngen behandelt werden, sondern besonders in der Lehramtsstudieng?ngen, ganz gleich welchen Faches, von Relevanz sind. Rassismusforschung, sollte ebenso wie Gleichstellungsfragen um Gender ein Querschnittsthema werden.
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Interview: Hans-Christoph Keller

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