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?Eine Brücke des interkulturellen Dialogs“

Eva-Maria Auch ist Professorin für die Geschichte Aserbaidschans an der Humboldt-Universit?t. Seit der Gründung des Lehrstuhls gibt es Kritik. Im Interview erkl?rt sie, was ihr Forschungsthema ist und warum Wissenschaft und Kultur wichtig in Krisenregionen sind.
Professor Auch sitzt auf einem Stuhl im Freien

Prof. Dr. Auch, Foto: privat

Gab es bei der Ausschreibung der Stiftungsprofessur an der HU Bedingungen, die von aserbaidschanischer Seite an die Besetzung geknüpft wurden?

In den Prozess der Vorverhandlungen war ich nicht involviert. Soweit ich wei?, gab es aber keinerlei Vorgaben. Ich habe mich seinerzeit auf die ?ffentliche Ausschreibung als apl. Professorin der Universit?t Bonn beworben und setzte mich im Berufungsverfahren vor einer Kommission der HU durch. Aus sp?teren Gespr?chen wei? ich, dass von aserbaidschanischer Seite eine Verstetigung des Lehr- und Forschungsschwerpunktes ?Geschichte Aserbaidschans“ erwartet wurde, so wie sie für Georgien- und Armenienstudien in Deutschland seit langem besteht.?

?ber welches Jahres-Budget reden wir bei der F?rderung durch Aserbaidschan?

Die H?he der F?rdermittel betrug bis 2015 im Durchschnitt ca. 100.000 Euro pro Jahr, bis 2020 etwa 150.000 Euro j?hrlich, da die Sprachausbildung zus?tzlich finanziert werden musste.

Welche Institution zahlt diese F?rdermittel?

Die Zahlung erfolgt von der Aserbaidschanischen Internationalen Entwicklungsagentur (AIDA), die 2011 vom Au?enministerium der Republik Aserbaidschan gegründet wurde,??über die aserbaidschanische Botschaft an die Drittmittelverwaltung der HU. AIDA ist für die Bereitstellung internationaler humanit?rer Hilfe verantwortlich und unterstützt durch ihre Programme auch Wissenschafts- und Kulturprogramme im Ausland.

Wie viele Besch?ftigte gibt es und wie werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgew?hlt?

Die Stiftungsgastprofessur wurde, in Anlehnung an andere in- und ausl?ndische Stiftungsprofessuren in Deutschland, nach deutschem Recht und ohne Beteiligung der Stifter besetzt. Auch alle weiteren Personalentscheidungen wurden nach ?ffentlicher Ausschreibung und durch gemeinsame Entscheidung von Personalrat und studentischer Vertretung des Instituts für Geschichtswissenschaften getroffen. Kurzzeitig befristet besch?ftigt waren drei wissenschaftliche Mitarbeiter mit 50 Prozent, darunter der Verantwortliche für die Aserbaidschanisch-Sprachkurse, Herr Dr. R.M., übrigens ehemaliger Chefredakteur der damaligen Oppositionszeitung Yeni Musavat. In der Regel waren zwei Studentische Hilfskr?fte mit 40 Stunden und eine Sekret?rin mit einer halben Stelle am Lehrstuhl t?tig. Aserbaidschanische Doktoranden waren zu keinem Zeitpunkt Besch?ftigte der HU.??

Worin besteht die Unterstützung der HU?

Die HU stellt dem Stiftungslehrstuhl R?ume zur Verfügung und finanziert die materielle Grundausstattung sowie 20 Prozent der Sekretariatsstelle.

Was waren die Forschungsschwerpunkte Ihrer Arbeit auf der Stiftungsprofessur in den vergangenen 10 Jahren?

Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf den Transformationsprozessen in Südkaukasien ab dem 18. Jahrhundert. Mich interessieren Wissens-, Ideen-, Institutionentransfer,?
transnational agierende Diasporagruppen und imperiale bzw. sowjetische Funktionseliten.?
Zugleich habe ich zur Geschichte der Kaukasusdeutschen geforscht und publiziert, so etwa im Projekt ?Entgrenzung“ mit dem Kulturforum ?stliches Europa und der Stiftung Preu?ischer Kulturbesitz. Auch ein Projekt zu 20 Jahren deutscher Medienberichterstattung über den Karabach-Konflikt habe ich geleitet. Insgesamt entstanden 9 Monographien und Sammelb?nde, drei weitere sind noch in redaktioneller Bearbeitung, 17 Beitr?ge erschienen in Sammelb?nden und Zeitschriften, zwei Internetplattformen wurden aufgebaut.

Zugleich m?chte ich ausdrücklich auf die über zehnj?hrige Arbeit im Kontext der Ostpartnerschaft verweisen. Fast j?hrlich wurden mit Unterstützung des DAAD Dialogforen mit Wissenschaftlern und Friedensaktivisten aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien organisiert. Nur vier Beispiele: 2010 ?Die Rolle des Bildungssektors und zivilgesellschaftlicher Akteure bei Pr?vention und Mediation von Konflikten in Südkaukasien“,??2012 Probleme bei Konfliktl?sung und Konfliktpr?vention im Kaukasus: Vernetzung junger Historiker in südkaukasischen L?ndern oder 2014: Dekonstruktion national(istisch)er Geschichtsmythen, 2019: "Fremde“ Konflikte mit "kaukasischen“ Augen: Was k?nnen Kaukasier aus internationalen Konflikten und Konfliktl?sungen lernen?
Für dieses Jahr geplant ist ein???Frauenforum Karabach“.

Gibt es inhaltliche Vorgaben für 三亿体育·(中国)官方网站, Kurse und Lehrmaterialien? Wenn ja, von wem werden sie auferlegt?

Zu Beginn gab es zwar Fragen aserbaidschanischer Kolleginnen und Kollegen, ob und welche aserbaidschanischen Geschichtsbücher ich benutze, aber es wurde schnell akzeptiert, dass wir in Deutschland v?llig andere Lehr- und Forschungsmethoden haben. Es gab und gibt keine inhaltlichen Vorgaben. Grunds?tzlich werden meine Lehrveranstaltungen – wie auch die meiner Kolleginnen und Kollegen - so konzipiert, dass sie allgemeine Forschungsfragen raumspezifisch behandeln und die Geschichte Aserbaidschans in den Kontext der globalen, russischen bzw. sowjetischen und nah?stlichen Geschichte stellen.

Die Vorwürfe, dass die Humboldt-Universit?t PR für einen autokratisch regierten Unrechtsstaat macht, gibt es seit Bestehen der Stiftungsgastprofessur Geschichte Aserbaidschans. Würden Sie dem Vorwurf zustimmen, Aserbaidschan übe über den Stiftungsgastlehrstuhl Einfluss aus?

Im Vertrag von 2010 und 2015 wird neben Lehre und Forschung auch ?ffentlichkeitsarbeit festgeschrieben. So startete die Professur 2010 mit einer Kultur- und Wissenschaftswoche, die der damalige Pr?sident der HU, Jan-Hendrik Olbertz, gemeinsam mit Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung, er?ffnete.??Wir vermitteln, ?hnlich??der Arbeit der Goethe-Institute, des Institut Fran?ais oder des British Council einem breiteren Publikum Einblicke in die Geschichte und Kultur des Landes,??natürlich in erheblich bescheidenerem Ma?e als die erw?hnten Institutionen.?

Einen wichtigen Schwerpunkt bildet dabei die Geschichte der deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen. Diese stellt zugleich einen Forschungsschwerpunkt dar.?Wenn man also unter Public Relation jedwede Art Kommunikation gegenüber der ?ffentlichkeit versteht oder den organisierten Austausch von Meinungen, dann kann man wie bei jeder Veranstaltung von ?Einflussnahme“ sprechen.?

Was wir aber nicht tun, ist PR im Sinne politischer Propaganda. Ich verstehe den Lehrstuhl als Brücke des interkulturellen Dialogs, die reflektiert die Geschichte und Kultur Aserbaidschans in ihren regionalen Verflechtungen vermittelt. Aber auch als Ort der Begegnung, um Austausch über die regionale Vergangenheit und Probleme der Gegenwart in Kaukasien zu f?rdern. Da ist kein Platz für politische Instrumentalisierung von Geschichte und nationalistische Geschichtsnarrative – auch wenn sie leider in allen postsowjetischen Staaten immer noch Hochkonjunktur haben.

Welchen Einfluss hat oder nimmt die Botschaft Aserbaidschans?

Bisher gab es keine Versuche der ideologischen Einflussnahme auf die Forschung, auf Lehrveranstaltungen, Sprachkurse oder ?ffentliche 三亿体育·(中国)官方网站. Was kritische Anmerkungen seitens der Botschaft nicht ausschlie?t zu Einzelveranstaltungen oder Meinungs?u?erungen. Dies betraf etwa unsere Einladungen??von oppositionell eingestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Herrn Prof. C. Hasanli, der als Gegenkandidat zu den Pr?sidentschaftswahlen antrat.?

Würde ?ffentliche Kritik an Baku nicht ein Ende der Kooperation bedeuten - gibt es also ein Element der Selbstzensur, dem Sie als Professorin unterliegen, obwohl Ihnen der Kooperationsvertrag und die HU volle Freiheit von Forschung und Lehre garantieren?

Als Lehrstuhlinhaberin bin ich frei in der Wahl meiner Schwerpunkte in Lehre und Forschung. Im Unterschied zu Politikern oder Journalisten ist es nicht meine Aufgabe, Systeme zu ?kritisieren“. Sondern ich nehme die historischen Entwicklungen in den Blick, die zu zeitgen?ssischen Befunden geführt haben. Diese Langzeitperspektive, die jahrzehntelangen Erfahrungen in der Region und sicher auch der vergleichende Blick auf Gro?r?ume wie Gesamtkaukasien, Zentralasien, Südosteuropa und den Nahen Osten verschaffen mir vielleicht auch etwas Besonnenheit bei der Beurteilung von aktuellen Entwicklungen, ohne dabei kritiklos zu sein. Ich denke, dass zur interkulturellen Kompetenz eines Wissenschaftlers auch geh?rt, Kritik dort zu ?u?ern, wo es Sinn ergibt,??und diese nicht marktschreierisch vor sich herzutragen.?

Wie gro? sch?tzen Sie die Gefahr ein, geschickt von verschiedenen Seiten instrumentalisiert zu werden?

In dieser Gefahr befindet man sich wohl immer, wenn man zeitgeschichtliche Fragen behandelt und vor allem, wenn in der Untersuchungsregion Konflikte ausgetragen werden. Mit den jüngsten Angriffen wird aber nach über 40 Berufsjahren als Wissenschaftlerin und Hochschullehrerin nicht nur meine Arbeit diskreditiert, sondern mit diesen Kampagnen um den Stiftungslehrstuhl soll die Fortführung der wissenschaftlichen Besch?ftigung mit Aserbaidschan verhindert??und die Ausbildung wissenschaftlichen Nachwuchses beendet werden. Diese Art ?Instrumentalisierung“ beunruhigt mich.

Sollte die Stiftungsprofessur über den Herbst hinaus weitergeführt werden - oder ist ein m?gliches Auslaufen die bessere L?sung?

Gerade weil es momentan diesen massiven Druck gibt, sollte der Lehrstuhl fortgeführt werden. Wenn Deutschland alle Wissenschafts- und Kulturkontakte zu autorit?r geführten L?ndern abbrechen würde, w?re der Entwicklung der dortigen Zivilgesellschaften kaum geholfen. Mir best?tigen??Studierende immer wieder, dass viel zu wenig über die Geschichte Kaukasiens und damit auch Aserbaidschans bekannt ist. Expertise wird auch zukünftig gefragt sein, und sie muss herangebildet werden!?

Anzustreben w?re jedoch die Etablierung eines Kaukasusschwerpunktes an der HU, der nationalgeschichtliche Grenzen bewusst überschreitet und zum Beispiel mit Hilfe des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft finanziert wird.??Bis dahin w?re eine Verl?ngerung der Stiftungsprofessur eine Zwischenl?sung, um aserbaidschanische Geschichte als Fach an die Seite georgischer und armenischer Geschichte zu stellen. So k?nnte meine entsprechende Kooperation mit den Universit?ten Jena und Halle-Wittenberg fortgesetzt und intensiviert werden.

Erkennen Sie eigene Fehler - und wie erkl?ren Sie sich die aktuelle massive Kritik?

Konkreter Anlass jüngster Kritik war meine Teilnahme an einem internationalen Expertenforum zur Zukunft Karabachs, zu welchem unsere ERASMUS-Partneruniversit?t ADA nach Baku eingeladen hatte. Dabei besuchten wir auch die 1992 armenisch besetzte und durch die Kampfhandlungen total zerst?rte Stadt Agdam. Wie alle Teilnehmer war ich emotional sehr bewegt. Anstatt auf die Fragen von Journalisten zu antworten, h?tte ich vielleicht schweigen sollen. Eine Kontrolle darüber, was und wie man in aserbaidschanischen und deutschen Medien zitiert und vielleicht auch übersetzt wird, ist unm?glich. Das h?tte ich wissen müssen.?

Im Kontext der einseitigen antiaserbaidschanischen Berichterstattung in Deutschland stehe ich jedoch zu der Aussage, dass man alle Seiten im Konflikt anh?ren sollte. Es war ja Hauptanliegen meiner Reise, gerade die aserbaidschanische Bereitschaft zu Dialog und Neubewertung von Geschichte in der Zukunft auszuloten.?

Ein Besuch des sogenannten ?Troph?en-Museums“ durch alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer stand nicht im ursprünglichen Programm. Dort entstand im Eingangsbereich ein Foto, welches mich als ?Befürworterin“ einer Ausstellung mit Kriegsbeute abbildet. Meine Kritik zu solcher Art von ?Museum“, welches Armenier in menschenverachtender Pose darstellt, wurde in den aserbaidschanischen und deutschen Medien nicht wiedergegeben.?

Was kann man daraus ablesen??

Ungeachtet dieser Anl?sse, die verzerrt und manipulativ vorgetragen werden, sehe ich die Verflechtung verschiedener ?Aserbaidschan-Skandale“ mit dem Lehrstuhl als ein gezieltes Konstrukt gegen jegliche Wissensvermittlung über Aserbaidschan in Deutschland. Neben den klar zu verurteilenden Korruptionsaff?ren von Politikern ist eine Verunglimpfung meiner Person und meiner T?tigkeit Teil einer Kampagne gegen Aserbaidschan, die im deutschen Wahlkampf wohlfeil ist. Sie berücksichtigt nicht, dass es auch in Aserbaidschan eine junge, kritische Generation gibt, die die Werte Europas lebt, sich derzeit dennoch an die herrschenden Realit?ten anpassen muss, wenn sie nicht mittellos auf der Stra?e stehen will. Es interessiert die Kampagnenführer auch nicht, dass viele der autorit?r denkenden Akteure in Baku aus ihren ?mtern ausgeschieden sind, und es seit zwei Jahren Reformen – auch mit Hilfe Deutschlands, der EU und der Vereinten Nationen gibt.

Für mich stellt sich da schon die Frage, wer Interesse daran hat, dass die deutsch/europ?isch-aserbaidschanischen Beziehungen massiv gest?rt und eine m?gliche deutsche Mediatorenrolle bei der Anbahnung eines armenisch-aserbaidschanischen Dialogs verhindert werden sollen.

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Die Fragen stellten Hans-Christoph?Keller und Frank Aischmann