Faszinosum Mehrsprachigkeit
Heike Wiese im Kreuzberger Kiez, wo sie nicht nur forscht,
sondern auch lebt. Foto: Matthias Heyde
?Ich bin S-Bahn“, wer hat diesen oder ?hnliche S?tze ohne Pr?position und Artikel nicht schon mal in der ?ffentlichkeit geh?rt oder vielleicht schon mal selbst ausgesprochen? Das ist Kiezdeutsch, und die Wissenschaftlerin, die diesen neuen deutschen Dialekt breiter bekannt gemacht hat, ist Heike Wiese. Bis vor Kurzem noch Professorin an der Universit?t Potsdam, ist seit April 2019 am Institut für deutsche Sprache und Linguistik der Humboldt-Universit?t.
?Die Professur ist thematisch für mich einfach perfekt, au?erdem freue ich mich auf die vielf?ltigen Kooperationsm?glichkeiten innerhalb des Instituts und der HU“, sagt Heike Wiese, die jetzt Professorin für ?Sprachwissenschaft des Deutschen: Spracherwerb und Sprachentwicklung in multilingualen Kontexten“ ist. Ihre Forschungsschwerpunkte drehen sich um gegenw?rtige Sprache in mehrsprachigen Kontexten, mit einem Schwerpunkt auf dem Deutschen.
Akzeptanz von Kiezdeutsch
Mit ihrer Forschung zum Kiezdeutschen hat sie auch dazu beigetragen, dass diese Umgangssprache, die von Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft in multiethnischen st?dtischen Wohngebieten gesprochen wird, von der ?ffentlichkeit heute um einiges differenzierter und weniger abwertend betrachtet wird. Vor dem Kiezdeutsch sprach man von ?Kanak Sprak“, das als gebrochenes, falsches Deutsch ohne Regeln und Grammatik empfunden und vom Deutschen als minderwertig abgegrenzt wurde. ?Bei solchen Bewertungen geht es aber gar nicht um die Sprache selbst, sondern vielmehr um die Frage, wem die Zugeh?rigkeit zur deutschen Sprache zugebilligt wird“, erkl?rt die Forscherin, die auch Sprachideologien und Einstellungen in ihrem Forschungsbereich abdeckt. Menschen, die schon in dritter Generation in Deutschland leben und in einer mehrsprachigen Familie aufwachsen, werden als Sprecherinnen und Sprecher eines deutschen Dialekts nur langsam akzeptiert.
Jugendliche sprechen anders mit Gleichaltrigen als mit Erwachsenen, w?hlen je nach Situation und Gegenüber aus, ob sie sich der Umgangs- oder der Standardsprache bedienen. Ob ein Kind die deutsche Standardsprache beherrscht, h?ngt nicht von der Vielsprachigkeit ab, sondern vom sozialen Status: ?Standardsprache orientiert sich an der Mittelschicht, Kinder aus der Mittel- und Oberschicht sind deshalb in Schule begünstigt, unabh?ngig davon, ob sie nun deutscher oder türkischer Herkunft sind.“ Wie kann man insbesondere neuzugewanderte Schülerinnen und Schüler f?rdern? ?Durch systematische Angebote zur Schulsprache, Unterstützung ihrer gesamten sprachlichen Ressourcen und auch, indem man sie in der Schule viel mehr sprechen l?sst. Kinder müssen dort viel zu viel ruhig sitzen und still sein, wie sollen sie sich da sprachlich entwickeln?“
Forschung zeigt Vielfalt und Produktivit?t von Mehrsprachigkeit
Zurzeit besch?ftigt sich Heike Wiese, die an der Humboldt-Universit?t promoviert und habilitiert wurde, auch mit Heritage-Sprachen, das hei?t Sprachen, die zum kulturellen Erbe der Familie geh?ren. Sie leitet eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte, breit angelegte Forschergruppe, die in fünf L?ndern – der Türkei, Russland, Griechenland, Deutschland und den USA – unter anderem folgende Fragen untersucht: Was passiert in Sprachgemeinschaften, in denen Sprecherinnen und Sprecher neben der Mehrheitssprache, also beispielsweise dem Deutschen, noch eine Heritage-Sprache sprechen? Wie entwickeln sich Heritage- und Mehrheitssprache? Welche neuen M?glichkeiten entstehen dann beispielsweise im umgangssprachlichen Bereich?
Hat man lange Zeit in der ?ffentlichen Diskussion in Fernsehen oder Politik bei Mehrsprachigkeit von der ?doppelten Halbsprachigkeit“ gesprochen, die unterstellt, dass eine Sprecherin oder Sprecher weder die Muttersprache noch die Zweitsprache ?richtig“ sprechen k?nnen, hat die Forschung mittlerweile auch mit diesem Mythos aufger?umt und zeigt die Vielfalt und die Produktivit?t von Mehrsprachigkeit. ?Vieles, das man vorher mit türkisch-deutschen Sprecherinnen und Sprechern verbunden hat, finden wir auch bei einsprachig Deutschen, beispielsweise Wortstellungen wie ?Dann ich gehe nach Hause‘. Um das zu bemerken, muss man sich aber ansehen, wie die Leute tats?chlich sprechen, auch im umgangssprachlichen Bereich.“
Den vielf?ltigen Forschungsprojekten von Heike Wiese – sie untersucht auch die deutschsprachige Gemeinschaft Namibias und den Sprachgebrauch auf dem Berliner Maybachufermarkt – wird man aber nicht nur in der Universit?t begegnen, sondern auch im Humboldt Forum. Hier werden neben den historischen Dialekten aus dem Lautarchiv der HU auch aktuelle Dialekte zu h?ren und zu sehen sein. Kooperieren m?chte die Forscherin unter anderem mit dem Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft, dem Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung und dem Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung.
Autorin: Ljiljana Nikolic
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Meldung: Eine Wiederentdeckung