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Lernen nach einem Durchlauf

Wie die Reihenfolge von Ereignissen gelernt werden kann

Wenn wir von der Küche durch den Flur ins Wohnzimmer gehen, dauert das ein paar Sekunden. Dass wir uns anschlie?end daran erinnern, den Weg zurückgelegt zu haben, ist gar nicht so selbstverst?ndlich – denn um sich Ereignisse einzupr?gen, müssen sie im Gehirn innerhalb von Millisekunden wieder abgespult werden. Bisherige Untersuchungen aus verschiedenen Laboratorien haben gezeigt, dass das Gehirn hierzu einen Mechanismus namens "Phasenverschiebung" (phase precession) nutzen k?nnte. Diese Phasenverschiebung haben nun eine Gruppe von Forschern um den Neurowissenschaftler Richard Kempter, Humboldt-Universit?t zu Berlin und Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Labor von Gy?rgy Buzsáki an der Rutgers University in Newark, New Jersey, USA, n?her untersucht. Dazu haben sie Hirnaktivit?t von Ratten analysiert, die einen bestimmten Weg zwischen zwei Futterstellen zurücklegten – also quasi von der Küche durch den Flur in eine andere Küche. Im Gegensatz zu früheren Untersuchungen, in denen Daten aus verschiedenen Durchl?ufen zusammengefasst wurden, haben die Wissenschaftler nun jeden Durchlauf separat betrachtet. "Das Gehirn muss in der Lage sein, 三亿体育·(中国)官方网站 auch w?hrend eines einzigen Durchlaufs zu verarbeiten und zu speichern. Mit unserem Ansatz konnten wir zeigen, dass die Phasenverschiebung schon bei einzelnen Durchl?ufen die Komprimierung und Speicherung von Abl?ufen im Gehirn erkl?ren kann und wesentlich pr?ziser arbeitet, als bisher angenommen", erkl?rt Kempter.

Zur Orientierung dienen bei Mensch und Tier so genannte Ortszellen im Gehirn. Sie sind immer dann aktiv, wenn man sich in einem bestimmten Bereich des Raums aufh?lt. Bereiche verschiedener Ortszellen k?nnen sich dabei durchaus überlappen. Durchquert eine Ratte im Versuch die Ortsfelder A und B, sind beispielsweise erst die Ortszelle A, dann die Ortszellen A und B und schlie?lich die Ortszelle B aktiv. Diese Abfolge spielt sich in einem Zeitrahmen von Sekunden ab. Für Nervenzellen sind ein paar Sekunden jedoch nahezu eine Ewigkeit, da viele zellul?re Prozesse auf viel schnelleren Zeitskalen ablaufen. Um Verbindungen zwischen Zellen zu verst?rken, müssen beide Zellen innerhalb von Millisekunden aktiv sein. Wenn eine Zelle A wenige Millisekunden vor einer Zelle B einen Impuls aussendet – man sagt, sie feuert – kann sich das Gehirn die Reihenfolge AB einpr?gen.

Eine solche Komprimierung der Ereignisse von Sekunden auf Millisekunden wird im Gehirn durch eine Phasenverschiebung codiert. Ortszellen folgen einem bestimmten Rhythmus im Gehirn und feuern im Takt. Aber nicht genau – w?hrend die Ratte den Bereich von Ortszelle A durchquert, verschiebt sich die Phase der Ortszelle A gegenüber dem allgemeinen Rhythmus nach vorne. Wenn die Ratte von A über AB nach B l?uft, feuern die A-Zellen innerhalb eines Zyklus kurz vor den B-Zellen. So kann das Ereignis AB gelernt werden.

In der Arbeitsgruppe von Richard Kempter hat Robert Schmidt nun die Phasenverschiebung genauer untersucht und dabei Versuchsdurchl?ufe einzeln betrachtet. Wie die Wissenschaftler zeigten, ist der Zusammenhang zwischen Phasenverschiebung und zurückgelegter Strecke in einzelnen Durchl?ufen sehr pr?zise: die Phasenverschiebung gibt sehr genau an, wo sich die Ratte im Ortsfeld befindet. Der Zusammenhang zwischen Phasenverschiebung und Strecke ?ndert sich jedoch betr?chtlich von Durchlauf zu Durchlauf. Wenn man also mehrere Versuchsdurchl?ufe gemeinsam betrachtet, ist die Phasenverschiebung weniger genau. Auch wenn der Weg für die Ratte immer der gleiche ist, ist die Aktivit?t der Nervenzellen bei jedem Durchlauf unterschiedlich, sagt Schmidt. Durch ihren Ansatz, die Daten aus einzelnen Durchl?ufen getrennt zu analysieren, konnten die Wissenschaftler also zeigen, dass der Phasenverschiebungs-Code noch besser funktioniert, als bisher angenommen. Darüber hinaus stellten die Forscher fest, dass eine Phasenverschiebung oft nur einen halben Zyklus betr?gt. Diese Beobachtung erkl?rt, warum die Reihenfolge der Ereignisse beim komprimierten Abspulen im Gehirn erhalten bleibt und die A-Zelle immer kurz vor der B-Zelle feuert. Bei einer gr??eren Phasenverschiebung würden die Ereignisse aus zwei aufeinander folgenden Zyklen durcheinander geraten.


Originalpublikation:
Robert Schmidt, Kamran Diba, Christian Leibold, Dietmar Schmitz, Gy?rgy Buzsáki, und Richard Kempter (2009). Single-Trial Phase Precession in the Hippocampus. Journal of Neuroscience, 29:13232-13241.



WEITERE INFORMATIONEN

Richard Kempter, Robert Schmidt

Humboldt-Universit?t zu Berlin
Institut für Biologie - Theoretische Biologie
Tel: 030 2093-8925 oder -8926
r.kempter@biologie.hu-berlin.de
r.schmidt@biologie.hu-berlin.de