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Zeitliche Struktur von Nervensignalen unterstützt pr?zise Navigation im Raum

Bei der r?umlichen Navigation spielt das Timing von Nervenimpulsen eine besondere Rolle. Dies konnten nun Forscher an den Bernstein Zentren der HU Berlin und der LMU München zeigen. Im Zentrum der Untersuchungen standen Gitterzellen im Gehirn von Nagetieren. Die erst vor kurzem entdeckten Nervenzellen sind aktiv, wenn das Tier bestimmte Bereiche seiner Umgebung durchquert. Diese Bereiche bilden ein Gitter mit Sechseck-Struktur. Anders als bisher betrachteten die Wissenschaftler die Nervenimpulse in einzelnen L?ufen des Versuchstieres und konnten damit nachweisen, dass das zeitliche Muster der neuronalen Entladungen vom Tier für die Steuerung seines Verhaltens verwendet werden kann.


Die neurobiologischen Grundlagen der r?umlichen Orientierungsf?higkeit des Menschen untersuchen Forscher seit langem stellvertretend an M?usen und Ratten. Vor wenigen Jahren wurden hierbei sogenannte ?Gitterzellen“ entdeckt, die dann aktiv sind, wenn sich das Tier durch bestimmte Bereiche seiner Umgebung bewegt, die zusammen ein imagin?res Gitter mit hexagonaler Symmetrie bilden . Bisher ging man meist davon aus, dass das Gehirn r?umliche Information aus dem zeitlichen Verlauf der mittleren Aktivit?t dieser Zellen berechnet, da man glaubte, dass einzelne Nervenimpulse zu ungenau seien. Wissenschaftler an den Bernstein Zentren der Humboldt-Universit?t zu Berlin und Ludwig-Maximilians-Universit?t München haben nun aber das Gegenteil gezeigt: betrachtet man die zeitliche Abfolge der Nervenimpulse von Gitterzellen, so kann man den Aufenthaltsort des Tieres doppelt so genau vorhersagen wie durch die Anzahl der Nervenimpulse. Das zeitliche Entladungsmuster ist bereits in den einzelnen L?ufen der Tiere deutlich ausgepr?gt. ?Pr?zise zeitliche Information steht also für die Steuerung von Verhalten zur Verfügung“, erkl?rt der Neurowissenschaftler und Leiter der Studie, Prof. Andreas Herz.

Seit ihrer Entdeckung im Jahr 2004 durch die Gruppe von Prof. Edvard Moser (Trondheim) ziehen Gitterzellen viele Forscher in ihren Bann. Neben der faszinierenden Eigenschaft, geometrische Bezüge des Au?enraums in ihrem mittleren Aktivit?tsmuster abzubilden, scheinen diese Zellen auch interessante zeitliche Aktivit?tsstrukturen relativ zur gro?r?umigen EEG-Schwingung im betreffenden Gehirnareal aufzuweisen: Bewegt sich das Tier auf einen der imagin?ren Gitterpunkte einer Nervenzelle zu, so ist diese Zelle zuerst gegen Ende einer EEG-Periode aktiv. Im Verlauf der Bewegung verschieben sich die Zeitpunkte der Nervenimpulse dann tendenziell zu immer früheren Phasen der EEG-Schwingung, so dass sich insgesamt eine systematische Ver?nderung zwischen der Aktivit?t der Gitterzelle und dem gro?r?umigen EEG-Rhythmus ergibt .

Dieses Ph?nomen war bislang jedoch nur als über viele Versuchsdurchl?ufe gemitteltes Resultat nachgewiesen, was Zweifel an seiner biologischen Relevanz zulie?. Die neue Untersuchung zeigt nun erstmals, dass die zeitliche Verschiebung der Nervenimpulse einer Gitterzelle schon in einzelnen Versuchsdurchl?ufen sichtbar ist – die Verschiebung ist sogar st?rker als bei den über mehrere L?ufe gemittelten Daten. Dieses Ergebnis unterstützt die Sichtweise, dass es in vielen Bereichen des Gehirns auf feine zeitliche Bezüge zwischen den Entladungen von Nervenzellen ankommt und nicht nur darauf, ob die Zellen st?rker oder weniger aktiv sind. Selbst bei identischer Entladungsrate kann eine Nervenzelle damit viele unterschiedliche Signale verschlüsseln, was ihre Kapazit?t zur Informationsverarbeitung deutlich erh?ht. Die Arbeit von Reifenstein et al. zeigt damit auch, dass die Leistungsf?higkeit des Gehirns noch gr??er ist als bisher vermutet.

Für ihre Studie werteten die Wissenschaftler die Daten früherer Arbeiten aus dem Labor von Prof. Moser neu aus. Einem modernen Trend in den Neurowissenschaften folgend, sind die Daten dieser Gruppe im Internet frei verfügbar, so dass kein einziger weiterer Tierversuch notwendig war.
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Die Bernstein Zentren Berlin und München sind Teil des Nationalen Bernstein Netzwerks Computational Neuroscience (NNCN). Das NNCN wurde vom BMBF mit dem Ziel gegründet, die Kapazit?ten im Bereich der neuen Forschungsdisziplin Computational Neuroscience zu bündeln, zu vernetzen und weiterzuentwickeln. Das Netzwerk ist benannt nach dem deutschen Physiologen Julius Bernstein (1835-1917).

Original-Publikation:
Reifenstein E T, Kempter R, Schreiber S, Stemmler M B, Herz A V M (2012): Grid Cells in Rat Entorhinal Cortex Encode Physical Space with Independent Firing Fields and Phase Precession at the Single-Trial Level. PNAS, doi: 10.1073/pnas.1109599109


ABBILDUNGEN

Abbildungen k?nnen im Internet abgerufen werden unter:
http://www.hu-berlin.de/pr/medien/aktuell/material/pm_120329_01/

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WEITERE INFORMATIONEN

Eric Reifenstein und Prof. Dr. Susanne Schreiber
Institut für Theoretische Biologie
Humboldt-Universit?t zu Berlin
und Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience Berlin
Invalidenstra?e 43
10115 Berlin
Tel.: +49 30 2093-8408
E-Mail: e.reifenstein@googlemail.com

Prof. Dr. Andreas V. M. Herz
Department Biologie II
Ludwig-Maximilians-Universit?t München
und Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience München
Grosshadernerstr. 2
82152 Planegg-Martinsried
Tel.: +49 89 2180-74801
E-Mail: herz@bio.lmu.de