Wer geh?rt zum deutschen Wir?
25 Jahre nach dem Mauerfall definiert sich Deutschland vor allem über die Wiedervereinigung. Dass der Nationalsozialismus sich tief in die nationale Identit?t eingebrannt h?tte und bis heute keine positive Identifikation mit der Nation zulasse, ist ein Mythos. Eine starke emotionale Verbundenheit und eine Aufwertung nationaler Identit?t führen dabei auch zu exkludierenden Einstellungen gegenüber der gr??ten religi?sen Minderheit – den Muslimen.
Die Bev?lkerung in Deutschland hat ein positives Selbstbild und identifiziert sich stark mit ihrem Land. Je st?rker jedoch die Identifikation, desto gr??er ist auch das Potenzial zum Ausschluss, was am Beispiel der Einstellungen gegenüber Musliminnen und Muslimen deutlich wird. Dies zeigen erste Ergebnisse einer repr?sentativen Studie mit dem Titel ?Deutschland postmigrantisch“, die an der Humboldt-Universit?t zu Berlin im Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) mit über 8200 Befragten durchgeführt und von der Stiftung Mercator gef?rdert wurde.
?Deutschland ist durch Migration demografisch vielf?ltiger geworden, und die Gesellschaft handelt ihre kollektive Identit?t neu aus. ?Postmigrantisch‘ richtet den Blick auf die Gestaltung der Gesellschaft nach erfolgter Einwanderung“, so Dr. Naika Foroutan, stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) und Leiterin der Forschungsgruppe JUNITED, die diese Studie an der Humboldt-Universit?t zu Berlin durchgeführt hat.
?Vorurteile und Stereotype verhindern gesellschaftlichen Zusammenhalt und Teilhabe. Die pauschalen und negativen Einstellungen, die die Studie gegenüber Musliminnen und Muslime festgestellt hat, bergen eine gro?e Gefahr für das gute Miteinander in Deutschland. Genau aus solchen falschen wie einfachen Bildern versuchen gerade rechtspopulistische Parteien Kapital für ihre menschenfeindlichen Ziele zu schlagen. Deshalb müssen wir alle – auch und insbesondere die Politik – den falschen Bildern, den Vorurteilen und Stereotypen entschieden entgegentreten“, so Aydan ?zo?uz, Kuratoriumsvorsitzende des BIM und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Bundeskanzleramt.
Narrationen des Deutschseins: Was bedeutet nationale Identit?t für die Bev?lkerung in Deutschland?
Patriotismus und emotionale Verbundenheit sind hoch
Eine deutliche Mehrheit (85 Prozent) der Bev?lkerung sagt: ?Ich liebe Deutschland“. Ausgangspunkt dieses positiven Selbstbildes ist die Wiedervereinigung. Sie stellt für 49 Prozent der Bev?lkerung das historische Ereignis dar, welches Deutschland heute am besten beschreibt. Ereignisse im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg sind hingegen kaum mehr pr?gend für das Selbstbild (16 Prozent), und der Holocaust wird nur von 0,5 Prozent der Befragten genannt. Das widerspricht der jahrelang zementierten Wahrnehmung, Deutschland würde sich nur in einer negativen Identit?t wahrnehmen und k?nne dadurch nicht positiv mit seiner nationalen Identit?t umgehen. Dieser positive Bezug auf nationale Identit?t ist bei Anh?ngern aller politischer Parteien zu finden, wobei die Zustimmungswerte bei W?hlern der Grünen und der LINKEN etwas geringer ausfallen.
Verbundenheit: Keine Unterschiede zwischen Deutschen mit und Deutschen ohne Migrationshintergrund
Auch bei den Deutschen mit Migrationshintergrund ist die Verbundenheit mit Deutschland hoch: 81 Prozent geben an, Deutschland zu lieben und 77 Prozent fühlen sich deutsch. Fast jedem zweiten Deutschen mit Migrationshintergrund (47 Prozent) ist es wichtig, als deutsch gesehen zu werden – genauso viel wie bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund (47 Prozent Prozent). ?Wir sehen hier deutlich, dass sich die nationalen Identit?tsbezüge wandeln und ausweiten – immer mehr Menschen nehmen für sich in Anspruch, deutsch zu sein, auch wenn ihre Namen anders klingen und ihre Vorfahren nicht immer hier lebten. Dies ist eine grundlegend neue Situation in Bezug auf die Definition nationaler Identit?t. Die Sehnsucht danach offenbart sich in vielf?ltigen positiven Bezügen. Es liegt jedoch auch eine Gefahr darin, wenn diese Bezüge mit einer Exklusion der ?Anderen‘ einhergehen, die für die Selbstdefinition konstruiert werden und sich dann in stereotypen Vorstellungen niederschlagen“, so Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz, Pr?sident der Humboldt-Universit?t zu Berlin.
Kriterien des Deutschseins offen und abwehrend zugleich
Deutschsein kann heutzutage erlernt und erworben werden, im Vergleich dazu spielen angeborene Merkmale eine geringere Rolle: Wichtig ist vor allem die F?higkeit, deutsch sprechen zu k?nnen (97 Prozent), sowie der Besitz der deutschen Staatsangeh?rigkeit (79 Prozent). Trotzdem finden immerhin 37 Prozent der Bev?lkerung weiterhin, dass deutsche Vorfahren wichtig sind, um Deutsche oder Deutscher sein zu k?nnen. Und über 40 Prozent der Bev?lkerung sind der Meinung, man müsse dafür akzentfrei deutsch sprechen. Dieses sehr enge Verst?ndnis von ?korrekter Sprache“ als nationalem Kriterium offenbart eine fehlende Anerkennung der Realit?ten einer Einwanderungsgesellschaft, in der die Dynamik der Ver?nderungen auch die Sprache vielf?ltiger werden l?sst. Die Narrationen des Deutschseins bleiben an zentralen Punkten also immer noch exklusiv. Dies zeigt sich auch deutlich daran, dass 38 Prozent der Bev?lkerung der Meinung sind, wer ein Kopftuch trage, k?nne nicht deutsch sein.
Winfried Kneip, Gesch?ftsführer der Stiftung Mercator, erkl?rt hierzu: ?Die Studie zeigt am Beispiel von Einstellungen zu Muslimen auf, dass trotz eines insgesamt positiven Integrationsklimas Menschen mit Migrationshintergrund oft nicht als selbstverst?ndlicher und gleichberechtigter Teil der Gesellschaft gesehen werden. Damit best?tigt sich die Dringlichkeit unserer Arbeit im Bereich Integration, in dem wir uns für chancengleiche Teilhabe aller in Deutschland lebender Menschen einsetzen.“
Exklusionen des Deutschseins - Muslime als Gegenüber und Gegenbild
Gleichwertigkeit und Zugeh?rigkeit werden in Frage gestellt
Exkludierende Vorstellungen in Deutschland werden am Beispiel der Stereotype gegenüber Muslimen – als der gr??ten religi?sen Minderheit – deutlich: Mehr als ein Viertel (27 Prozent) der Befragten denkt, dass Muslime aggressiver seien als sie selber, ein Drittel (30 Prozent) glaubt nicht, dass Muslime genauso bildungsorientiert seien wie ihre eigene Gruppe. Als eigene Gruppe wird auf Nachfrage auffallend oft (ca. 40 Prozent) ?wir Deutschen“, ?die deutsche Bev?lkerung“, ?die deutsche Gesellschaft“ oder ?hnliches genannt. Muslimisch und deutsch werden dabei überwiegend als Gegenkategorien wahrgenommen und Muslime aus dem ?deutschen Wir“ herausdefiniert.
Abstrakte Anerkennung hoch – aber wenn es konkret wird, dann fehlt die Bereitschaft zur Gew?hrung von Anerkennung und Partizipationsrechten
Die nicht-muslimische Bev?lkerung hat eine ambivalente Haltung zu Muslimen als sichtbareren politischen Akteuren: Eine deutliche Mehrheit (67 Prozent) findet zwar, dass es das gute Recht von Muslimen in Deutschland ist, Forderungen zu stellen und ebenso viele sagen, man sollte Muslimen mehr Anerkennung entgegenbringen. Ein Fünftel (20 Prozent) der Bev?lkerung aber ist der Meinung, wenn Muslime Forderungen stellten, dann sei dies ein Zeichen von Unversch?mtheit und 17 Prozent empfinden dies als Zeichen von Undankbarkeit. Die Ambivalenz findet ihren Ausdruck vor allem in den Haltungen zu politisch diskutierten 三亿体育·(中国)官方网站 um strukturelle, kulturelle, sozial-r?umliche und symbolische Anerkennung und Teilhabe: So sind 69 Prozent der Bev?lkerung für den islamischen Religionsunterricht. Gleichzeitig wollen aber 60 Prozent der Befragten die Beschneidung von Jungen verbieten. Beinahe die H?lfte aller Deutschen (48 Prozent) findet, dass Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs nicht erlaubt sein sollte und 42 Prozent m?chten den Bau von Moscheen einschr?nken.
Je relevanter die nationale Verbundenheit, desto deutlicher die Abwehr von Muslimen
Dort, wo die nationale Identit?t einen hohen Stellenwert einnimmt, ist die Bereitschaft, Muslimen kulturell-religi?se, sozialr?umliche oder symbolische Rechte vorzuenthalten, signifikant h?her. So m?chten jene 46 Prozent, für die es besonders ?wichtig ist, als Deutsche/r gesehen zu werden“ zu 68 Prozent die Beschneidung verbieten, zu 55 Prozent den Moscheebau und zu 56 Prozent das Kopftuch einschr?nken, w?hrend es bei jenen, bei denen die Wahrnehmung als deutsch keine Rolle spielt (51 Prozent) wesentlich geringere Werte sind: Gegen Beschneidung 54 Prozent, gegen Kopftuch 43 Prozent und gegen Moscheebau 35 Prozent. Der Ausschluss aus dem kollektiven deutschen Narrativ findet somit nicht nur auf einer diskursiv-emotionalen Ebene statt, sondern hat Auswirkungen auf die Anerkennung und die Partizipationsm?glichkeiten von religi?sen Minderheiten – in diesem Falle Muslimen.
?Einstellungen müssen nicht zu Handlungen führen“, so Naika Foroutan, ?aber hier ist Achtsamkeit geboten: W?hrend die islamfeindlichen Einstellungen in der Bev?lkerung quantitativ nicht ansteigen, nimmt die Handlungsbereitschaft zu, wie Moschee-Anschl?ge und die Hass-Attacken auf muslimische Einzelpersonen und Entscheidungstr?ger verdeutlichen. Die Qualit?t der Abwertungen, die auch aus der Mitte der Bev?lkerung kommen, versch?rft sich.“
Postmigrantisches Deutschsein: Wissen noch gering – aber Alltagskontakt weitet sich aus
Das Wissen über Muslime wird von der Mehrheit der Bev?lkerung als gering eingesch?tzt
In postmigrantischen Gesellschaften kommt es zwischen unterschiedlichen Bev?lkerungsgruppen zu verst?rktem gegenseitigem Wissen, Wahrnehmung und Interaktion. Trotzdem sch?tzen noch immer 67 Prozent der nicht-muslimischen Befragten ihr eigenes Wissen über den 三亿体育·(中国)官方网站komplex Islam und Muslime gering ein und ca. 70 Prozent übersch?tzen den Anteil der Muslime an der Gesamtbev?lkerung, der bei ca. 5 Prozent liegt – 23 Prozent übersch?tzen ihn sogar stark und gehen von Werten zwischen 21 Prozent und mehr aus. Das Wissen über Muslime wird aus Fernsehen (44 Prozent) und Zeitungen/Zeitschriften (39 Prozent) gezogen, zu einem etwa gleich hohen Anteil (43 Prozent) allerdings auch aus Gespr?chen mit Muslimen.
Mehr 三亿体育·(中国)官方网站r?ume und h?ufiger 三亿体育·(中国)官方网站 zu Muslimen führen zu weniger stereotypen Einstellungen
三亿体育·(中国)官方网站e zwischen muslimischer und nicht-muslimischer Bev?lkerung sind Teil des Alltags. Mehr als ein Drittel der Nicht-Muslime hat oft oder sehr oft 三亿体育·(中国)官方网站 zu Muslimen im Bezugsraum Arbeit,? ein Fünftel hat sehr viel 三亿体育·(中国)官方网站 im Freundes- und Bekanntenkreis. Es zeigt sich, dass Personen, die in mindestens zwei Bezugsr?umen (bspw. Arbeit und Freundes-/Bekanntenkreis) oft oder sehr oft 三亿体育·(中国)官方网站 mit Muslimen haben, weniger stereotyp antworten als Personen, die weniger oder gar keinen 三亿体育·(中国)官方网站 mit Muslimen haben.
Migrationsnarrative betreffen immer mehr Menschen – nicht nur jene mit Migrationshintergrund
Migrationsnarrative sind über familiale Bezugspunkte zunehmend in der deutschen Bev?lkerung pr?sent. 35 Prozent der Bev?lkerung geben an, selbst oder in der Verwandtschaft einen Migrationshintergrund zu haben. Das führt zu einer Ausweitung von Migrationsbezügen in der deutschen Gesellschaft und zu der Frage, ob der ?Migrationshintergrund‘ als Kategorie noch Aussagekraft besitzt.
- Unsere Forschungsgruppe am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) regt an, im kommenden Jahr 2015 darüber nachzudenken, ob die Kategorie ?Migrationshintergrund“ nach zehn Jahren aufgel?st werden kann. Der Begriff wurde im Jahr 2005 eingeführt und verhindert die Wahrnehmung des Deutschseins als vielf?ltiger Identit?tsform, weil er eine künstliche Trennung zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund schafft, die jedoch aufgrund vielfacher Familienrealit?ten nicht mehr tr?gt.
- Au?erdem regen wir an, eine überparteiliche Leitbild-Kommission unter starker Einbeziehung von Zivilgesellschaft und Minderheitenvertretern zu berufen, um so wie Kanada und die USA es in den 1970er Jahren gemacht haben, über neue politik- und handlungsleitende Narrative nachzudenken, die der deutschen Einwanderungsidentit?t eine neue Erz?hlstruktur geben und die ?Einheit der Verschiedenen‘, die Bundespr?sident Gauck beschrieben hat, mit Leben füllen. Sonst laufen wir Gefahr, dass rechtspopulistische Parteien die deutsche Identit?t exklusiv und unter Ausschluss von Minderheiten definieren. Hier schlie?en wir uns dem Aufruf der Jungen Islam Konferenz an, die durch die Forschungsgruppe JUNITED seit mehreren Jahren wissenschaftlich begleitet wird.
Die Forschungsgruppe JUNITED
Die Forschungsgruppe JUNITED – Junge Islambezogene 三亿体育·(中国)官方网站 in Deutschland untersucht das Reaktionsspektrum auf das sich wandelnde Einwanderungsland Deutschland in Bezug auf die 三亿体育·(中国)官方网站 Islam und Muslime aus transdisziplin?rer Perspektive. Die Forschungsgruppe ist unter der Leitung von Dr. Naika Foroutan im Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universit?t zu Berlin angesiedelt. JUNITED ist ein F?rderprojekt der Stiftung Mercator. Weitere 三亿体育·(中国)官方网站...
Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung
Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) wird durch die Gemeinnützige Hertie-Stiftung (F?rderpartner), den Deutschen Fu?ball-Bund (DFB / F?rderpartner), die Bundesagentur für Arbeit (BA / Unterstützungspartner) und die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Unterstützungspartnerin) gef?rdert und unterstützt. Weitere 三亿体育·(中国)官方网站...
Studie ?Deutschland postmigrantisch“
Die komplette Studie und der Methodenbericht sind online abrufbar.
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Dipl.-Pol. Damian Ghamlouche
Humboldt-Universit?t Berlin
Berliner Institut für empirische Integrations-
und Migrationsforschung (BIM)
Tel.: 030 220 15 705
d.ghamlouche@hu-berlin.de?????? ?
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