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?Wir müssen genau überlegen, was wir verantworten k?nnen“

Der Philosoph Michael Pauen über die M?glichkeiten und Risiken des autonomen Handelns

Michael Pauen
Michael Pauen

Herr Pauen, treffen Sie sich gerade freiwillig mit mir?

Aber ja.

Sie treffen Ihre Entscheidungen also autonom?

Meist schon. Aber man kann sich da natürlich nicht immer sicher sein. Es gibt viele Faktoren, die das eigene Handeln bestimmen und die uns nicht immer bewusst sind. Einflüsse durch Werbung etwa oder durch das Verhalten anderer Menschen. Daher denken wir h?ufig, wir h?tten selbstbestimmt gehandelt, aber letztlich ist das gar nicht so.

Hei?t das, wir gaukeln uns selbstbestimmtes Handeln nur vor?

So absolut kann man das nicht sagen. Aber es passiert uns natürlich, dass wir meinen, autonom zu handeln, obwohl es gar nicht so ist. Wir fantasieren uns dann sogar Erkl?rungen für unser Handeln zusammen. Es gibt beispielsweise Experimente, in denen die Versuchspersonen durch ganz kurze Impulse, die sie nicht bewusst wahrgenommen haben, dazu aufgefordert wurden, zu lachen. Das haben sie dann irgendwann getan, und als man sie fragte, warum sie lachen, haben sie sich Antworten ausgedacht. Sie haben ?etwa gesagt: ?weil ihr so lustig seid“.

Das ist ja eher erschreckend. Sind wir also willkürlich manipulierbar?

Nein. So schlimm ist es nicht. Die Grenzen von autonomem Handeln sind uns zwar l?ngst nicht immer bewusst. Wir haben aber eine Reihe von Kontrollm?glichkeiten. Angenommen die Kinowerbung k?nnte Sie wirklich durch versteckte Reize dazu bringen, Eis oder Schokolade zu kaufen. Das würden Sie vielleicht eine Zeit lang tun. Aber irgendwann würden Sie sich doch fragen, warum Sie immer Eis oder Schokolade kaufen, wenn Sie ins Kino gehen.

Als soziale Wesen sind wir aber doch immer anderen Einflüssen ausgesetzt, etwa durch Werbung oder andere Menschen. Wie ist da autonomes Handeln überhaupt m?glich?

Das ist gewiss nicht immer einfach zu erkennen. Jeder von uns hat allerdings eine pers?nliche Identit?t, pers?nliche Pr?ferenzen. Die kann man sich in der Regel bewusst machen. Dann vermag man zu unterscheiden, was von einem selbst kommt und was von au?en. Ich will aber auch kein Schwarz-Wei?-Bild erzeugen. Autonomie ist sicherlich nicht immer gut und Konformit?t nicht immer schlecht. Wir sollten uns sehr wohl dessen bewusst sein, dass in vielen F?llen konformes Verhalten wichtig und notwendig für unser Zusammenleben ist. Denken Sie einfach nur an den Stra?enverkehr.

Wie viel Freiheit bleibt uns da für unsere Entscheidungen?

Zun?chst sollten wir noch eine Definition kl?ren: Autonomie ist nicht gleich Freiheit. Autonomie ist eine F?higkeit, die es uns je nach den Umst?nden erlaubt, frei oder selbstbestimmt zu handeln. Sie ist eine Eigenschaft von Personen. Genauso haben wir auch die F?higkeit, heteronom, also fremdbestimmt, zu handeln. Und nun zu Ihrer Frage: Die Spielr?ume, in denen wir autonom handeln k?nnen, haben sich in unserer modernen individualisierten Gesellschaft immer weiter vergr??ert. Denken Sie etwa an m?gliche Bildungswege, an die M?glichkeit, selbst zu entscheiden, wo und mit wem man leben will. Seit der Aufkl?rung haben sich unsere Entscheidungsm?glichkeiten kontinuierlich und massiv ausgeweitet. Wir k?nnen sie viel freier nutzen.

Dennoch meinen Sie, die Autonomie verteidigen zu müssen. Das Buch, das Sie gerade gemeinsam mit Ihrem Kollegen Harald Welzer geschrieben haben, tr?gt das im Titel. Wieso?

Die Errungenschaften der Vergangenheit stehen heute wieder auf dem Spiel. Die Risiken sehen wir heute vor allem in den Entwicklungen der neuen Medien. Was durch das Internet und die neuen sozialen Medien m?glich wird, ist nur schwer absehbar. Konzerne wie Google zum Beispiel arbeiten an Projekten, deren Ziel es ist, vorauszusagen, was jemand haben will, bevor diese Person das selber wei?. Damit kann man Menschen natürlich besser beeinflussen, bestimmte Produkte zu kaufen. Die Autonomie der Konsumenten wird damit massiv beeintr?chtigt. Es gibt aber noch eine andere Entwicklung, die erst durch die neuen Medien m?glich wird. Ich meine die Teilnahme an bestimmten Massenph?nomenen. Das massenhafte Mobben einzelner Personen etwa oder Shitstorms. Da besteht für den Einzelnen die Gefahr, übereilt mitzumachen, sich also einer autonomen Entscheidung berauben zu lassen.

Sie meinen, man l?sst sich unter Umst?nden zu etwas hinrei?en, das man bei genauerer ?berlegung nicht machen würde?

Genau. Zum einen besteht hier die Gefahr, sich übereilt an solchen Aktionen zu beteiligen. Ein Tweet oder eine Mail sind eben schneller geschrieben als ein Brief auf Papier. Das sind Entwicklungen, die unsere Autonomie auf eine neue Weise gef?hrden. Auf der anderen Seite kann man aber auch selbst zum Opfer von Mobbing oder Shitstorms werden. Denken Sie an einen ehemaligen Bundespr?sidenten, der im ?brigen sicher nicht zu meinen politischen Favoriten z?hlt. Doch er war l?ngst ruiniert, bevor die Justiz die Sache prüfte. Am Ende blieb nicht viel von den Vorwürfen übrig. Doch die sorgf?ltige juristische Prüfung wird nur zu oft durch eine mediale Aufregung ersetzt. Das kann unsere Gesellschaft tiefgreifend ?ndern.

Was k?nnen wir tun?

Der erste Schritt ist das Bewusstwerden und Reflektieren. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, was mit Hilfe der neuen Medien passieren kann. Wenn uns das Problem bewusst ist, müssen wir uns in einem zweiten Schritt genau überlegen, wie weit wir mitmachen wollen, was wir verantworten k?nnen. Harald Welzer und ich wollen aber keinen Kulturpessimismus betreiben. Für uns ist es keine L?sung, sich allem Neuen zu verweigern. Die neuen Techniken haben für uns alle ja auch positive Seiten. Das Internet er?ffnet zum Beispiel Zug?nge zu Wissen, die es vorher nicht gegeben hat. Wir sollten die Risiken jedoch klar benennen und überlegen, wie man verantwortlich mit den M?glichkeiten umgeht.

?ber das Buch

Michael Pauen ist Professor für Philosophie an der Humboldt-Universit?t sowie Sprecher der Berlin School of Mind and Brain. Zusammen mit Harald Welzer, Professor für Transformationsdesign an der Universit?t Flensburg, hat er das Buch ??Autonomie. Eine Verteidigung“ verfasst.

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