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Schnelle Urteile in digitalen Zeiten

Kolumne des HU-Pr?sidenten Jan-Hendrik Olbertz zum anonymen Blog "Münkler-Watch"

Portrait von HU-Pr?sident Jan-Hendrik Olbertz
HU-Pr?sident Jan-Hendrik Olbertz
Foto: Matthias Heyde

In den vergangenen Wochen sorgte ein Blog namens ?Münkler-Watch“ für Aufsehen, dessen anonyme Autoren den Politologen Herfried Münkler beschimpften – u. a. als Militaristen und Kriegstreiber. Neu ist das nicht – vor zwei Jahren schrien Studierende Thomas de Maizière nieder, als er in der Humboldt-Universit?t einen Vortrag halten wollte. Kurze Zeit darauf wurden die Vorlesungen eines Professors der Erziehungswissenschaft durch L?rmen gesprengt, bis jemand aus dem Auditorium die Polizei rief. Neu war etwas anderes: dass die Unterbindung der wissenschaftlichen Meinungs- und Lehrfreiheit nicht mehr durch einen autorit?ren Staat erfolgt, sondern durch Studierende direkt im H?rsaal. Parallel greifen Aktivisten einer ?trotzkistischen“ Jugendorganisation den Historiker J?rg Baberowski an, rei?en Zitate aus dem Zusammenhang, drehen ihm das Wort im Munde herum. Schnelle Urteile, frei von Selbstzweifeln, erschüttern den Lehralltag.

Die digitale Welt gibt Gelegenheit, Professoren anonym zu attackieren. Die Debatten folgen nicht mehr wissenschaftlichen Argumenten, sondern medialer Aufmerksamkeit. Mit geringster Anstrengung l?sst sich so die gr??te Wirkung erzielen. Wer Kritik üben will, braucht kein Antlitz mehr, er kann aus dem ?Off“ in Diskussionen eingreifen oder, wenn er Lust hat, sie ausl?sen.

Die betroffenen Professoren reagieren gereizt – die neuen Formen der Infragestellung ihrer Autorit?t empfinden sie als ehrverletzend. Zu Recht erwarten sie Solidarit?t von ihrer Universit?t. Im Zweifelsfall wird der akademischen Administration ?Feigheit“ vorgeworfen, genauso wie den Bloggern, die sich nicht zu erkennen geben – gleichlautende Vorwürfe, die damit schon beliebig sind, noch bevor sie ihre Adressaten erreichen. Hinzu kommen – in verst?ndlichem Zorn, doch nicht minder aus dem Handgelenk – verwegene Vergleiche mit historischen Sachverhalten, die bei genauerem Hinsehen nicht haltbar sind.

Die produktive Unbefangenheit in der Begegnung von Lehrenden und Studierenden bleibt so jedenfalls auf der Strecke. Man mag Transparenz als universelle Norm guthei?en, aber die notwendige Intimit?t einer Vorlesung, zu deren Gelingen auch gelegentliche Zuspitzungen, Ironie oder unterhaltsame Episoden geh?ren, wird damit untergraben.

Wir sind frei, das als widerw?rtig zu empfinden – oder aber m?glichen Ursachen auf den Grund zu gehen. Es w?re in der Tat ein interessanter Forschungsgegenstand, danach zu fragen, wie sich die Wissenschaft und ihre Kontroversen in der digitalen Welt ver?ndern. Ist das Zeitalter der Aufkl?rung vorbei, gelten bisherige Regeln des wissenschaftlichen Austausches nicht mehr?? Oder: K?nnen wir ausschlie?en, dass unsere Reaktionsmuster auf bislang unbekannte Austragungsformen von Meinungsunterschieden nicht minder archaisch sind als die Formen, in denen wir bislang Wissenschaft betreiben und pr?sentieren? Geht es überhaupt um Wissenschaft? Zuschreibungen wie ?Kriegstreiber“ oder ?Militarist“ scheinen jedenfalls eher in den politischen Kampf als in die Wissenschaft zu geh?ren.

Die Studierenden halten dagegen: Hinter der ?herrschenden Meinung“, der sie nicht offen zu widersprechen wagen, sehen sie ein Machtgef?lle, mindestens aber ein Abh?ngigkeitsverh?ltnis, das zwischen Lehrenden und Studierenden tats?chlich besteht. Doch l?sst sich so die Anonymit?t – und dahinter die Ma?losigkeit – dieser Art von Vorlesungskritik rechtfertigen?

Will man solche Fragen ernsthaft er?rtern, dann kommen Respekt und Vertrauen ins Spiel, zwei Begriffe, die im digitalen Zeitalter fast schon fremd wirken. Dabei ist an einer Universit?t doch auch zu lernen, dass Lehrende irren k?nnen, und dass Wissen stets nur zeitweilig gilt. Es kann und soll daran das eigene Denken geschult werden. Das verlangt einen fairen und offenen Austausch – ohne Repression, aber auch ohne Angriffe aus dem ?Off“.

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Die Kolumne "Schnelle Urteile in digitalen Zeiten" von HU-Pr?sident Jan-Hendrik Olbertz ist am 27. Mai 2015 auf der HU-Sonderseite in der Berliner Zeitung erschienen.