Kein zuf?lliges Hintergrundrauschen
Neurowissenschaftler erreichen durch die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) des Gehirns im Ruhezustand deutliche Fortschritte im Hinblick auf ein besseres Verst?ndnis der Funktionserholung des Gehirns nach einem Schlaganfall.
Smadar Ovadia-Caro
Abbildung: Matthias Heyde
Die israelische Wissenschaftlerin Smadar Ovadia-Caro analysiert die F?higkeit des Gehirns, sich nach einem Schlaganfall zu ver?ndern. Mit ihrer Forschungsarbeit m?chte die Teilnehmerin am Doktorandenprogramm der Berlin School of Mind and Brain herausfinden, wie die unterschiedlichen Gehirnbereiche miteinander funktional verbunden sind, damit wirksamere Behandlungen für Patienten mit Schlaganfall gefunden werden k?nnen.
Warum faszinieren Sie die Neurowissenschaften so?
Mein Weg in die Wissenschaft war ziemlich unkonventionell, denn ich habe zun?chst Physiotherapie studiert, habe einen Bachelor-Abschluss und habe diesen Beruf auch ausgeübt. Dabei habe ich Kinder mit schweren Gehirnerkrankungen oder Verletzungen wie Zerebralparese und anderen Erkrankungen des zentralen Nervensystems behandelt. Es war manchmal unglaublich, welche Fortschritte sie in der Motorik und anderen funktionellen Bereichen gemacht haben. Die F?higkeit des Gehirns, sich selbst neu zu organisieren, hat mich fasziniert – ein Ph?nomen, das auch als Plastizit?t bezeichnet wird. Ich wollte einfach mehr darüber wissen.
Sie untersuchen jetzt die Plastizit?t nach Schlaganf?llen. Wie sind Sie gerade auf dieses Thema gekommen?
W?hrend meines Masterstudiums habe ich die Plastizit?t im Gehirn von Patienten mit Bewusstseinsst?rungen untersucht und dabei die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) des Gehirns im Ruhezustand genutzt. Bei Bewusstseinsst?rungen ist die richtige Diagnose au?erordentlich schwierig. Der wichtigste Ansatz für die Diagnose des Bewusstseinszustands besteht darin, zu prüfen, inwiefern der Patient korrekt auf bestimmte Aufforderungen reagiert. Aber in manchen F?llen k?nnte ein Patient der Aufforderung nicht nachkommen, weil er, um nur ein Beispiel zu nennen, zu stark ersch?pft ist. Daher müssen als Erg?nzung zu diesen Bedside-Tests unbedingt objektive Messungen des Bewusstseinszustands entwickelt werden. Die Tatsache, dass ich mich dann mit dem Schlaganfall besch?ftigt habe, beruhte in erster Linie darauf, dass hier derselbe methodische Ansatz, n?mlich die fMRT im Ruhezustand, genutzt wird.??
Wie h?ngen die Messung des Bewusstseinszustands und die Plastizit?t nach einem Schlaganfall miteinander zusammen?
Die Mehrzahl der frühen Studien in den Neurowissenschaften betrachteten in erster Linie die Aktivit?t als Reaktion auf bestimmte Aufgaben. Bei der Untersuchung mittels fMRT zum Beispiel muss der Patient jeweils bestimmte Aufgaben ausführen, die im Bezug zu bestimmten Gehirnarealen stehen. Dieser Ansatz ignoriert jedoch die andauernden Fluktuationen, die auch im Ruhezustand auftreten, also dann, wenn keine explizite Aufgabe ausgeführt wird. Spontane Fluktuationen k?nnen mittels fMRT aufgezeichnet werden und sind interessanterweise nicht zuf?llig, sondern replizieren die Aktivierungsmuster, die bei bestimmten Aufgaben auftreten. Diese Synchronisation zwischen den Gehirnarealen, die selbst dann erfolgt, wenn keine Aufgaben ausgeführt werden – eine Analyse, die als funktionelle Konnektivit?t bezeichnet wird – weist auf eine m?gliche kognitive Rolle der spontanen Fluktuationen hin und wurde mit Wahrnehmungsprozessen in Verbindung gebracht. Dies ist natürlich für die objektive Messung des Bewusstseins sowie für Untersuchung der Plastizit?t nach einem Schlaganfall von Bedeutung.?
Was k?nnen wir aus der spontanen Aktivit?t für die Plastizit?t nach einem Schlaganfall lernen?
Der Schlaganfall wurde lange für ein lokal auftretendes Ph?nomen gehalten: Ein Entzug der Blutversorgung in einem bestimmten Bereich des Gehirns führt zu einer Funktionsst?rung, die sich auf die funktionelle Rolle eben dieses Gehirnareals auswirkt. Dieser Ansatz erkl?rt jedoch nicht, wieso sich ein Patient von den Symptomen erholt und erkl?rt auch nicht, warum sich die lokalen Sch?digungen und die Symptome oft nicht entsprechen. Bei der Analyse der funktionellen Konnektivit?t wird deutlich, dass es zu neuronalen Ver?nderungen (Plastizit?t) in anderen Gehirnarealen kommt, die mit der lokalen L?sion verbunden sind und daher indirekt durch den Schlaganfall beeintr?chtigt werden, da eine Unterbrechung auf Netzwerkebene stattfindet. Dies kann auch erkl?ren, warum zum Beispiel L?sionen in verschiedenen Gehirnarealen zu ?hnlichen funktionellen Defiziten führen. Der Hauptvorteil eines rs-fMRT ist, dass mit nur einer einzigen fMRT-Untersuchung mehrere Netzwerke untersucht werden k?nnen.
Wenn die Folgen eines Schlaganfalls nicht nur lokal beschr?nkt sind – wie wirkt sich dies auf die Forschung aus?
In der Tat hat dies dramatische Auswirkungen sowohl für die Untersuchung der Prozesse, die zur Funktionserholung führen, als auch für die Frage der optimalen Behandlung für den Patienten zum Beispiel mittels einer transkraniellen Magnetstimulation. Wir haben kürzlich einen Multinetzwerk-Ansatz entwickelt, um die Plastizit?t nach Schlaganf?llen zu untersuchen und so Ver?nderungen bei der funktionellen Konnektivit?t in mehr als einer funktionellen Dom?ne zu charakterisieren. Wenn wir einen genaueren ?berblick über die verschiedenen Gehirnareale erhielten, die von einem Schlaganfall betroffen sind und über die Ver?nderungen der Konnektion innerhalb jedes Netzwerks, dann w?ren wir besser in der Lage, die Symptome zu charakterisieren sowie die Funktionserholung in der Form von individuell abgestimmten Stimulationsprotokollen zu verbessern.?
Sie kommen aus Israel – was hat Sie nach Berlin geführt?
W?hrend meines Masterstudiums am Weizmann-Institut habe ich eine E-Mail bekommen, in der der Women’s Travel Award für die Berlin School of Mind and Brain angekündigt wurde, ich habe mich beworben und wurde angenommen. Ich war zuvor noch nie in Deutschland gewesen, somit war diese Woche eine ausgezeichnete Gelegenheit, einmal neue Erfahrungen zu machen. An der Berlin School of Mind and Brain habe ich dann auch meine aktuellen Promotionsbetreuer Prof. Arno Villringer und Prof. Elke van der Meer kennengelernt. Ich wusste sofort, dass ich mit diesen Wissenschaftlern gerne zusammenarbeiten wollte. Die enge Zusammenarbeit zwischen der HU, der Charité und dem Max-Planck-Institut in Leipzig bietet au?ergew?hnlich gute Forschungsbedingungen. Uns wird dadurch die M?glichkeit gegeben, eine gro?e Anzahl von Patienten bereits einen Tag nach dem Schlaganfall zu untersuchen.
Wie erleben Sie Deutschland und vor allem Berlin im Vergleich zu Israel?
Berlin war eine ziemliche ?berraschung für mich. Ich habe sofort bemerkt, dass diese Stadt einen ganz anderen Lebensrhythmus hat. Obwohl Berlin eine Gro?stadt ist, erinnern mich all diese Radfahrer irgendwie an einen gro?en Kibbuz.? Wenn man in Tel Aviv oder in Jerusalem lebt, kommt man sich st?ndig wie auf der Autobahn vor. In mehr kultureller Hinsicht gesehen ist Israel ein kleines Land und daher gibt es einen breiten Mainstream und wenig Diversit?t. In diesem Sinne war Berlin mit seiner enormen Vielfalt eine ganz neue Erfahrung für mich. Egal, wie unkonventionell ein Lebensstil ist – Berlin bietet Platz für jeden und das finde ich toll. Was mir allerdings am meisten fehlt, ist meine gro?e lebhafte Familie. Zum Glück sind mein Mann und unsere Zwillinge auch mit hier in Berlin und wir bekommen regelm??ig Besuch.