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Kartografen des Bewusstseins

Zum 1. Oktober startet das Graduiertenkolleg ?Extrospektion. Externer Zugang zu h?heren kognitiven Prozessen“

Modell eines menschlichen Gehirns
Modell eines menschlichen Gehirns
Foto: Matthias Heyde

Die Promotion ist für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der entscheidende ?bergang vom Studium in die Forschung. Um diese kritische Phase intensiv zu begleiten, existieren an der Humboldt-Universit?t zu Berlin (HU) eine Vielzahl von strukturierten Promotionsprogrammen. Unter anderem besteht die M?glichkeit im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gef?rderten Graduiertenkollegs zu promovieren. In den Graduiertenkollegs sollen Doktorandinnen und Doktoranden die M?glichkeit bekommen, interdisziplin?r und fokussiert an einem spezifischen Forschungsthema zu arbeiten. An der HU sind zurzeit 15 Graduiertenkollegs angegliedert, wobei die HU von sieben Graduiertenkollegs auch die Sprecherfunktion übernimmt. Die Kollegs decken eine gro?e Bandbreite an 三亿体育·(中国)官方网站 ab: Graduiertenkollegs gibt es an den Instituten für Informatik, Physik, Biologie, Statistik, Philosophie und Literatur. Die bereits existierenden Kollegs besch?ftigen sich beispielsweise mit der ?Literatur- und Wissensgeschichte kleiner Formen“ oder ?Computergestützter Systembiologie“. Ab Oktober startet an der HU nun ein weiteres Graduiertenkolleg: ?Extrospektion. Externer Zugang zu h?heren kognitiven Prozessen“, das Teil der Graduiertenschule ?Berlin School of Mind and Brain“ sein wird.

Forschungslimitationen beseitigen und einen Blick ins menschliche Bewusstsein wagen – das ist das Anliegen des neuen Graduiertenkollegs. Das Projekt stellt sich der g?ngigen Annahme entgegen, dass das, was ein Mensch fühlt, nur diesem selbst zug?nglich und daher mit wissenschaftlichen Methoden nicht quantifizierbar sei. ?Eine g?ngige These lautet, dass erstpersonales Wissen – also Empfindungen einer Person wie Schmerz, Aufregung oder Furcht – privilegiert sei und nur dieser Mensch selbst Aussagen dazu machen k?nne“, erkl?rt Kolleg-Sprecher Michael Pauen, Philosophieprofessor an der HU. Den Beweis dazu, dass das innere Erleben eines Menschen sehr wohl von au?en erfasst werden kann, wollen Pauen, seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Rahmen des neuen Graduiertenkollegs antreten. Dieses ist aus der Berlin School of Mind and Brain hervorgegangen und arbeitet interdisziplin?r mit Experten aus den F?chern Philosophie, Psychiatrie, Psychologie und Neurowissenschaften. Gef?rdert wird das Graduiertenkolleg für zun?chst viereinhalb Jahre von der DFG.

Introspektive Aussagen sind unzuverl?ssig

?Dass innere Zust?nde existieren, wird allgemeinhin nicht in Zweifel gezogen. Wohl aber glaubt man bislang, dass es nicht m?glich sei, zuverl?ssige Aussagen über das Empfinden eines anderen zu machen“, erkl?rt Pauen die Hintergründe. Bevorzugtes Mittel der Untersuchung innerer Erfahrungen sei daher bis dato die Introspektion. ?Diese Aussagen, die Menschen über sich selbst machen, gelten aber als unzuverl?ssig, und das sind sie h?ufig auch,“ gibt der Philosoph zu bedenken. ?Die Unmittelbarkeit der Erfahrung des Einzelnen ist in Hinblick auf Objektivit?t ein Nachteil, es fehlt die n?tige Distanz.“ Auch machten Menschen, wenn sie über l?ngere Zeit zu einem bestimmten Zustand befragt würden, widersprüchliche Aussagen, lie?en sich von ?u?eren Faktoren beeinflussen und neigten zu Fehlinterpretationen.

Probandin wird an ein EEG angeschlossen
Eine Probandin wird bei der Berlin School of Mind and Brain an
ein EEG angeschlossen.
Foto: Leo Seidel

Als Beispiel führt der Wissenschaftler eine Studie aus dem vergangenen Jahrhundert an, in der M?nner von einer Interviewerin befragt wurden und im Anschluss deren Attraktivit?t beurteilen sollten. Die erste Versuchsgruppe wurde auf einem stabilen Hocker sitzend interviewt, die zweite auf einer wackeligen H?ngebrücke. ?Die H?ngebrücken-Gruppe bewertete die Interviewerin hinterher als viel attraktiver. Einen Teil der Angst und Aufregung, die die Versuchspersonen auf der wackeligen Brücke empfanden, interpretierten sie ganz offenbar f?lschlicherweise als Attraktion.“

Man müsse zwischen dem vorg?ngigen Gefühl, der vorg?ngigen Erfahrung eines Menschen und dessen Interpretationen dieser Erfahrung unterscheiden, so der Forscher. ?Das Wissen um einen Schmerzzustand ist mit dem Schmerzzustand selbst nicht identisch. Hier wollen wir ansetzen, denn wir sind überzeugt, dass eine Einordnung des Empfundenen auch von au?en erfolgen kann, dass es da keine Schranke gibt.“

Von Au?en ins Innerste blicken

Zuwenden wollen sich die Wissenschaftler vielen unterschiedlichen Aspekten des Bewusstseins: Neben Testreihen zu Schmerzempfindlichkeit und Farbwahrnehmung und der Untersuchung von Vorg?ngen im Gehirn mit Hilfe moderner Bildgebung soll auch der ?ffentliche und philosophische Diskurs, die Genealogie des Bewusstseinsbegriffs aufgearbeitet werden. Kl?ren wollen die Wissenschaftler unter anderem, wie die Vorstellung vom Bewusstsein als unzug?nglichem Gegenstand historisch entstanden ist. Auch psychiatrische Zust?nde wie Alexithymia – ein Krankheitsbild, bei dem Menschen die eigenen Gefühle nicht ad?quat wahrnehmen und beschreiben k?nnen, obgleich diese offensichtlich vorhanden sind – z?hlen zu den Untersuchungsgegenst?nden des neuen Kollegs.

?Wir wollen grunds?tzliche Fragen zum Bewusstsein kl?ren und Mittel finden, extrospektiv zu objektiven Aussagen über subjektive Bewusstseinszust?nde zu gelangen“, resümiert Michael Pauen. Dies sei auch im klinischen Sinne wichtig, erl?utert der Forscher am Beispiel von Komapatienten: ?Bislang gehen wir davon aus, dass Komapatienten nicht leiden, weil sie keine Reaktionen zeigen. Das ist aber keineswegs zwangsl?ufig der Fall.“ Da das Bewusstsein ein fundamentaler Aspekt des Lebens sei, sei es dringend geboten, neue Untersuchungsmethoden zu erproben, die objektive Ergebnisse liefern. ?Wir wollen das Bewusstsein als Untersuchungsgegenstand in die Wissenschaft zurückholen.“

?Ein weiterer Schwerpunkt ist die Metakognition: Wir wollen erheben, welche Gedanken sich Menschen über ihre eigenen Gedanken machen, wie sie diese bewerten“, sagt Michael Pauen. Einige Indizien spr?chen dafür, dass Metakognition nicht unmittelbar, sondern über k?rperliche Empfindungen vermittelt auftritt und manipulierbar ist.

Von Nora Lessing

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Prof. Dr. Michael Pauen
Berlin School of Mind and Brain
Humboldt-Universit?t zu Berlin

Tel.: 030 2093-1707
michael.pauen@philosophie.hu-berlin.de