Weihnachtsm?rkte – sp?tmoderne Sehnsuchtsorte
Weihnachtsm?rkte haben eine lange Tradition und geh?ren für viele Menschen als fester Bestandteil zur festlichen Jahreszeit dazu. Viele freuen sich schon lange im Voraus und genie?en dann die vorweihnachtliche Atmosph?re – trotz Kommerz, Gedr?ngel und oft überteuerter Produkte. Weihnachtsm?rkte sind moderne Sehnsuchtsorte, sagt Theologieprofessorin Ruth Conrad und führt in ihrem Beitrag in die Geschichte und Bedeutung von Weihnachtsm?rkten ein.
Sp?tmoderne Weihnachtsm?rkte erkennt man idealtypisch an einer Duftmischung aus Glühwein, gebrannten Mandeln, Thüringer Rostbratwurst und Thai-Pfanne, dargeboten m?glichst inmitten von mittelalterlichem Fachwerk und n?chtlichem Sternenglitzer, verbunden mit der M?glichkeit, selbstgestrickte Socken, winkende Weihnachtsm?nner, Kerzenst?nder oder Krippenfiguren zu erwerben. Weihnachtsm?rkte changieren zwischen Event, Freilichtbühne, Kaufhaus, 三亿体育·(中国)官方网站sfeier und Charity-Veranstaltung. Kinder singen für einen guten Zweck, ?ltere Damen verkaufen UNICEF-Karten und der Schwimmverein m?belt die Vereinskasse durch den Verkauf von Waffeln auf. Dieser Stil- und Funktionsmix hat Weihnachtsm?rkte zum globalen Exportschlager gemacht, so dass man sie geradezu als sp?tmoderne Sehnsuchtsorte lesen kann. Wie kam es dazu?
Zahlreiche historische Berichte über Berliner Weihnachtsmarkt
Der Berliner Weihnachtsmarkt am Schloss (Kupferstich, 1796)?
Ihren Ursprung haben die Weihnachtsm?rkte in den Nikolausm?rkten. Als am Ende des 16. Jahrhunderts die Sitte aufkam, Kinder zu beschenken, übernahm diese Aufgabe zun?chst der Nikolaus, und zwar bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Es entstanden M?rkte, auf denen man unter an
derem Spielzeug, aber auch Handwerkliches und Landwirtschaftsprodukte erwerben konnte. Als sp?ter die Kinderbescherung Richtung Weihnachten wanderte, verschoben sich auch die M?rkte in die Wochen vor Weihnachten. Seit dem frühen 18. Jahrhundert finden wir zum Beispiel zahlreiche Berichte über den Berliner Weihnachtsmarkt. Ludwig Tieck (1773-1853) schreibt von der Stra?e, ?welche von C?lln zum Schlosse führt“, in der die aufgebauten Buden ?mit jenem gl?nzenden Tand als Markt für das Weihnachtsfest ausgeschmückt“ wurden und zwischen denen auch ?die vornehmern St?nde behaglich auf und ab“ wandelten, ?kauften und schauten […]. Am gl?nzendsten aber sind die Abendstunden, in welchen diese breite Stra?e von vielen tausend Lichtern aus den Buden […] erleuchtet wird.“
Auch wenn also der Verkauf von Waren zentral zu einem Weihnachtsmarkt geh?rt, war er stets mehr und anderes als ein Kaufhaus. Er hat eine spezielle zeitliche Rahmung, indem er mittlerweile nach dem Totensonntag, der in der christlichen Tradition dem stillen Gedenken an die Verstorbenen gewidmet ist, er?ffnet wird und zu Weihnachten schlie?t. Aber auch der Raum des Weihnachtsmarktes ist christlich impr?gniert – es gibt übergro?e Krippen, der Nikolaus und das Christkind treten auf und nicht zuletzt erinnern die Verkaufsst?nde an die Hütte und die Krippe, in der Jesus geboren sein soll.
Weihnachtsm?rkte leben von Gegens?tzen
Doch noch etwas anderes kommt dazu: Die besondere Faszination der Weihnachtsm?rkte speist sich aus einer spezifischen Sinnlichkeit. Tieck hatte bereits von den ?Abendstunden“ und den ?tausend Lichtern“ geschrieben und bis heute ist es kaum anders: Lichter und Lampen in dunklen N?chten, warme Getr?nke und Speisen in einer eiskalten Zeit, Kommerz mit Emotion, ?konomie in leiser Melancholie. ?Die besondere Wirkung der Weihnachtsm?rkte lebt also von Gegens?tzen: gegen die winterliche K?lte – W?rme; gegen die Dunkelheit – Licht; gegen Einsamkeit und Alleinsein – Geselligkeit; gegen Armut – Verschwendung; gegen die Last des Alltags – leuchtende Kinderaugen; gegen die Zumutungen der Globalisierung und das Gefühl der Ortlosigkeit – vertrautes heimeliges Ambiente.
Diese Gegens?tze l?sen die Weihnachtsm?rkte nicht auf, sondern rücken sie in ein mildes, vielleicht auch leicht schummriges Licht. Weihnachtsm?rkte d?mpfen die Wirklichkeit – das Dunkle, das Kalte, die prek?re Einsamkeit vieler Menschen, die Armut etc. – sinnlich ab. Die harten Kontraste werden weicher gezeichnet. Es scheint, als k?nne man ihnen entrinnen. Und sei es auch nur für die Dauer eines Glühweins (wenn er denn bezahlbar ist). So inszenieren Weihnachtsm?rkte sinnlich wahrnehmbar die menschliche Sehnsucht nach dem Heilen und dem Ganzen, nach der Vers?hnung des Gegens?tzlichen, nach sozialer Identit?t, nach Beheimatet-Sein. Weihnachtsm?rkte sind Orte, die die menschliche Sehnsucht als Gefühl performativ inszenieren. So werden Gefühle mitteilbar. Wir k?nnen unsere Emotionen handelnd zeigen.
Vielleicht funktionieren Weihnachtsm?rkte als eine genuin adventliche Praxis deshalb global und interreligi?s ohne gr??eren Erkl?rungszwang, weil sie inszenieren, was Menschen verbindet – die Sehnsucht nach dem Vollkommenen, den Traum eines erl?sten und lichten, weil vers?hnten Miteinanders. Sie sind moderne Sehnsuchtsorte.
Autorin: Prof. Dr. Ruth Conrad
Zitate von L. Tieck aus: Ingeborg Weber-Kellermann, Das Weihnachtsfest. Eine Kultur- und Sozialgeschichte der Weihnachtszeit, Luzern/Frankfurt a.M. 1978, S.71.Schlie?- und ?ffnungszeiten der Universit?tsbibliothek und Mensen zum Jahreswechsel