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Mehr(ere) Muttersprachen!

Wie viele Muttersprachen kann man haben? Definitiv nicht nur eine. Das best?tigen aktuelle Ver?ffentlichungen einer DFG-Forschungsgruppe an der Humboldt-Universit?t zum Sprachgebrauch von ein- und mehrsprachigen Sprecher:innen, die aktuell in der internationalen Fachzeitschrift Frontiers in Psychology erschienen sind.

Mehrere Muttersprachen zu haben, ist m?glich und sogar der Normalfall. Aktuelle Untersuchungen der DFG-Forschungsgruppe?Emerging Grammars in Language Contact Situations?(kurz RUEG) verdeutlichen, dass Menschen, die zweisprachig aufgewachsen sind, sich in ihren beiden Sprachen in vielen Bereichen wie einsprachige Muttersprachler:innen verhalten und gleichzeitig ein h?heres Sprachbewusstsein als diese besitzen. Die Daten sprechen für ein neues Verst?ndnis von Muttersprachen, Mehrsprachigkeit und ihrer Potenziale.

Die Forscher:innen untersuchten in fünf L?ndern ein? und mehrsprachige Jugendliche und Erwachsene in ihrem Sprachgebrauch in umgangssprachlichen und eher f?rmlichen Situationen. Dabei untersuchten sie den Sprachgebrauch von Mehrsprachigen sowohl in der individuellen Familiensprache als auch der mehrheitlichen Umgebungssprache. Die Forscher:innen machten interessante Beobachtungen: Viele Abweichungen von der Standardsprache, die manchmal als vermeintliche Fehler Mehrsprachiger angesehen werden, treten genauso im Sprachgebrauch Einsprachiger auf, etwa Nomen ohne Artikel oder bestimmte Wortstellungen im Deutschen. Die folgenden S?tze stammen beide von einsprachig Deutschen, die einem Freund von einem Unfall erz?hlten:

  1. Ich hab eben Verkehrsunfall beobachtet.
  2. Dann die Polizei is auch richtig schnell gekommen.

Gegenüber einem Unbekannten, mit dem man eher f?rmlich spricht, werden solche Wendungen nicht gebraucht, aber im Freundeskreis redet man gerne so – und das tun Einsprachige ebenso wie Mehrsprachige. Solche Muster geh?ren nicht zur Standardsprache, aber wie die Studien der Gruppe zeigen, sind sie ein normaler Teil des sprachlichen Repertoires von Muttersprachler:innen. ?Um das zu erkennen, muss man sich allerdings ansehen, wie Menschen tats?chlich sprechen, und darf sich nicht von Stereotypen über vermeintlich richtigen Sprachgebrauch die Sicht verstellen lassen“, kommentiert Frau Prof. Dr. Heike Wiese, RUEG?Sprecherin und Professorin am Lehrstuhl für Deutsch in multilingualen Kontexten an der Humboldt-Universit?t zu Berlin.?

Besonders relevant ist das Ergebnis, dass sich in allen untersuchten Sprachen innerhalb der getesteten einsprachigen Sprecher:innengruppen ein gr??eres inter-individuelles Variationsspektrum abzeichnete als bei den mehrsprachigen Gruppen. Hier zeigt sich also einmal mehr die Dynamik und das Innovationspotential natürlicher Sprachen, ganz egal, wie viele Muttersprachen dabei im Spiel sind.?

Muttersprache umfasst also vieles: Ein breites Spektrum an Sprachsituationen – Umgangssprache ebenso wie f?rmlichere Register. Sowie ein breites Spektrum an bisher zu wenig beachteter Variation unterhalb von Muttersprachler:innen. Dabei kann man eine ebenso wie mehrere Muttersprachen haben. Für mehrsprachig aufgewachsene Sprecher:innen sind sowohl die Familien? als auch die Umgebungssprache Muttersprachen.

?Die Erforschung von Familiensprachen ist von entscheidender Bedeutung für ein?besseres Verst?ndnis von Sprachgebrauch und ?wandel“, kommentiert Frau Prof.?Dr. Dr. h.c. Artemis Alexiadou, RUEG-Mitglied und stellvertretende Leiterin des?Leibniz-Zentrums?Allgemeine?Sprachwissenschaft. Die Forscher:innen stellten fest, dass?mehrsprachige Jugendliche ein h?heres sprachliches Bewusstsein zeigten als einsprachig aufgewachsene Gleichaltrige.?

H?rbar mehr Mehrsprachigkeit!?–?#CapturingOurSound

Die Forschungsgruppe RUEG?und das Zentrum Language in Urban Diversity?rufen zum Tage der Muttersprachen am 21. Februar?2022 ein Kreativprojekt ins Leben:?Capturing our sound(scapes) – vielf?ltige Sprachlandschaften an unseren Schulen?m?chte den Potentialen der sprachlichen Vielfalt an Schulen noch mehr Aufmerksamkeit schenken. Alle Schüler:innen und Lehrer:innen sind herzlich eingeladen mitzumachen.?

Auf der Projekt-Webseite?sind alle 三亿体育·(中国)官方网站 und Materialien zum Projekt zu finden. Ergebnisse des Kreativprojekts k?nnen bis zum?15. Juli?2022?eingesendet werden. Die kreativsten Einsendungen werden zum?Europ?ischen Tag der Sprachen?am 26. Sepember?2022 im?Humboldt Labor?gemeinsam mit den teilnehmenden Schulklassen pr?sentiert.

Publikation

Frontiers in Psychology?widmet aktuell eine ganze Sonderausgabe dem Forschungsthema?The Notion of the Native Speaker Put to the Test: Recent Research Advances. RUEG tr?gt mit mehreren Artikeln zu einem wissenschaftlich fundierten Perspektivwechsel bei:

  • Karayiannis D, Kambanaros M, Grohmann KK and Alexiadou A (2021) Assignment of Grammatical Gender in Heritage Greek.?Front. Psychol. 12:717449. doi:?10.3389/fpsyg.2021.717449

  • Shadrova A, Linscheid P, Lukassek J, Lüdeling A and Schneider S (2021) A Challenge for Contrastive L1/L2 Corpus Studies: Large Inter- and Intra-Individual Variation Across Morphological, but Not Global Syntactic Categories in Task-Based Corpus Data of a Homogeneous L1 German Group.?Front. Psychol. 12:716485. doi:?10.3389/fpsyg.2021.716485

  • Front. Psychol. 12:717352. doi:?10.3389/fpsyg.2021.717352

  • Wiese H, Alexiadou A, Allen S, Bunk O, Gagarina N, Iefremenko K, Martynova M, Pashkova T, Rizou V, Schroeder C, Shadrova A, Szucsich L, Tracy R, Tsehaye W, Zerbian S and Zuban Y (2022) Heritage Speakers as Part of the Native Language Continuum. Front. Psychol. 12:717973. doi:?10.3389/fpsyg.2021.717973

Originaldaten – zum Nachschauen:

  • Die Daten und Forschungsergebnisse stehen kostenlos zur Verfügung – ob für eigene Forschung oder nur zum St?bern

  • Alle 三亿体育·(中国)官方网站 rund um das?RUEG-Korpus??

  • Weitere mit in die Forschung einbezogene Korpora sind Falko und das Kobalt-DaF-Korpus.

?ber RUEG

Die Forschungsgruppe?Emerging Grammars in Language Contact Situations, kurz RUEG,?untersucht grammatische Dynamiken in Sprachkontaktsituationen. Die Erforschung des?Sprachgebrauchs ein- und mehrsprachiger Sprecher:innen in fünf L?ndern liefert wertvolle?Erkenntnisse über Sprachvariation und Sprachentwicklung. RUEG wird gef?rdert durch die?Deutsche Forschungsgemeinschaft (FOR 2537,?Projektnr.: 313607803).

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Pia Linscheid
Koordinatorin der DFG?Forschungsgruppe?Emerging Grammars in Language Contact Situations:?Comparative Approach

pia.linscheid[at]hu-berlin[Punkt]de