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Spurensuche im Kurzzeitged?chtnis des Auges

Lichtspuren auf der Netzhaut sorgen für r?umlich-zeitliche Kontinuit?t unseres Sehens

Was wir sehen, hinterl?sst Spuren: Mit schnellen Bewegungen, sogenannten Sakkaden, springt unser Blick zwischen verschiedenen Orten hin und her, um m?glichst scharf abzubilden, was sich vor unseren Augen abspielt. Mit einer Dauer von weniger als 50 Millisekunden sind die Sakkaden die schnellsten Bewegungen, zu denen ein Mensch f?hig ist. Dabei hinterlassen Objekte, die mal zentral, mal am Rande des Sichtfeldes erscheinen, kurzzeitig Lichtspuren auf der Netzhaut, ?hnlich der Bewegungsunsch?rfe, die entsteht, wenn man eine Filmkamera schwenkt.

Lange Zeit wurde angenommen, dass wir w?hrend der schnellen Augenbewegungen vorübergehend blind sind. Eine neue Studie der Berliner Forscher Richard Schweitzer (Exzellenzcluster ?Science of Intelligence“) und Martin Rolfs (Humboldt-Universit?t zu Berlin / Bernstein Center Berlin) zeigt, dass dem nicht so ist. 三亿体育·(中国)官方网站 werden von einem Blick zum n?chsten durchg?ngig gesammelt und es entsteht eine Kontinuit?t von Objekten. Das ist ungef?hr so, als würde man den Weg mehrerer Personen digital und analog verfolgen: Werden die Koordinaten nur in regelm??igen Abst?nden erfasst, l?sst sich die Identit?t einzelner Personen nach kurzer Zeit nicht mehr bestimmen—man wei? nicht, wer sich wie schnell wohin bewegt hat. Folgt man jedoch den individuellen Fu?spuren, l?sst sich jede Identit?t lückenlos nachverfolgen.

Lichtspuren garantieren kontinuierliche Wahrnehmung

?hnliche Spuren entstehen im Auge, wenn wir die Blickrichtung ?ndern und das Licht, das von Objekten reflektiert wird, über die Netzhaut huscht. Die Forscher haben diese Lichtspuren genauer untersucht. Sie haben rekonstruiert und experimentell gezielt ver?ndert, wie sich Objekte über die Dauer einer Sakkade auf der Netzhaut verschieben. Dabei haben sie herausgefunden, dass die visuelle Informationsverarbeitung auch w?hrend der Sakkade kontinuierlich stattfindet und nicht erst nach dem Ablauf der Bewegung wiedereinsetzt, wodurch zwei Bilder miteinander abgeglichen werden müssten. Ihre Ergebnisse belegen, dass die flüchtigen Lichtspuren, die durch Blickbewegungen entstehen, eine Funktion haben und von unserem Sehsystem genutzt werden.

Um dies nachzuweisen, haben die beiden Forscher Experimente durchgeführt, in denen Proband:innen auf bestimmte Objekte blicken sollten. Mithilfe ihres psychophysikalischen Labors, das - wie nur wenige Labore der Welt - mit Hochgeschwindigkeitsprojektoren ausgestattet ist, konnten sie die Szenerie, die ihre Proband:innen sahen, w?hrend der Sakkaden (also in nur wenigen Millisekunden) kontinuierlich ver?ndern. Durch die gleichzeitige genaue Messung der Bewegungen der Augen lie? sich die Verbindung herstellen zwischen dem, was am Bildschirm ver?ndert wurde und dem, was auf der Netzhaut passierte. Es zeigte sich, dass die visuellen Spuren der Objekte tats?chlich beeinflussten, wie schnell und wie oft Proband:innen ihren Blick auf sie wendeten.

Neue Forschungsans?tze – neue M?glichkeiten

Das alte Forschungsparadigma, dass einen unterbrochenen Sehprozess mit Blindheitsphasen w?hrend der Sakkaden annahm, wird durch die Arbeit von Schweitzer und Rolfs widerlegt. Sie erm?glicht eine neue Herangehensweise an das, was unsere Wahrnehmung ausmacht und vereinfacht g?ngige Theorien, die davon ausgehen, dass Lücken in der visuellen Wahrnehmung durch komplexe Vorhersageprozesse gefüllt werden müssten.

Aber auch für klinische Anwendungen sind ihre Erkenntnisse übersetzbar, gerade wenn es um die Verbindung visueller Eindrücke und motorischer Funktionen geht oder die psychischen Beeintr?chtigungen, die durch die St?rung dieser Verbindung entstehen.

Industriell gesehen k?nnen die Erkenntnisse auch in der Entwicklung optischer Ger?te berücksichtigt werden. Ein Beispiel w?re das ?foveated rendering“ bei VR Brillen, bei dem nur die Bildanteile hochaufgel?st dargestellt werden, die der oder die Nutzer:in gerade fokussiert. Die Ergebnisse von Schweitzer und Rolfs erlauben konkrete Vorhersagen darüber, welche Ver?nderungen der Darstellung w?hrend Blickbewegungen geeignet sind, um eine unterbrechungsfreie Wahrnehmung zu erm?glichen.

Publikation

Schweitzer, R. & Rolfs, M. (2021). Intra-saccadic motion streaks jump-start gaze correction.?Science Advances, 23.07.2021.
DOI: 10.1126/sciadv.abf2218

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Link zur Original-Pressemitteilung des Bernstein Netzwerks

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Dr. Richard Schweitzer
Humboldt-Universit?t zu Berlin
Exzellenzcluster ?Science of Intelligence‘
richard.schweitzer@hu-berlin.de

Prof. Dr. phil. Martin Rolfs
Humboldt-Universit?t zu Berlin
Institut für Psychologie
martin.rolfs@hu-berlin.de