Landwirtschaft und Klimaschutz: Es reicht nicht, Ziele zu proklamieren
Die Bundesregierung verpflichtet in ihrem Entwurf eines neuen Klimaschutzgesetzes die Landwirtschaft zu einer deutlichen Reduzierung der Treibhausgasemissionen ?- von 70 Mio Tonnen im vergangenen Jahr auf 56 Mio Tonnen im Jahr 2030. ?Dennoch kritisieren Sie den Gesetzentwurf im?heute ver?ffentlichten Gutachten - warum?
Harald Grethe: Das Ziel an sich ist gut. Aber es reicht ja nicht, Ziele zu proklamieren: Es zeichnet sich bisher nicht ab, dass dieses Ziel hinreichend mit ad?quaten Ma?nahmen und politischen Instrumenten unterlegt wird. So taucht z.B. im parallel verabschiedeten ?Klimapakt Deutschland“ eine der zentralen Stellschrauben für eine Verringerung der Treibhausgasemissionen, ?Verringerung des Konsums und der Produktion tierischer Produkte“, nicht einmal auf. Ebenfalls wird die Gestaltung einer vernünftigen Düngepolitik zur Verringerung der Stickstoffüberschüsse seit vielen Jahren verschleppt – wir haben heute, im Jahr 2021, noch nicht einmal das Ziel der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie für das Jahr 2010 erreicht. Au?erdem fehlen Treibhausgas-Minderungsziele für 2040 und 2045. Und für die Reduktion der Emissionen aus der landwirtschaftlichen Bodennutzung, die mit nahezu 40 Mio. t noch zu den Emissionen aus der Landwirtschaft hinzukommen, gibt es überhaupt keine politischen Ziele.
Soweit Ihre Kritik - aber was sind Ihre konkreten Handlungsvorschl?ge- auch für die Zeit nach 2030?
Grethe: Ein Ziel für 2045 formulieren - unser Vorschlag heisst 40 Mio. t für die Landwirtschaft und unter 10?Mio. t für die landwirtschaftliche Bodennutzung. Und natürlich Meilensteine auf dem Weg dorthin definieren, die zentralen Ma?nahmen anpacken. Das sind drei: Die Stickstoffeffizienz verbessern, den? Konsum und Produktion tierischer Produkte verringern und Moore wiedervern?ssen. Das alles?? mit wirksamen politischen Instrumenten unterlegen. Also einzelbetriebliche Stickstoffbilanzierung, Stickstoffsteuer, Ern?hrungsumgebungen gestalten, Moorschutzstrategie erarbeiten und umsetzen. Kurzum: Eine wirkliche Klimaschutzstrategie für das Agrar- und Ern?hrungssystem entwickeln und umsetzen, statt den Handlungsbedarf immer weiter in die Zukunft zu verschieben.
Die Diskussion um die Stickstoffdüngung gibt es nun schon seit Jahrzehnten. Was genau schlagen Sie als L?sung vor?
Ferike Thom: Genau, die Diskussion ist nicht neu. Aber es gibt nach wie vor keine Instrumente, die die Stickstoffbelastung der Umweltmedien hinreichend reduzieren. Deswegen schlagen wir sowohl eine Bilanzierung und Begrenzung der Stickstoffüberschüsse auf 三亿体育·(中国)官方网站sebene vor als auch eine Besteuerung von Stickstoff in mineralischen Düngemitteln. Die Bilanzierung ist das zielgenauere Instrument, da es auf die tats?chlichen ?berschüsse abzielt. Allerdings braucht es einigen zeitlichen Vorlauf, bis diese Stickstoffbilanzierung eingeführt ist und Wirkung zeigt. Die Stickstoffsteuer ist unkomplizierter einzuführen und k?nnte die ?berschüsse entsprechend schneller reduzieren. Das ist nicht nur aufgrund der Klimawirkung des entstehenden Lachgases n?tig, sondern auch um die negativen Auswirkungen auf Gew?sser, Biodiversit?t und Atemluft zu reduzieren.
Der zweiten Vorschlag - weniger Fleischkonsum - k?nnte heute schon umgesetzt werden. Wie wollen Sie Konsument:innen ganz praktisch erreichen?
Grethe: Das ist angesichts bestehender Konsumgewohnheiten eine riesengro?e Herausforderung – ein Kulturwandel. Als allererstes sollte die Politik den Mut aufbringen, eine Verringerung des Konsums überhaupt als politisches Ziel zu proklamieren. Und zwar ohne grunds?tzliche Diskreditierung der Produkte: Die sind an sich nicht schlecht. Nur die Mengen sind? einfach zu hoch – unser Ern?hrungsstil ist global nicht kopierbar. Wir brauchen deshalb mehr, als nur die klassischen Informationskampagnen: Einen breiten Politikmix. Die ?ffentliche Gemeinschaftsverpflegung sollte vorangehen, auch in den Mensen der Universit?ten, und den Anteil tierischer Produkte an der Gesamtversorgung verringern. Ebenfalls brauchen wir Bildungsangebote in Kitas und Schulen, am besten in Verbindung mit einer nachhaltigen und m?glichst beitragsfreien Verpflegung. Wichtig w?re auch die Einführung eines staatlichen Klimalabels für Nahrungsmittel, um den Konsument*innen mehr Orientierung und damit letztendlich mehr Wahlm?glichkeiten zu er?ffnen. Und schlie?lich brauchen wir den Mut, Preisanreize zu setzen - und die Gründe hierfür klar zu kommunizieren. Als ersten Schritt empfehlen wir die sofortige Ausnahme tierischer Produkte vom reduzierten Umsatzsteuersatz, also 19% statt 7%. Das ist alles nichts Neues: Ich habe bis 2020 in einem Wissenschaftlichen Beirat beim BMEL mitgearbeitet und wir haben entsprechende Vorschl?ge vorgelegt: Faire Ern?hrungsumgebungen gestalten.
Moore wiedervern?ssen - was hat es mit dieser Idee auf sich?
Grethe: Moorb?den umfassen knapp 7 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfl?che in Deutschland. Ihre trockene Nutzung verursacht aufgrund der Mineralisierung der Torfb?den etwa 40% der gesamten Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft und der landwirtschaftlichen Bodennutzung. Nochmal: Auf 7 Prozent der Fl?che entstehen 40 Prozent der Emissionen! Hieraus folgt: Die Fl?chen sollten weitgehend wiedervern?sst werden – aus volkswirtschaftlicher Perspektive ist das ganz eindeutig. Dann kann man aber keine traditionelle Landwirtschaft mehr betreiben, sondern die Fl?chen nur noch ?nass nutzen“. So eine Transformation geht nur in enger Kooperation mit Fl?cheneigentümer*innen und -nutzer*innen sowie Bewohner:innen in Moorgebieten. Denen muss man alternative Einkommensm?glichkeiten er?ffnen, z.B. durch Freifl?chenphotovoltaik oder die Produktion nachwachsender Rohstoffe. Beides geht auf wiedervern?ssten Fl?chen. Aber wie schon an anderer Stelle gesagt: Die Politik scheut sich, die Herausforderung anzugehen und bisherige politische Entwürfe für eine Strategie werden der Herausforderung nicht ann?hernd gerecht. Genau wie beim Rückbau von Konsum und Produktion tierischer Produkte, haben die politischen Entscheidungstr?ger*innen also noch nicht einmal das relevante Ziel proklamiert: Weitgehende Wiedervern?ssung!
Warum genau halten Sie Freifl?chenphotovoltaik auf Moor für so eine gute Idee?
Thom: Dass wir für eine wirksame Klimapolitik so schnell wie m?glich von fossilen auf erneuerbare Energien umsteigen müssen, ist unbestritten. Wenn wir die freiwerdenden Moorfl?chen durch Photovoltaik nutzen, erreichen wir dieses Ziel schneller. Und wir k?nnen den Druck auf Fl?chen verringern, die eigentlich in der landwirtschaftlichen Nutzung oder im Naturschutz wertvoller w?ren.
Photovoltaik auf wiedervern?ssten Moorfl?chen h?tte eine doppelt positive Wirkung für das Klima: Emissionen werden zum einen durch die Wiedervern?ssung vermieden, zum anderen durch die Bereitstellung erneuerbarer Energien. Das w?re quasi intensive Klimawirtschaft, etwas, das wir neben der Landwirtschaft und dem klassischen Natur- und Artenschutz als Nutzungsform dringend etablieren sollten. Dafür braucht es die entsprechende gesetzliche Flankierung, etwa durch eine Anpassung des EEG und im Planungsrecht.
Kurz zum Abschluss: Welche Wirkung erhoffen Sie sich vom heute ver?ffentlichten Gutachten?
Grethe: Ich bin recht bescheiden, was die direkte Wirkung auf die Politik angeht. Politik ist ja zum Gro?teil nicht ?schlecht informiert“. Sondern sie verfolgt h?ufig einfach Interessen der eigenen Klientel. Im Agrarsektor ist mein Eindruck zunehmend: Es sind eigentlich eher ?vermeintliche“ Interessen, denn die Landwirtschaft ger?t so zwischen die R?der. Die Agrarpolitik wird in Deutschland zunehmend getrieben von Verfassungsklagen, Klagen der Europ?ischen Kommission und Volksbegehren. Einerseits ist das zu begrü?en: Wo eine parlamentarische Demokratie schlecht funktioniert, braucht es Korrektive. Aber für Landwirt*innen ist das eine Achterbahnfahrt, weil der Transformationsprozess sprunghaft, in der Düngepolitik geradezu erratisch und ohne von der Politik klar formulierte Ziele verl?uft. Die Unsicherheit im Sektor ist entsprechend gro?. Das ist ja nicht nur im Klimaschutz so, sondern zum Beispiel auch in der Tierwohldebatte, wo wir jetzt sogar von einer breiten Stakeholderkommission getragene Empfehlungen haben, die Politik aber einfach nicht die Gestaltungskraft aufbringt, vor dem Wahlkampf in die Umsetzung zu kommen.
Thom: Ich hoffe, dass wir mit dem Gutachten klar machen k?nnen, was die richtigen Schwerpunkte einer wirkungsvollen Klimapolitik im landwirtschaftlichen Sektor w?ren – nicht nur unter den Fachpolitiker*innen, sondern auch in der interessierten ?ffentlichkeit. Programmen, die die drei Stellschrauben Stickstoffdüngung, Reduktion bei den tierischen Produkten und Moorvern?ssung nicht aufgreifen, wird die Durchschlagskraft fehlen, die wir im Klimaschutz dringend brauchen.
Grethe: Meine Hoffnung, dass wir mit diesem Gutachten dafür werben k?nnen, den gegenw?rtigen Transformationsherausforderungen proaktiver zu begegnen, sowohl in der Landwirtschaft wie auch in der Politik. Ich meine, dass die Zeit reif ist für einen neuen gesellschaftlichen Grundkonsens: Wir honorieren als Gesellschaft die Landwirtschaft, finanziell wie auch in Form von Wertsch?tzung, für die Erbringung der Gemeinwohlleistungen, die wir haben wollen: Umweltschutz, Klimaschutz, Tierschutz. Der Preis dafür ist: Abschied vom gegenw?rtigen Subventionssystem und proaktive Teilnahme an den gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsdebatten. Ich meine, ein solcher Grundkonsens w?re diesen Preis wert!
Das Interview führte Frank Aischmann
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Gutachten ?Klimaschutz im Agrar- und Ern?hrungssystem Deutschlands“