Presseportal

Phagen-Kapsid gegen Influenza: Passgenauer Inhibitor verhindert virale Infektion

Ein neuer Ansatz macht Hoffnung auf neue Therapieoptionen gegen die saisonale Influenza und Vogelgrippe: Berliner Forscher haben auf Basis einer leeren und damit nicht-infekti?sen Hülle eines Phagen-Virus ein chemisch modifiziertes Phagen-Kapsid entwickelt, das den Influenzaviren sprichw?rtlich die Luft zum Atmen nimmt. Durch passgenaue Bindungsstellen werden die Influenzaviren so von den Phagen-Kapsiden umhüllt, dass sie die Lungenzellen praktisch nicht mehr infizieren k?nnen. Das belegen pr?klinische Tests, unter anderem an menschlichem Lungengewebe. An der bahnbrechenden Arbeit waren Forscher des Leibniz-Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie (FMP), der Freien Universit?t Berlin (FU), der Technischen Universit?t Berlin (TU), der Humboldt Universit?t (HU), des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Charité beteiligt. Im Fachmagazin ?Nature Nanotechnology“ sind die vielversprechenden Ergebnisse jetzt publiziert, deren hoffnungsvolles Potenzial unmittelbar in der Coronavirus-Forschung genutzt werden.

Influenzaviren sind nach wie vor hoch gef?hrlich: Laut Sch?tzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sterben weltweit jedes Jahr bis zu 650.000 Menschen an der Grippe. Bisherige antivirale Medikamente sind nur bedingt wirksam, da sie das Grippevirus erst angreifen, wenn es die Lungenzellen bereits infiziert hat. Wünschenswert und weitaus effektiver w?re es, die Infektion von vornherein zu verhindern.?

Genau das verspricht der neue Ansatz aus Berlin. Das von einem multidisziplin?ren Forscherteam entwickelte Phagen-Kapsid hüllt Grippeviren so ma?geschneidert ein, dass sie die Zellen gar nicht erst infizieren k?nnen. ?Nach bisherigen pr?klinischen Tests k?nnen wir sowohl saisonale Influenzaviren als auch Vogelgrippeviren mit unserer chemisch modifizierten Phagenhülle unsch?dlich machen“, erl?utert Prof. Dr. Christian Hackenberger, Leiter der Abteilung Chemische Biologie am Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und Leibniz-Humboldt Professor für Chemische Biologie an der HU Berlin. ?Das ist ein gro?er Erfolg, der v?llig neue Perspektiven für die Entwicklung neuer antiviraler Medikamente bietet.“?

Multiple Bindungen passen wie ein Klettband

Der neue Inhibitor macht sich eine Eigenschaft zu Nutze, den s?mtliche Influenzaviren besitzen: Auf den Virus-Oberfl?chen befinden sich drei-bindige (trivalente) Rezeptoren, die sogenannten H?magglutinin Proteine, die an Zuckermoleküle (Sialins?uren) auf der Oberfl?che von Zellen des Lungengewebes binden. Im Falle einer Ansteckung haken sich die Viren - ?hnlich wie bei einem Klettverschluss – bei ihrem Opfer, den Lungenzellen, ein. Das Grundprinzip ist hier, dass diese Interaktionen nicht durch eine einzelne, sondern multiple Bindungen erfolgen.?

Es war die Oberfl?chenstruktur der Grippeviren, welche die Forscher vor mehr als sechs Jahren zu folgender Ausgangsfrage inspirierte: K?nnte man nicht einen Inhibitor entwickeln, der passgenau an die trivalenten Rezeptoren bindet und somit die Oberfl?che der Lungengewebszellen vort?uschen kann??

Tats?chlich kann man das, wie man heute wei?, und zwar mit Hilfe eines harmlosen Darmbewohners: Der Q-beta-Phage besitzt perfekte Oberfl?cheneigenschaften und eignet sich hervorragend, um es mit Liganden – in diesem Falle Zuckermoleküle – als ?K?der“ zu bestücken. Dafür reicht die leere Phagenhülle aus. ?Unser multivalentes Gerüstmolekül ist nicht infekti?s und besteht aus 180 identischen Proteinen, die genau den gleichen Abstand aufweisen wie die trivalenten Rezeptoren des H?magglutinins auf der Virusoberfl?che“, erkl?rt Dr. Daniel Lauster, ehemaliger Doktorand der AG Molekulare Biophysik (HU) und heute Postdoktorand an der FU Berlin. ?Somit besitzt es ideale Ausgangsbedingungen, um das Grippevirus zu t?uschen – oder genauer gesagt, um r?umlich passgenau daran zu binden. Wir schalten das Grippevirus also mithilfe eines Phagen-Virus aus!“?

Damit das Q-beta-Gerüst die gewünschte Aufgabe erfüllen kann, muss es erst chemisch modifiziert werden. Produziert an der TU Berlin aus?E. coli-Bakterien, bringt die Arbeitsgruppe von Prof. Hackenberger am FMP und der HU Berlin mit Hilfe der Synthesechemie Zuckermoleküle an definierten Positionen der Virushülle an.?

Virus wird get?uscht und eingehüllt

Dass die so aufgerüstete kugelf?rmige Struktur eine gro?e Bindungsst?rke und Hemmpotenzial besitzt, das wurde in etlichen Untersuchungen am Tiermodell und in Zellkulturen nachgewiesen. Das Robert Koch-Institut in Berlin erm?glichte es dieser Studie, auch das antivirale Potenzial der Phagen-Kapside gegen viele aktuelle Influenza Virusst?mme und sogar gegen Vogelgrippeviren zu untersuchen. Sein therapeutisches Potenzial hat es sogar an menschlichem Lungengewebe bewiesen, wie die Forscherkollegen der Medizinischen Klinik für Infektiologie und Pneumologie der Charité zeigen konnten: Wurde das Gewebe mit Grippeviren infiziert und mit dem Phagen-Kapsid behandelt, konnten sich die Influenzaviren praktisch nicht mehr vermehren.?

Gestützt werden die Ergebnisse durch einen strukturellen Nachweis, den FU-Wissenschaftler aus dem Forschungszentrum für Elektronenmikroskopie (FZEM) erbringen konnten:??Hochaufl?sende Kryo-Elektronenmikroskopie und Kryo-Elektronentomographie zeigen direkt und vor allem r?umlich, dass der Inhibitor das Virus vollst?ndig einkapselt. Mit mathematisch-physikalischen Modellen wurde au?erdem die Interaktion zwischen Influenzaviren und dem Phagen-Kapsid im Computer simuliert. ?Unsere Computer-gestützten Berechnungen zeigen, dass der rational entworfene Inhibitor in der Tat an das H?magglutinin bindet und das Influenzavirus komplett einhüllt“, best?tigt Dr. Susanne Liese von der AG Netz der FU Berlin. ?Damit konnte die hohe Bindungsst?rke auch mathematisch beschrieben und erkl?rt werden.“

Therapeutisches Potenzial muss weiter erforscht werden?

Weitere pr?klinische Untersuchungen müssen nun folgen. Noch wei? man zum Beispiel nicht, ob das Phagen-Kapsid eine Immunantwort in S?ugetieren provoziert. Bestenfalls k?nnte diese die Wirkung des Inhibitors noch verst?rken. M?glich ist aber auch, dass eine Immunantwort die Wirksamkeit der Phagenkapside bei wiederholter Gabe herabsetzt oder dass die Grippeviren Resistenzen entwickeln. Und natürlich fehlt noch der Beweis, dass der Inhibitor auch im Menschen wirksam ist.?

Doch die Berliner Forscher-Allianz bescheinigt dem Ansatz gro?es Potenzial. ?Unser rational entwickelter, dreidimensionaler, multivalenter Inhibitor weist in eine neue Richtung hin zur Entwicklung strukturell anpassbarer Influenzavirusbinder. Das wurde so noch nie in der Multivalenzforschung erreicht“, betont Prof. Hackenberger. Biologisch abbaubar, nicht toxisch und in Zellkulturstudien nicht immunogen, lasse sich dieser Ansatz prinzipiell auch auf andere Viren und m?glicherweise auch auf Bakterien anwenden, meint der Chemiker. Es liegt auf der Hand, dass die Autoren eine Anwendung ihres Ansatzes auf das aktuelle Coronavirus als ihre neue Herausforderung betrachten. Die Idee dabei ist, dass ein Wirkstoff entwickelt wird, der die Bindung von Coronaviren an die im Rachenraum und den nachfolgenden Atemwegen befindlichen Wirtszellen und somit deren Infektion verhindert.

Gelebte Berlin University Alliance

Entscheidend für die Entdeckung des neuen Influenza-Inhibitors war das Zusammenwirken von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen. Biologen, Chemiker, Physiker, Virologen, Mediziner und Bildgebungsspezialisten der drei Berliner Universit?ten HU, FU und TU, dem Robert Koch- Institut, der Charité und nicht zuletzt dem FMP waren beteiligt. ?Ein derart aufw?ndiges Projekt war meiner Ansicht nach nur in Berlin m?glich, wo es wirklich zu jeder Fragestellung den passenden Experten gibt“, sagt Prof. Dr. Andreas Herrmann, Leiter Molekulare Biophysik an der HU Berlin. ?Das war gelebte Berlin University Alliance“, fügt er hinzu, ?und ich hoffe, dass die Folge-Studien ebenso erfolgreich sein werden.“?

Das Projekt wurde im Sonderforschungsbereich 765 (Sprecher Prof. Dr. Rainer Haag, FU Berlin) der Deutschen Forschungsgemeinschaft gef?rdert.

Publikation

Daniel Lauster, Simon Klenk, Kai Ludwig, Saba Nojoumi, Sandra Behren, Lutz Adam, Marlena Stadtmüller, Sandra Saenger, Stephanie Franz, Katja H?nzke, Ling Yao, Ute Hoffmann, Markus Bardua, Alf Hamann, Martin Witzenrath, Leif E. Sander, Thorsten Wolff, Andreas C. Hocke, Stefan Hippenstiel, Sacha De Carlo, Jens Neudecker, Klaus Osterrieder, Nediljko Budisa, Roland R. Netz, Christoph B?ttcher, Susanne Liese, Andreas Herrmann, Christian P. R. Hackenberger.?Phage capsid nanoparticles with defined ligand arrangement block influenza virus entry.?Nature Nanotechnology DOI?10.1038/s41565-020-0660-2

https://www.nature.com/articles/s41565-020-0660-2

?

三亿体育·(中国)官方网站?

Prof. Dr. Christian Hackenberger
Chemische Biologie?
Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP)
hackenbe@fmp-berlin.de
Tel.: + 49 30 94793 181
https://www.leibniz-fmp.de/hackenbe

Prof. Dr. Andreas Herrmann
Molekulare Biophysik, Institut für Biologie, IRI Life Sciences?
Humboldt-Universit?t zu Berlin
andreas.herrmann@rz.hu-berlin.de
Tel.: + 49 30 2093 8860

?ffentlichkeitsarbeit
Silke O?wald
Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP)
Tel.: +49-30-94793-104
E-Mail: osswald@fmp-berlin.de