Schmelzende Gletscher: ?Die Gesellschaft ist sich der gro?en Auswirkungen noch nicht bewusst“

Tobias Sauter bereitet atmosph?rische Messungen mit
einem Wetterballon über dem Hintereisferner, einem
Gletscher in den ?tztaler Alpen in Tirol, ?sterreich, vor.
Mit einem an den Ballon angebrachten Sensor lassen sich
Temperatur, Feuchte und Luftdruck messen.
Foto: Alexander Georgi
Der Welttag der Gletscher am 21. M?rz 2025 wird im erstmals ausgerufenen ?Jahr zum Erhalt der Gletscher“ zusammen mit dem Weltwassertag begangen. Die Vereinten Nationen wollen damit auf Folgen der Gletscherschmelze für die Wasserversorgung aufmerksam machen. Der Geograf und Meteorologe Prof. Dr. Tobias Sauter vom Geographischen Institut der HU erkl?rt die Zusammenh?nge und berichtet von seiner Feldforschung in Zentralasien.
Herr Sauter. Sie sind Gastprofessor am Geographischen Institut der Humboldt-Universit?t im Bereich Klimageographie und forschen zu Gletschern. Was genau untersuchen sie als Klimaforscher?
Dr. Tobias Sauter: Ich bin Geograf und Meteorologe, habe mich aber auf Hochgebirgsr?ume und Gletscher spezialisiert. ?Wir untersuchen, wie sich die Gletschermassen in der Vergangenheit ver?ndert haben und wie sie sich in Zukunft noch ver?ndern werden. Wir fragen uns auch, wie Gletscher mit der Atmosph?re wechselwirken.
Zuletzt haben Forscher*innen herausgefunden, dass das gr?nl?ndische Eis schneller schmilzt als erwartet. Wie ist der Zustand der Gletscherschmelze weltweit?
Sauter: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts beobachten wir, dass weltweit alle Gletscher abschmelzen. Es gab zwar regionale und kurzfristige Gletschervorst??e, aber seit den 90er Jahren schmelzen die Gletscher relativ schnell ab. In Zukunft gehen wir davon aus, dass sich die Abschmelzraten weiter beschleunigen werden. Für die Alpen sch?tzt man, dass Ende des Jahrhunderts nur noch zehn bis 30?Prozent der heutigen Gletscher vorhanden sein werden. Selbst die gro?en Gletscher im Himalaya werden nur noch zu 60?Prozent da sein.
Die Gletscherschmelze führt zu Wasserknappheit in den Gemeinden, die vom Wasser der Gletscher leben. Das klingt erstmal paradox. Wann k?nnte erwarten, dass die Menschen durch die Gletscherschmelze mehr Wasser zur Verfügung haben. K?nnen Sie das erkl?ren?
Sauter: Einerseits sehen wir, dass die gro?en Flüsse durch die Gletscherschmelze heute mehr Wasser führen. Irgendwann ist aber der sogenannte ?Peak Water“ erreicht, also der maximale Beitrag des Schmelzwassers. Danach nimmt dieser Beitrag wieder ab. Die Frage ist nun: Wann tritt dieses Maximum ein? Das ist regional sehr unterschiedlich. In den Alpen und in Europa haben wir diesen ?Peak Water“ bereits überschritten, das war irgendwann zwischen 2000 und 2010. Wir sehen an Flusssystemen wie der Rh?ne, dass sie heute schon weniger Wasser führt. Das meiste Wasser ist in Form von Gletschern und Eis in der gr??ten Gebirgskette der Erde gespeichert, die sich vom tibetischen Hochplateau über den Himalaya bis zum Pamir und Hindukusch erstreckt. Hier wird der ?Peak Water“ vermutlich zwischen den Jahren 2030 und 2050 auftreten.
Das ist nicht mehr so lange hin.
Sauter: Das ist richtig. In dieser Region ist die Entwicklung besonders kritisch, denn im Einzugsgebiet von Ganges, Brahmaputra und Indus leben mehr als eine Milliarde Menschen. Dort wird es in Zukunft mit Sicherheit zu Wasserknappheit und wahrscheinlich auch zu Konflikten kommen. In Kirgisistan und Usbekistan ist dies bereits zu beobachten. Im Grenzgebiet kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen, weil Kirgisistan im Oberlauf des Flusses das Wasser zurückh?lt und damit Usbekistan die Wasserversorgung abschneidet.

W?hrend der n?chtlichen Feldarbeit auf dem Hintereisferner
(?sterreich). Hier wird die Durchmischung der Atmosph?re mit
einem Hochleistungslaser gemessen. Foto: Alexander Georgi
Laut UN sind mehr als 2 Milliarden Menschen weltweit abh?ngig von Trinkwasser durch Gletscher und Schneeschmelze. Was kann denn im Angesicht der drohenden Wasserknappheit für diese Menschen getan werden?
Sauter: Das ist ein schwieriges Thema. Natürlich kann man Staud?mme bauen, aber damit verschwinden auch viele ?kosysteme. Das ist ein gro?er Verlust für die Biodiversit?t. Andere Ans?tze zielen auf ein adaptives Wassermanagement. Das hei?t, man versucht das Wasser mehrfach zu nutzen, zum Beispiel zum einen für die Energieversorgung, zum anderen für die Landwirtschaft oder für die Wirtschaft. Am besten w?re es, das Wasser danach wieder in das System zurückzuführen. Aber eine richtig gute L?sung gibt es noch nicht. Wenn die Wasserreserven weg sind, sind die Wasserreserven weg. Hinzu kommt, dass in den meisten Gebirgsregionen die Niederschl?ge in Zukunft abnehmen werden. Das führt zu noch weniger Wasser in den Flusssystemen.
Sie sind auch vor Ort unterwegs unter anderem im Pamirgebirge in Zentralasien und in Patagonien. Warum sind solche Forschungsreisen wichtig?
Sauter: Feldmessungen sind generell wichtig, da es zum Teil nur sehr wenige 三亿体育·(中国)官方网站 gibt. Wir haben nur an wenigen Stellen auf der Welt wirklich detaillierte Messungen über lange Zeitr?ume. Wir schauen uns natürlich Regionen an, die potenzielle Hotspots in Bezug auf Klimawandel und Wasserknappheit werden k?nnten. Wenn wir ein bisschen dazu beitragen k?nnen, nachhaltige Anpassungsstrategien zu entwickeln, dann haben wir schon viel gewonnen. ?
Sie arbeiten am Projekt Climwater mit, einem Kooperationsprojekt, das in Usbekistan die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wasser-Ressourcen untersucht. Wie tragen dort die Forschungsergebnisse dazu bei, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern?
Sauter:?Usbekistan betreibt haupts?chlich Landwirtschaft mit künstlicher Bew?sserung. Vor einigen Jahren wurde dort noch relativ viel Baumwolle angebaut, die sehr viel Wasser ben?tigt. Inzwischen hat man auf Produkte wie Winterweizen und auf eine andere Anbauform umgestellt, bei der weniger Wasser verbraucht wird. Gemeinsam mit unseren lokalen Partnern schauen wir, wie man Landwirtschaft dort nachhaltig entwickeln und an die schwindenden Wasserressourcen anpassen kann. Ich finde es wichtig, dass wir nicht nur für die kleine Kammer forschen, sondern dass die Ergebnisse auch in die Politik einflie?en.

Feldforschung in Südamerika: Basislager auf dem Patagonischen
Inlandeis. Foto: Tobias Sauter
Am 21. M?rz wird erstmals der Welttag der Gletscher gefeiert, 2025 wurde als Jahr zum Erhalt der Gletscher ausgerufen. Welche positiven Effekte erwarten Sie von diesen Kampagnen?
Sauter: Ich finde die Initiative der Vereinten Nationen sehr gut und wichtig. Ziel ist es, das Bewusstsein für die kritische Rolle der Gletscher zu sch?rfen. ?Andererseits m?chte man auch die sozialen und ?kologischen Auswirkungen der bevorstehenden Ver?nderungen in der Kryosph?re, also der Gesamtheit der Wasser- und Eisvorkommen, thematisieren. Das ist gut so, denn die Gesellschaft ist sich der gro?en Auswirkungen dieser Ver?nderungen auf die Gesellschaft noch nicht bewusst.
Im Oktober wird eine neue Ausstellung der Berlin University Alliance ?On Water. WasserWissen in Berlin“ im Humboldt Labor er?ffnet. Wie k?nnen solche Ausstellungen zur Aufkl?rung beitragen?
Sauter: Ausstellungen, ?ffentliche Vortr?ge, Podiumsdiskussionen, Fernsehdokumentationen, Interviews und Pressearbeit zu Klimawandel und Gletschern spielen eine entscheidende Rolle, da sie eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft schlagen. Sie machen die Auswirkungen des Klimawandels greifbar und schaffen ein Bewusstsein für die Ver?nderungen in der Kryosph?re. Besonders spannend ist, dass solche Ausstellungen Menschen aus verschiedenen Altersgruppen und Hintergründen ansprechen und sie motivieren k?nnen, sich intensiver mit dem Thema zu besch?ftigen. In der kommenden Ausstellung zum Thema Wasser werden aktuelle Forschungsergebnisse pr?sentiert, die direkte Einblicke in wissenschaftliche Projekte geben. Wenn ein Teil meiner eigenen Forschung dort gezeigt wird, freut es mich besonders, weil die wissenschaftliche Arbeit so einer breiten ?ffentlichkeit zug?nglich gemacht wird. Solche Ausstellungen sind wertvoll, um L?sungsans?tze für den Umgang mit Wasserknappheit und Klimaanpassung zu diskutieren und Handlungsm?glichkeiten aufzuzeigen.
Die Fragen stellte Ina Friebe.