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Zu schnell zum Sehen: Augenbewegungen sagen Geschwindigkeitsgrenzen der Wahrnehmung voraus

Studie des Exzellenzclusters ?Science of Intelligence“ zeigt, dass das Sehverm?gen nicht nur durch biophysikalische Grenzen, sondern auch durch K?rperbewegungen definiert wird
Alternativtext

Laut einer Studie von Prof. Dr. Martin Rolfs vom Institut
für Psychologie der HU und Kolleg*innen am
Exzellenzclusters Science of Intelligence (TU Berlin)
werden visuelle Reize – wie sie beispielsweise der Anblick
eines herumflitzendes Streifenh?rnchen verursachen –
für uns unsichtbar, wenn sich die Objekte mit einer
Geschwindigkeit, Dauer und Entfernung bewegen, die
denen einer unserer Sakkaden entsprechen.
Foto: Streifenh?rnchen im Erindale Park, Ontario, Kanada,
Wikimedia, CC BY Oleksii Voronin, rechte Seite des
Bildes neugestaltet

Wenn man eine Kamera schnell von einem Objekt zu einem anderen bewegt, verursacht die abrupte Verschiebung eine Unsch?rfe in der Aufnahme, die Betrachter*innen sogar ?belkeit bereiten kann. Unsere Augen führen solche schnellen Bewegungen, sogenannte Sakkaden, jedoch tats?chlich zwei- oder dreimal pro Sekunde aus. Doch obwohl sich der visuelle Reiz w?hrend einer Sakkade über die Netzhaut bewegt, nehmen wir die Verschiebung nicht wahr.

Laut einer in der Fachzeitschrift Nature Communications ver?ffentlichten Studie von Prof. Dr. Martin Rolfs vom Institut für Psychologie der Humboldt-Universit?t zu Berlin (HU) und Kolleg*innen am Exzellenzclusters Science of Intelligence (TU Berlin) werden visuelle Reize – wie sie beispielsweise der Anblick eines herumflitzendes Streifenh?rnchen oder eines mit voller Wucht getroffener Tennisballs verursachen – unsichtbar, wenn sich die Objekte mit einer Geschwindigkeit, Dauer und Entfernung bewegen, die denen einer unserer Sakkaden entsprechen. Die Geschwindigkeit der Sakkaden sagt in diesem Fall offenbar die Geschwindigkeitsgrenze unseres Sehverm?gens vorher. Dies deutet darauf hin, dass die Eigenschaften des menschlichen Sehsystems am besten im Zusammenhang mit den Bewegungen unserer Augen verstanden werden k?nnen.

Unsere Bewegungen pr?gen unsere Wahrnehmung

?Welche Teile der physikalischen Welt wir wahrnehmen k?nnen, h?ngt im Wesentlichen davon ab, wie gut unsere Sensoren sind“, erkl?rt Martin Rolfs, der Hauptautor der Studie. ?Wir sehen zum Beispiel kein Infrarotlicht, weil unsere Augen dafür nicht empfindlich sind, und wir sehen kein Flimmern auf unseren Bildschirmen, weil sie mit h?heren Frequenzen flimmern, als unsere Augen aufl?sen k?nnen. In dieser Arbeit zeigen wir jedoch, dass die Grenzen des Sehens nicht nur durch diese biophysikalischen Einschr?nkungen definiert werden, sondern auch durch die Handlungen und Bewegungen, die sich direkt auf das sensorische System auswirken. Um dies zu zeigen, haben wir die schnellsten und h?ufigsten Bewegungen des K?rpers verwendet — die sakkadischen Augenbewegungen, die Menschen mehr als hunderttausend Mal pro Tag ausführen.“ Da sich die Geschwindigkeit dieser Augenbewegungen von Person zu Person unterscheidet, k?nnen Menschen, die besonders schnelle Augenbewegungen machen, auch Objekte sehen, die sich mit h?herer Geschwindigkeit bewegen. Das k?nnte bedeuten, dass die besten Baseballspieler*innen, Action-Videospieler*innen oder Tierfotograf*innen diejenigen sind, die schnellere Augenbewegungen haben.

Sakkaden: Eine Bewegung, die wir nicht wahrnehmen

?hnlich wie eine Kamerabewegung in einem Film, erzeugen Sakkaden Bewegungsmuster auf der Netzhaut. ?Aber wir nehmen diese Bewegung nie bewusst wahr“, sagt Rolfs. ?Wir haben gezeigt, dass Reize, die denselben, sehr spezifischen Bewegungsmustern wie Sakkaden folgen – w?hrend Menschen ihren Blick starr an einem Ort halten –, ebenfalls unsichtbar werden. Das deutet darauf hin, dass die Kinematik unserer Handlungen, hier Sakkaden, den Zugang eines sensorischen Systems zur physischen Welt um uns herum grundlegend einschr?nkt.“ Dies, so Rolfs, k?nne man als intelligente Eigenschaft des visuellen Systems interpretieren, da es zwar für schnelle Bewegungen empfindlich bleibt, aber nur bis zu Geschwindigkeiten, die sich speziell aus Sakkaden ergeben. ?Vereinfacht ausgedrückt, lassen sich die Eigenschaften eines sensorischen Systems wie des menschlichen Sehsystems am besten im Zusammenhang mit der Kinematik der Handlungen verstehen, die seinen Input, in diesem Fall schnelle Augenbewegungen, steuern“, so Rolfs.

Fein aufeinander abgestimmte Systeme

?Unser visuelles und motorisches System sind fein aufeinander abgestimmt, aber das wurde lange Zeit ignoriert“, sagt Martin Rolfs. ?Eines der Probleme ist, dass die Leute, die sich mit motorischer Kontrolle besch?ftigen, nicht dieselben sind, die sich mit Wahrnehmung besch?ftigen. Sie nehmen an verschiedenen Konferenzen teil, ver?ffentlichen in verschiedenen Zeitschriften – aber sie sollten miteinander reden!“ Diese Studie legt nahe, dass unser visuelles System erkennen kann, wenn sich ein Reiz auf eine Weise bewegt, die unseren eigenen Augenbewegungen ?hnelt, und dann die bewusste Wahrnehmung dieser Bewegung herausfiltert. Damit wird ein bisher unbekannter Mechanismus aufgezeigt, der erkl?rt, warum wir bei Augenbewegungen nicht den visuellen Unsch?rfeeffekt wahrnehmen, wie wir es bei der Verwendung einer Kamera tun würden.

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Fachartikel in Nature Communications:? Rolfs, M., Schweitzer, R., Castet, E. et al. Lawful kinematics link eye movements to the limits of high-speed perception.

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Prof. Dr. Martin Rolfs
Institut für Psychologie der Humboldt-Universit?t zu Berlin

martin.rolfs@hu-berlin.de