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Schr?dinger: Neue Erkenntnisse zu einer aufgeheizten Debatte

Gegen den Physiker Erwin Schr?dinger wurden schwere Vorwürfe erhoben – die Wissenschaftler*innen Magdalena und Martin Gronau pr?sentierten bei einem Vortrag in Adlershof am 18. November nach Einsicht in die bisher gesperrten Tagebücher Schr?dingers neue Erkenntnisse.
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In ihrem Vortrag besch?ftigten sich Magdalena und Martin Gronau
besonders mit der Perspektive der betroffenen Frauen.
Foto: Peter Kronenberg

Im Zuge der Debatte um eine m?gliche Umbenennung des Erwin-Schr?dinger-Zentrums an der Humboldt-Universit?t wurde wiederholt kritisiert, dass sich die Missbrauchsvorwürfe gegen Schr?dinger auf eine sehr dünne Faktenlage stützen – vor allem, weil die Tagebücher Schr?dingers von der Familie unter Verschluss gehalten werden.

Bereits bei der Diskussionsveranstaltung im Februar 2024 am Campus Adlershof hatten viele der Teilnehmenden sich eine bessere Faktenlage gewünscht. Die Missbrauchsvorwürfe basieren n?mlich fast ausschlie?lich auf einer Biographie von 1989, die vom US-amerikanischen Chemiker Walter Moore verfasst wurde und schon bei deren Ver?ffentlichung für seine Unwissenschaftlichkeit kritisiert wurde. Moore schrieb in seinem umfangreichen Buch über Schr?dingers Werdegang als Physiker auch über dessen Liebesleben. Grundlage hierfür waren nach Moores Angaben Schr?dingers Tagebücher und Gespr?che, die Moore mit Familienangeh?rigen, Bekannten und ehemaligen Geliebten von Schr?dinger führte.

Tats?chlich gibt es jedoch eine neue Faktenlage: Wie sich im Nachgang zur Veranstaltung im Februar herausstellte, haben die Wissenschaftler*innen Dr. Dr. Magdalena Gronau und Martin Gronau vom Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin im Rahmen ihres umfangreichen Forschungsprojekts ?Die Philologie der Physiker“ auch die Tagebücher einsehen k?nnen. Sie haben sich eingehend mit diesen und anderen wichtigen Quellen befasst und kommen zu dem Schluss, dass die Missbrauchsvorwürfe gegenüber Schr?dinger nicht berechtigt sind.

In ihrem Vortrag besch?ftigten sich Magdalena und Martin Gronau besonders mit der Perspektive der betroffenen Frauen. Einige Frauen, um die es in der Biographie geht, h?tten einer Ver?ffentlichung nicht zugestimmt und sich über die unsaubere Arbeitsweise von Moore beschwert. So schrieb beispielsweise eine Interviewpartnerin einen Beschwerdebrief an Moore, in dem sie beklagt, er habe Fakten verdreht, tendenzi?s miteinander in Verbindung gesetzt und vieles schlicht falsch dargestellt. Die Familie des Physikers war von dem publizierten Werk, das ihr im Vorfeld nicht zur Freigabe vorgelegt wurde, so erschüttert, dass sie den Nachlass für die ?ffentlichkeit sperrte. Es gab daher bisher keine M?glichkeit zur ?berprüfung von Moores Behauptungen und den darauf basierenden medialen Zuspitzungen.

Tagebücher in vier Sprachen und vier Schriften

Eine weitere wichtige Erkenntnis, die Magdalena und Martin Gronau zur Verwendung der Tagebücher herausgearbeitet haben, ist deren herausfordernder Charakter und die daraus folgende verf?lschende Lektüre durch Moore. Die Tagebücher sind teilweise schlecht erhalten. Schr?dinger schrieb zudem in vier verschiedenen Sprachen (Deutsch, Englisch, Spanisch, Franz?sisch) und wechselte dabei zwischen vier verschiedenen Schriften hin und her (lateinische Schreibschrift, Kurrentschrift, Gabelsberger Kurzschrift, altgriechischen Schriftzeichen). Moore war schlicht nicht in der Lage, die meisten Eintr?ge zu lesen. Seine Erz?hlung fu?t auf den wenigen Stellen, die er entziffern konnte und somit zwangsl?ufig aus dem Kontext riss.

Es ging um Verkehrsregeln, nicht Frauen

Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist ein von Moore verwendetes Tagebuch-Zitat, das in der medialen Debatte um die Missbrauchsvorwürfe gegen Schr?dinger oft aufgegriffen wurde, um zu behaupten, er h?tte seine sexuelle ?bergriffigkeit selbst legitimiert. ?In Germany, if a thing was not allowed, it was forbidden. In England if a thing was not forbidden, it was allowed. In Austria and Ireland, whether it was allowed or forbidden, they did it if they wanted to“, wird Schr?dinger zitiert. Aus der Quellenprüfung von Magdalena und Martin Gronau geht hervor, dass das Zitat aus einem nicht publizierten Vortrag Schr?dingers über kulturelle Differenzen stammt. In der betreffenden Passage reflektiert Schr?dinger aus der Ausl?nderperspektive über Verkehrsregeln in unterschiedlichen L?ndern – und nicht etwa über den Umgang mit Frauen.

Wichtige Fakten für eine Entscheidung

Magdalena und Martin Gronau formulierten abschlie?end die These, dass der Skandal um Erwin Schr?dingers Person das Resultat eines folgenschweren Zusammenwirkens von schlechter wissenschaftlicher Praxis und medialer Skandalisierungskultur sei. Die Missbrauchsvorwürfe beruhten nicht auf neuen Erkenntnissen, sondern auf zugespitzten Neu-Interpretationen einer unwissenschaftlichen Biographie und seien somit unbegründet. Dass das Dubliner Trinity College den Erwin Schr?dinger Vorlesungssaal auf Druck aus der Studierendenschaft zügig umbenannte, ist ein Beispiel für eine nicht quellen- und faktenbasierte Entscheidung in einer eigentlich den Regeln der Wissenschaftlichkeit verpflichteten Einrichtung. Die Forschung von Magdalena und Martin Gronau erm?glicht es der HU, eine fundierte Entscheidung auf Faktenbasis zu treffen. Die Ver?ffentlichung der beiden Wissenschaftler*innen wird in Kürze erwartet.

Autorin: Ina Friebe

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