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Nachruf an Rainer Neumann

Die Universit?t trauert um Rainer Neumann: Der Kanzler, der in den von Ver?nderung gepr?gten neunziger Jahren die HU mitlenkte, ist gestorben. "Er war von einer bezwingenden Sachorientiertheit, die ihm auch bei Gegnern eine Anerkennung verschaffte, die sich in Hochachtung verwandelte", schreibt Horst Bredekamp.

"Sie werden verstehen, dass ich mich fachlich hierzu nicht ?u?ern kann, aber ich gebe folgendes zu bedenken...": Diese Worte Rainer Neumanns sind einer gro?en Zahl jener Professoren, die zwischen 1992 und 1999 an die Humboldt-Universit?t berufen worden, im Ged?chtnis geblieben. Zumal sie meist von erstaunlich treffenden ?berlegungen zu den angesprochenen Sachfragen gefolgt wurden. Als Kanzler der Universit?t hatte er die Forschungsleistungen, die Verwaltung und die Finanzen gleicherma?en im Blick, was die Dauer der Verhandlungen wie auch die Durchsetzung der erreichten Ergebnisse ungeheuer beschleunigte. Wenn in seiner Amtszeit mit knapp 600 meist erfolgreichen Berufungsverfahren alle Rahmen gesprengt wurden, dann lag dies an seiner F?higkeit, alle drei Komponenten zusammenführen zu k?nnen.

Wie den gordischen Knoten l?sen?

Unter DDR-Bedingungen hatte die Humboldt-Universit?t den Status einer Eliteeinrichtung besessen. Bei jedem Gespr?ch und jeder Entscheidung wurde deutlich, dass Rainer Neumann deren h?chst problematische Umwandlung in eine Massenuniversit?t westdeutscher Pr?gung mit jenem Anspruch verband, den die Geschichte und der Name der Universit?t vorgaben. Er handelte w?hrend seiner Amtszeit in einer Sph?re von unl?sbaren Widersprüchen, die teils nur wie der Gordische Knoten zu behandeln waren, ohne dass er sich diese Spannungen h?tte anmerken lassen. Rainer Neumann hatte starke Meinungen, aber selbst im Streit verlie? das Gegenüber nie das Gefühl, ernst genommen und gesch?tzt zu werden: dies war meines Erachtens die Bedingung dafür, dass die Universit?t bei ihrem Ritt über den Bodensee nicht einbrach.

Aus einem selbstlosen Vertrauen darauf, dass auch fundamentale Gegens?tze aufzuheben seien, betrieb Rainer Neumann, der in den ersten Jahren in dem Juristen Hasso Hofmann einen überzeugten, ?hnlich veranlagten Mitstreiter fand, auch die Reorganisation der zuvor nach Fachbereichen gestalteten Universit?t nach Fakult?ten. Eine gro?e Zahl von Professoren, und so ich selbst, wurde auf die kleineren Organisationen von Fachbereichen hin berufen, um sich bei Dienstantritt einigerma?en perplex in den gro?en Einheiten der Fakult?ten wiederzufinden.

Ein riesiges Experiment mit viel Energie und wenig Geld ?

Nicht weniger erstaunlich war die Neuorganisation der Verwaltung, die nicht zu Rainer Neumanns voller Zufriedenheit gelingen konnte, die aber ebenfalls eine erstaunliche Leistung darstellte, zumal sie zun?chst von den Verstrickungen mancher Teile der Universit?t in die Staatssicherheit bestimmt waren. Die psychologischen Verwerfungen waren von einer Dimension, dass er es lange nach seiner Pensionierung einmal als ein Wunder bezeichnete, kein Zeuge von Gewaltakten geworden zu sein. Er war von einer bezwingenden Sachorientiertheit, die ihm auch bei Gegnern, wie er sie zu Beginn vor allem in der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung antraf, eine Anerkennung verschaffte, die sich in Hochachtung verwandelte. Sie trug wesentlich dazu bei, dass es dem Pr?sidenten Hans Meyer gelang, der Universit?t im Rahmen der Erprobungsklausel und der bald folgenden Hochschulvertr?ge ein neues Ma? an Autonomie zu verschaffen. All seine T?tigkeiten vollzog er in einer Situation der Geldknappheit, in der jeder der Beteiligten, von der Verwaltung bis zur Universit?tsleitung, vom Zwiespalt bestimmt wurde, an einem riesigen Experiment beteiligt zu sein, das alle Energien entfaltete, das aber zugleich mit st?ndigen Kürzungen der Zuschüsse zu k?mpfen hatte. Diesen Konflikt hat niemand st?rker aushalten müssen als Rainer Neumann.

Mitarbeiter der St?ndigen Vertretung in Ostberlin

An der Reformuniversit?t Konstanz hatte er in den sechs Jahren vor seiner Berufung die Funktion eines Vizekanzlers inne, was ihn für seine Aufgaben an der Humboldt-Universit?t pr?destinierte. In psychologischer Hinsicht aber war es insbesondere seine vorherige T?tigkeit als Mitarbeiter der St?ndigen Vertretung der BRD in Ostberlin, die ihn auf seine T?tigkeit vorbereitete. In dieser Ersatz-Botschaft wurde er mit den Verh?ltnissen der DDR vertraut, und von hier aus lernte er neben den Schw?chen des Systems auch die St?rken zahlreicher Pers?nlichkeiten kennen. Als er an die Humboldt-Universit?t kam, konnte er an Bekanntschaften anknüpfen, die er knapp zehn Jahre zuvor geschlossen hatte. Seine T?tigkeit in der St?ndigen Vertretung war auch durch sein starkes Interesse an der Kunst gepr?gt, das unter anderem dazu beitrug, dass Joseph Beuys dort 1981 seine legend?re Ausstellung realisieren konnte, die unter ostdeutschen Künstlern und Intellektuellen ein starkes Eocho fand.

Legend?re Doppelkopfrunde im "Orange"

Die Jahre der T?tigkeit von Rainer Neumann haben eine unverwechselbare Epoche der Humboldt-Universit?t gepr?gt. Er hat immer betont, seine Gestaltungen in Gemeinschaften geführt zu haben, ohne die er machtlos gewesen w?re. In der Senatsverwaltung waren es insbesondere Senator Manfred Erhard und Ellen Fr?hlich, w?hrend es innerhalb der Universit?t, über die Pr?sidentschaften von Heinrich Fink, Marlies Dürkop und Hans Meyer hinweg, die Abteilungsleiter Frank Eveslage, Andreas Kre?ler, Peter Schirmbacher und Ewald Schwalgin waren, welche diese Gemeinschaft ausfüllten. Mit den drei letztgenannten verband Rainer Neumann nach seinem Ausscheiden eine legend?re Doppelkopf-Runde, zu der ich sp?ter selbst hinzusto?en konnte. Die Abende im heute nicht mehr existierenden Lokal ?"Orange" in der Ornanienburger Stra?e, die w?hrend der Partien immer wieder durch Erinnerungen an eine unvergleichliche Zeit ausgefüllt wurden, bleiben die lebendigste Erinnerung.

Eine Büste zu Ehren

Die Tradition, den Pr?sidenten und herausragenden Mitgliedern der Universit?t ein Gem?lde oder auch eine Marmor- oder Bronzebüste zu widmen, hat diese?alma mater?zu einem veritablen Museum der modernen Portraitkunst gemacht. Sie ist nach 1989 abgerissen. Es w?re zu wünschen, dass diese, beginnend mit Marlis Dürkop, der ersten Pr?sidentin, wieder aufgenommen würde. Als erster der Nicht-Pr?sidenten h?tte es Rainer Neumann verdient, auf diese Weise geehrt zu werden. Sein charakteristischer Kopf war wie geschaffen für eine Büste.?

Autor: Horst Bredekamp, Kunsthistoriker