Begrü?ung des tschechischen Pr?sident Václav Klaus
Anl?sslich seiner "Humboldt-Rede zu Europa" am 29.04.2010
Für einen Moment, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrter, lieber Herr Pernice, verehrter Herr Pr?sident Klaus, m?chte ich einmal so tun dürfen, als sei das Amt eines Pr?sidenten der Humboldt-Universit?t ein ganz und gar unpolitisches Amt (was es allzumal in dieser Stadt natürlich in Wahrheit nicht ist) und die Fiktion aufrechterhalten, als k?nne ich von au?en auf die Politik und die Politiker blicken, als reiner Wissenschaftler sozusagen. Und wenn ich diese Fiktion bemühe und von au?en auf die Politiker blicke, dann f?llt mir immer die ungeheuere Homogenit?t der Politiker in einer modernen Mediendemokratie auf: Sie tragen (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) alle dieselben dunkelblauen Anzüge oder rosa J?ckchen, alle dieselben karierten Krawatten oder wei?en Blüschen - und vor allem sagen sie alle nahezu dasselbe. Jedenfalls fraktionsweise. Dieselbe etwas schlichte Sprache, dieselben wohlvertrauten Sprechhülsen - und wenn, gestatten Sie mir als Theologe diese Bemerkung, eine für ein Ministeramt vorgesehene Jungpolitikerin ganz unverstellt eine eigene Meinung über Kruzifixe in Schulen ?u?ert, die einmal nicht dem von allen anderen vertretenen Konsens entspricht, beginnt nicht etwa eine sachliche Debatte darüber, was das Kreuz in ?ffentlichen R?umen bedeutet und was es besser nicht bedeuten sollte, nein, erregte Stimmen weisen die Abweichlerin mit strengem Ton wieder in die Schranken und damit in die Reihen zurück, ?ffentliche Zurechtweisung von au?en und das eigene Schuldbekenntnis stellen sicher, da? die eine durchaus interessante, jedenfalls doch mindestens diskussionswürdige Abweichung wieder zur Regel wird. Natürlich: Ich karikiere. Natürlich: Ich habe die Lage pointiert dargestellt. Es gibt einen Fraktionszwang, aber es gibt auch Debatten in Deutschland, in denen Parteidisziplin und Fraktionszwang aufgehoben sind und dann erleben wir Sternstunden; ich erinnere an die unvergessenen Debatten im deutschen Parlament über die Nutzung von Stammzellen 2002 und 2008. Also nochmals: Ich habe karikiert und die Lage pointiert dargestellt, aber g?nzlich falsch, darauf m?chte ich doch beharren, ist mein Eindruck nicht.
Nun gibt es immer wieder Ausnahmen von der normierten Politikersprache und vor allem von den fraktionell, interfraktionell normierten Inhalten. Von "Querdenkern" sprechen wir dann, weil offensichtlich sonst l?ngsweise gedacht wird. Da? der tschechische Staatspr?sident Václav Klaus zu diesen Querdenkern geh?rt, bedarf keiner ausführlichen Begründung: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch, 28. April 2010, Nr. 98, Seite 7: "Der Euro war eine falsche Entscheidung". Punkt. Bei Querdenkern übersieht man oft, da? nicht alles quer gedacht ist, sondern manches durchaus auch l?ngs: "Ich bin Prager, ein Tscheche, auch ein Mitteleurop?er, diese drei Identit?ten sind st?rker als die europ?ische" - verwunderlicherweise fragten die beiden klugen Journalisten, die das n?mliche Interview mit dem tschechischen Staatspr?sidenten führten, nicht gleich: Und, verehrter Herr Pr?sident, was ist eigentlich ein Mitteleurop?er? Im Unterschied zum Prager? Zum Tschechen?
In einer Universit?t wird - durchaus im Unterschied zu politischen Zusammenh?ngen - noch gelesen, nicht nur in den vorbereitenden Zusammenfassungen von Referenten. Zur Vorbereitung dieses Gru?wortes habe ich also gelesen, Reden von Václav Klaus. Besonders interessant fand ich Ihre Bemerkungen zu einem Gespr?ch, das Sie mit Kardinal Sch?nborn in Passau im Jahre 2009 geführt haben. Dort findet sich eine spannende, ja darf ich sagen spannungsvolle Trias von S?tzen über Europa: Zum einen sagen Sie: "Ich bin froh in Europa leben zu k?nnen und zu Europa zu geh?ren". Zum anderen aber sagen Sie: "Eine gemeinsame Idee hat Europa nicht, es kann sie nicht haben und sie ist für Europa auch nicht notwendig". Und schlie?lich formulieren Sie: "Europa als Kontinent hat keine Geschichte, obwohl hier im Laufe der Zeit vieles geschehen ist. Es gibt Geschichte Frankreichs, Spaniens, Deutschlands, der Tschechischen Republik". Aber, verehrter Herr Pr?sident, sind diese Geschichten nicht schon seit Jahrhunderten tief ineinander verwoben: die Geschichte Ihres Landes und die Geschichte unseres Landes? Jüngst habe ich an der Prager Karls-Universit?t und an der Leipziger Universit?t zwei Vortr?ge gehalten: Etwas pointiert gefragt: G?be es denn eine Universit?t Leipzig ohne den Luxemburger Kaiser Karl, ohne die Prager Universit?t? Gab es nicht vor den Nationalstaaten und vor den nationalen Geschichten l?ngst ein Europa als concordia discors, als spannungsvolles Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander von Einheit und Vielheit und ist alles Ringen um europ?ische Einheit nicht ein uraltes Thema europ?ischer Geschichte: "Am Grunde der Moldau wandern die Steine/ es liegen drei Kaiser begraben in Prag", dichtet Bert Brecht.
Sie haben für Passau formuliert: "Ich bin froh in Europa leben zu k?nnen und zu Europa zu geh?ren". Das illustriert, verehrter Herr Pr?sident, in sehr beeindruckender Weise Ihre Biographie, übrigens auch schon zu den Zeiten, als ein eiserner Vorhang Europa noch in zwei feindliche Bl?cke trennte. Studium in Prag, aber auch Studien in Italien und den Vereinigten Staaten, schon lange vor der Wende, Sie besch?men uns, indem Sie Deutsch sprechen und ich nicht einmal in der Lage bin, Sie Tschechisch zu begrü?en - für ein gemeinsames kollektives Ged?chtnis Europas müssen wir in der Tat, wie aus Ihren Passauer Bemerkungen folgt, noch viel übereinander lernen und das f?ngt bei Ihrer sch?nen, aber schwierigen Sprache an.
Eine Universit?t, meine Damen und Herren, verehrter Herr Pr?sident Klaus, an der immer nur der Konsens zelebriert würde, w?re nicht nur eine zutiefst langweilige Veranstaltung, sondern sicher auch keine besonders wissenschaftliche Veranstaltung. Ganz unabh?ngig davon, ob man Ihren pointierten S?tzen nun aus voller ?berzeugung zustimmt, schüchtern Einw?nde formuliert oder aber sie nur begrü?t, weil sie den gelegentlich allzu feierlich, aber faktisch folgenlos beschworenen Konsens erschüttern und zum Nachdenken zwingen - Sie sind uns hier jedenfalls herzlich willkommen und wir werden über Ihre offenen Worte munter diskutieren. Ich grü?e zugleich mit Ihnen, Herrn Petschke, den Leiter der Vertretung der Europ?ischen Kommission in Berlin, den sehr verehrten Kollegen Pernice vom hiesigen Walter Hallstein-Institut für Europ?isches Verfassungsrecht, der unsere wunderbare Reihe der "Humboldt-Reden zu Europa" organisiert und uns erneut einen Referenten beschert hat, über dessen Thesen ganz gewi? diskutiert wird. Und auf diese Diskussion, verehrter Herr Pr?sident Klaus, freuen wir uns.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t