14th International Congress of the International Confederation for Plastic, Reconstructive and Aesthetic Surgery
Er?ffnungsansprache am 26. Juni
Sehr geehrte Herren Pr?sidenten, lieber Generalsekret?r,
es ist mir eine gro?e Freude, Sie namens der Berliner Universit?ten und insbesondere der Humboldt-Universit?t zu Berlin, deren Pr?sident ich bin, hier im Berliner Dom zu Ihrem Kongre? willkommen zu hei?en; ich wünsche Ihnen ebenso spannende wie anregende Tage in dieser gro?en Wissenschaftsmetropole Berlin, in der 三亿体育·(中国)官方网站 wie Lebenswissenschaft, Public Health, Gesundheitstechnik eine schlechterdings zentrale Rolle in den verschiedenen Einrichtungen universit?rer und au?eruniversit?rer Forschung spielen.
Nun haben Sie einen Kirchenhistoriker und Theologen um Worte zur Er?ffnung eines Weltkongresses für plastische Chirurgie gebeten – und ich habe eine ganze Weile überlegt, was ich angesichts eines solchen fachlichen Hintergrundes überhaupt zu Ihrem Kongre? und zum heutigen Er?ffnungsabend beitragen kann. Ich besch?ftige mich zwar als Kirchenhistoriker mit der antiken Medizin, aber für gegenw?rtige Probleme der plastischen Chirurgie tr?gt es natürlich wenig aus, da? vor rund zweitausend Jahren auch schlimme Entstellungen des K?rpers in den Heiligtümern des Gottes Asklepios im Schlaf geheilt werden konnten und christliche Kirchen diese Heilweise übernahmen. Und ich bin Kirchenhistoriker, sitze also nicht wie manche meiner Kollegen aus deutschen theologischen Fakult?ten in den diversen Ethikkommissionen unserer Kliniken. Wirklich weiterführende Beitr?ge zu der Debatte über die ethische Begründung der Notwendigkeit von plastischer, rekonstruktiver und ?sthetischer Chirurgie kann ich also auch nicht bieten – aber ich bin mir nahezu sicher, da? Sie, verehrte Damen und Herren, über diese Fragen auch so h?ufig nachgedacht haben und nachdenken, da? es anl??lich der Er?ffnung ihres Kongresses nicht ausgerechnet meiner Bemerkungen bedarf.
Was kann ein Theologe, der sich mit der Geschichte des Christentums besch?ftigt, anl??lich der Er?ffnung eines Weltkongresses für plastische Chirurgie aber dann sagen? Zun?chst einmal denkt er daran, da? sich das Christentum – wie die plastische Chirurgie – immer wieder besonders mit dem fürchterlichen Schmerz besch?ftigt hat, der durch gewaltsame ?u?erliche Verunstaltung des K?rpers entsteht. Ich meine damit, da? die Erinnerung an das schmerzliche Leiden Jesu Christi, die Mi?handlung seines K?rpers und die Entstellung seines Angesichtes von Anfang an einen besonderen Ort im Christentum hatten, obwohl gerade dies in der Antike durchaus verp?nt war – die neutestamentlichen Berichte von diesen Ereignissen kurz nach der Zeitenwende wurden und werden im Gottesdienst gelesen und seit dem vierten Jahrhundert auch künstlerisch dargestellt; so steht auch in dieser Kirche ein Kruzifix auf dem Altar und das mittlere Glasfenster stellt die Kreuzigung dar. Kirchenlieder erw?hnen die schmerzvolle Entstellung des Angesichtes Jesu Christi ohne jede Zurückhaltung: So dichtet beispielsweise der vor vierhundert Jahren geborene Paul Gerhardt Mitte des siebzehnten Jahrhunderts nach einer hochmittelalterlichen Vorlage: ?O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn, o Haupt, zum Spott gebunden, mit einer Dornenkron“. Der evangelische Barocktheologe Paul Gerhardt stand mit einer solchen drastischen Beschreibung des Leidens und der Schmerzen Christi in einer l?ngeren Tradition – seit der Abschaffung der Kreuzesstrafe unter Kaiser Konstantin, einer für Sklaven vorgesehenen ebenso sch?ndlichen wie brutalen Hinrichtungsart, war es für das Christentum m?glich, ausführlicher über die Hinrichtung ihres Heilandes nachzudenken und die brutale Entstellung seines K?rpers durch die r?mische Besatzungsmacht bildlich auszumalen. Die lateinische Vorlage Gerhardts aus dem dreizehnten Jahrhundert ist noch ein wenig drastischer und lautet in englischer ?bersetzung: ?Sei gegrü?t, blutüberstr?mtes Haupt, ganz mit Dornen gekr?nt, erschüttert, verwundet, mit einem Rohr geschlagen, im Gesicht mit Spucke beschmiert“. Auch schon unmittelbar im vierten Jahrhundert, als Kaiser Konstantin sich zum Christentum bekannt hatte, schrieb der Bischof von Jerusalem, da? Christus ?in Wahrheit Leiden trug an unserer Statt, gleich wie wir und nicht scheinbar, … und, gleich wie auch wir, als er von Pilatus mit Gei?eln geschlagen wurde, die Schmerzen der Schl?ge fühlte, und als er ins Angesicht geschlagen wurde, innerliche Schmerzen empfand, und, als N?gel in seine Fü?e und H?nde eingeschlagen wurden, die Leiden der Schmerzen fühlte, wie Jesaja von ihm sagt“. Und man beschr?nkte sich nicht auf die unmittelbare Hinrichtung am Kreuz, sondern malte beispielsweise auch die Gei?elung an einer S?ule durch die r?mische Soldateska ebenso drastisch aus. So beschreibt die schwedische Nonne Birgitta (1303/1304-1373) in der Aufzeichnung einer Vision, da? sich Jesus selbst die Kleider auszog und eigenh?ndig an die Gei?els?ule fesselte. Und dann sieht sie ?seinen K?rper durch Schl?ge und Gei?elhiebe bis auf die Knochen zerfleischt, so da? die Rippen zum Vorschein kamen“ (Revelationes I 10). Die N?gel, die am Kreuz einschlagen werden, ziehen alle Nerven und Blutadern auseinander, die Dornenkrone zersticht den Kopf so arg, ?da? das herabflie?ende Blut seine Augen erfüllte, seine Ohren verstopfte und vom niederrinnenden Blut der ganze Bart benetzt wurde“ (ebd.). Birgitta beschreibt zudem ausführlich, wie der Schmerz aus den Gliedern ins Herz und von dort wieder in die Glieder zurücksteigt.
Solche Texte, die uns heute eher merkwürdig berühren, ?wurden verfa?t, damit die Christen sich die Leiden und Schmerzen ihres Erl?sers ganz plastisch vorstellen konnten, damit sie in der Lage waren, Leiden und Scherzen, die letztendlich die Erl?sung gebracht hatten, mit- und nachempfinden. Gelegentlich ging das Mit- und Nachempfinden so weit, da? Menschen dem leidenden Christus fast gleichgestaltet wurden: Der mittelalterliche H?hepunkt dieser Bewegung ist der Heilige Franziskus von Assisi (1181/1182-1226). Er gilt als der erste Stigmatisierte, weil an seinem Leib die Wundmale Christi sichtbar geworden sein sollen. Im Rundbrief, der den Orden des Heiligen Franziskus vom Tod seines Stifters in Kenntnis setzte, wurde über diese Wundmale, die Stigmata, folgenderma?en berichtet: ?Nicht lange vor seinem Tod erschien unser Bruder und Vater als ein Gekreuzigter“ und die ersten Legenden erz?hlen, da? die Wundmale Christi ?in seinem Fleisch eingepr?gt erschienen“: Nach dem Tode des Heiligen konnten viele seine Brüder am Leichnam die Male der N?gel sehen und ?die N?gel selber, aus seinem Fleisch gebildet und in das Fleisch hineingewachsen, sie zeigten auch die Schw?rze des Eisens. Die rechte Seite, wie von einer Lanze durchstochen, war mit der roten Farbe einer echten und ganz deutlichen Wunde bedeckt, so da? auch das heilige Blut, solange er lebte, ?fters ausstr?mte“. Und eine andere Legende erz?hlt, da? eine zuf?llige Berührung der Seitenwunde ?dem Heiligen Gottes nicht geringe Schmerzen“ verursachte, ?er stie? die Hand von sich zurück und schrie laut auf, der Herr m?ge ihm verzeihen“. Die schwierige Frage der Historizit?t jener Stigmatisierung mu? uns heute nicht besch?ftigen; mir ging es lediglich darum, Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, mit einigen Beispielen zu dokumentieren, wie ausführlich sich Christen vor allem des Mittelalters und der frühen Neuzeit den fürchterlichen Schmerz ausgemalt haben, der durch gewaltsame ?u?erliche Verunstaltung des K?rpers Jesu Christi entstanden sein mu?.
Heute, in Zeiten, in denen Schmerz therapierbar geworden ist und die schmerzhafte Entstellung des K?rpers durch die plastische Chirurgie geheilt werden kann, berühren uns – wie gesagt – solche Texte merkwürdig. Es geht in ihnen aber nicht um eine Verherrlichung k?rperlicher Deformation oder um eine Glorifizierung des Schmerzes. Es geht zun?chst einmal darum, da? in einer Gesellschaft überhaupt über Leid und Schmerz gesprochen werden kann und alle solche Züge nicht unter der Parole ?Indianer kennt keinen Schmerz“ verdr?ngt werden. In der Antike galt n?mlich vor Aufkommen des Christentums eine Maxime, die man ?Apathie-Axiom“ genannt hat: Apatheia meint in der stoischen Ethik das Freisein von Affekten wie Freude und Kummer oder Begierde und Furcht. Man nahm an, da? eine solche Freiheit von Affekten die Voraussetzung des individuellen Glücks sei, da es inneren Frieden, Gelassenheit und Ausgeglichenheit der Seele nur ohne Affekte, übersteigerte Triebe, geben k?nne. ?Ein Betroffensein aber von einem gegenw?rtigen ?bel gibt es für den Weisen gar nicht; für die Toren ist es Kummer“, hei?t es bei Cicero in den ?Gespr?chen in Tusculum“. Schmerz war, wenngleich gelegentlich unvermeidlich, für den wirklichen Weisen ein zu bek?mpfender, ein zu vermeidender Affekt. Indem nun das Christentum zeigte, da? Gott selbst am Kreuz den Schmerz nicht vermeiden konnte und sein Gesicht wie sein Leib durch Schl?ge und andere Folter entstellt wurde, half sie Menschen überhaupt erst einmal dazu, ihr eigenes Leiden und eigene Schmerzen anzunehmen. Mit den zitierten drastischen Texten wurde es Menschen erm?glicht, sich ehrlich mit Leid und Schmerzen auseinanderzusetzen und sie in der Rolle Christi zu ertragen. Indem Menschen in den eigenen Schmerzen und Entstellungen die Leiden Christi erkannten, erhielt ihr eigenes Erleben einen h?heren Sinn und wurde bis zu einem gewissen Ma?e ertr?glich – und das in einer Zeit, in der es noch keine Narkose, keine wirklichen Schmerzmittel und vor allem noch keine plastische Chirurgie gab.
Mir scheint, wenn ich das einmal etwas vereinfachend sagen darf, da? das Christentum seit der Sp?tantike mit solcher Memoria der Passion, mit solcher Empathie für das Leiden und die Folter Jesu Christi, eine Art Vorl?ufer der modernen Medizin, ein Vorl?ufer der plastischen Chirurgie war. Was damals lediglich gedeutet und ertragen werden konnte, wird heute schmerztherapiert und in Ihrer Wissenschaft geheilt, durch chirurgische Eingriffe verbessert oder gar rekonstruiert. Die moderne Medizin hat aufgrund ihrer beeindruckenden technischen Fortschritte zu einem gewissen Teil die Funktion solcher drastischen christlichen Texte, wie ich sie zitiert habe, übernommen. Etwas vereinfachend formuliert: an die Stelle drastischer Beschreibungen des Leidens sind zum Teil radikale Eingriffe getreten, die noch einmal in ganz anderer Weise Gesundheit wiederherzustellen verm?gen. Entsprechend zurückhaltend wird heute in den christlichen Kirchen vom Leiden Jesu Christi geredet, schon Paul Gerhardts Nachdichtung entsch?rft den hochmittelalterlichen Hymnus und diese Tendenz hat sich fortgesetzt. Und trotzdem ist, wie viele unter uns aus dem Krankenhaus und vom Operationstisch her best?tigen k?nnen, der christliche Trost nicht überflüssig geworden. Die moderne Medizin hat den Trost, den die Erinnerung an das Leiden Jesu zu vermitteln mag, nicht einfach ersatzlos abgel?st. Im Gegenteil: Je technisch perfekter die moderne Medizin geworden ist, je eindrucksvoller beispielsweise die Erfolge der plastischen Chirurgie werden, desto wichtiger ist es, da? Menschen einen Raum finden, zu verstehen, was geschieht, zu klagen und zu hoffen – und dies mit Blick auf einen gro?en Mann der Schmerzen ganz offen ansprechen k?nnen. Und ein solcher Raum für das Aussprechen von Klage und Hoffnung wird für die vielen Patienten auch dann noch wichtig bleiben, wenn in den n?chsten Jahren weitere gro?e technische und therapeutische Fortschritte die Medizin im Allgemeinen und ganz sicher auch die plastische Chirurgie im Besonderen revolutionieren werden.
Solche, aller Medizin vorg?ngigen, grundlegenden Dimensionen werden auf Ihrem Kongre?, verehrte Damen und Herren, natürlich nur am Rande eine Rolle spielen. Um so wichtiger war es mir, sie zu Beginn anzusprechen – denn eine enge Partnerschaft von Arzt und Seelsorger, von Theologen und Medizinern ist, davon bin ich felsenfest überzeugt, eine wichtige Voraussetzung für die Gesundheit von Leib und Seele – und dieser Gesundheit sind wir doch alle, in unseren sehr verschiedenen Rollen, Aufgaben und Pflichten verbunden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nochmals für Ihren Kongre? gute Erfahrungen, spannende Gespr?che und eine anregende Zeit. Vielen Dank.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t