Humboldt-Universit?t zu Berlin

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Dinner speech zum Thema "Gewogen und für zu leicht befunden. Inquisition als Evaluation" anl?sslich der Jahrestagung des Instituts für Forschungsinformation und Qualit?tssicherung (iFQ)

14. Juni 2010

Wenn ein Historiker eingeladen wird, über die Vergangenheit von Gegenw?rtigkeiten zu sprechen, sagt er natürlich gern zu, lieber Herr Hornbostel, meine Damen und Herren – warum also nicht einmal über die Vorgeschichte derjenigen Evaluation im Wissenschaftsbereich sprechen, die in den letzten Jahren solchen Aufschwung genommen hat, nicht zuletzt in Berlin? Freilich waren die ersten Erkundungsg?nge zur Vorbereitung entt?uschend: evaluatio ist kein Wort des antiken oder mittelalterlichen Lateins, evaleo hei?t ?k?nnen“, ?verm?gen“; evaleso bedeutet ?wieder zu Kr?ften kommen“; im Grimmschen Deutschen W?rterbuch dr?ngelt sich kein W?rtlein zwischen ?Eva“ und ?Evangelium“ und das ?Digitale W?rterbuch der deutschen Sprache“ bietet als ersten Beleg eine Formulierung aus dem Jahre 1974, in dem es dazu noch (horrible dictu) um die Evaluation eines Kampfflugzeuges durch den Bundesrat geht, der Starfighter wird’s nicht gewesen sein, denn gemeint ist in dem Ausri? aus der Neuen Züricher Zeitung der Schweizer Bundesrat.

Wenn es mit einer Vor- und Frühgeschichte des Begriffs nichts ist, bleibt dem kundigen Historiker immer noch der Ausweg, über die Sache zu reden – wer den linguistic turn im Unterschied zu manchen Wendeh?lsen noch nicht ganz verinnerlicht hat, wird vielleicht dem Satz, da? die Grenzen der Sprache doch nicht g?nzlich mit denen meiner Welt identisch sind, nicht für leichtfertigen Unsinn halten. Supponieren wir also mindestens für ein Abendessen lang, es habe schon Evaluation vor der Evaluation gegeben. Und orientieren uns zu diesem Zweck an einer netten These eines bekannten Experten für Evaluation, der sein Gesch?ft – oder pr?ziser: den Gegenstand seiner wissenschaftlichen Reflexion, den er als ?die Bewertung und Prüfung von Sachverhalten, Leistungen oder auch von Konformit?ten“ definiert – in einem geistreichen Aufsatz mit der Inquisition zu verbinden und von ihr zu unterscheiden sucht. Ein nicht eben risikoloses Unterfangen, denn das Image jener kirchlichen Untersuchungen abweichender Lehre, die im Hochmittelalter üblich wurde und durch die europ?ische Aufkl?rung in Abgang geriet, kann nicht eben freundlich genannt werden: Gelingt es nicht, die Evaluation unserer Tage mindestens vom allgemeinen Zerrbild der Inquisition abzusetzen, ist mindestens der publizistische Schaden in einer modernen Mediengesellschaft gro?.

Zun?chst einmal ist Inquisition – übrigens im Unterschied zu ?Evaluation“ – ein braves lateinisches Wort: inquisitio bedeutet ?Untersuchung“, nur die hochmittelalterliche Professionalisierung eines in der Kirche stets geübten Prüfungsverfahrens von Theologie. Der Apostel Paulus schreibt an die Thessalonicher: ?Prüfet alles und das Beste behaltet“ (5,19-21), leider im Lateinischen nicht mit den vorhin erw?hnten lateinischen Begriffen konstruiert, sondern mit einem anderen, uns auch heute noch wohl vertrauten Ausdruck: omnia autem probate. Natürlich hat es guten Grund, da? an dieser Stelle nicht der Imperativ des Verbs inquirere oder sonst irgendeine Form von inquisitio steht: Der Apostel wollte ja die Gemeinde im nordgriechischen Thessaloniki nicht dazu anhalten, zu einer audit society zu mutieren, wie man das unter Ihnen wohl nennt, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu einer Gesellschaft, die das leninistische Motto von der besseren Kontrolle lebt. Das selbstverst?ndliche, allt?gliche, pragmatische ?prüfen“ ist wohl etwas anderes als das technische, methodisch kontrollierte, wissenschaftlich verantwortete ?Evaluieren“. Und mindestens die Kraft, beides zu unterscheiden, wünschte man heute manchem Wissenschaftspolitiker, manchem Wissenschaftsmanager, manchem Kollegen im universit?tsleitenden Amte.

Nun wurde der Auftrag des Apostels, alles selbstverst?ndlich, gleichsam ohne technisch-methodische Vorbildung allein aufgrund des ?u?erlichen Eindrucks zu prüfen, nicht erst zu Zeiten des geordneten kirchlichen Inquisitionsverfahren, also unter Papst Innozenz III. im frühen dreizehnten Jahrhundert als inquisitio haereticorum (Ketzerinquisition) bzw. als inquisitio haereticae pravitatis (Inquisition ketzerischer Verderbtheit) methodisiert und schon gar nicht erst ab 1542 in der Sacra Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis (eine Beh?rde, die, wie wir wissen, bis auf den heutigen Tag, wenn auch in transformierter Gestalt als Glaubenskongregation, existiert und für fast fünfundzwanzig Jahre durch Josef Ratzinger aus Marktl am Inn geleitet wurde) professionalisiert. Die christliche Theologie hat ein Evaluationsregime im Grunde schon vor der Etablierung eines eigenst?ndigen Standes von Evaluatoren im Hochmittelalter und erst recht vor der Einrichtung einer Evaluationsbeh?rde in Gestalt des genannten stadtr?mischen Officiums zu Beginn der frühen Neuzeit etabliert. Ich denke dabei an die Verfahren zur Evaluation von Theologie auf den gro?en Reichskonzilien der Sp?tantike, die – die Parallelen zur Gegenwart sind unübersehbar – eher ein Selbstevaluationsverfahren der Theologenzunft waren, die damals mehrheitlich aus Bisch?fen und M?nchen bestand. Man diskutierte auf den Konzilien, also den von den Kaisern einberufenen Bischofsversammlungen, bestimmte Lehrbildungen, formulierte in kleineren Kommissionen Evaluationsbescheide, stimmte in der gro?en Runde ab und verkündete das Urteil. Die Ausführung des Urteils aber delegierte man von Anfang an weiter, n?mlich an die staatlichen Autorit?ten. Man darf sich eine solche Selbstevaluation der Wissenschaft weder als unwissenschaftlich noch als ungeordnetes Verfahren reiner Willkür vorstellen. Wie man heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen konnte, hat der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, gezeigt, da? der berühmteste Fall einer Selbstevaluation der Theologie in der Sp?tantike, der Ausschlu? des alexandrinischen Presbyters Arius auf dem ersten Reichskonzil von Nic?a im Jahre 325 n.Chr., genau so, als methodisch kontrollierte Selbstevaluation gedeutet werden mu?. Das Reichskonzil prüfte n?mlich, ob die besondere – und wie Williams gezeigt hat, unendlich altmodische – Anwendung der zeitgen?ssischen platonischen Philosophie, für die jener archetypische H?retiker Arius stand, gute Theologie sei. Dazu bediente es sich etablierter Evaluationsverfahren aus der juristischen, n?her der gerichtlichen Praxis, verfuhr nach den methodischen Standards der Gesch?ftsordnung des stadtr?mischen Senates und diskutierte über den Stand der platonischen Philosophie. Das Ergebnis kann man ebenfalls mit einem biblischen Vers zusammenfassen: Gewogen und für zu leicht befunden. Der Ma?stab, nachdem die Konzilsv?ter evaluierten, ist nun aber nicht einfach, wie man denken k?nnte, die ?Orthodoxie“, also die einmal geltende christliche Lehre und entsprechende theologia perennis (also eine ?immerw?hrende Theologie“) auf der Basis stets gültiger Axiome, sondern, wie der erw?hnte Rowan Williams gezeigt hat, ebenso auch eine gewisse Form von Modernit?tskompatibilit?t des zu Evaluierenden.

Arius wiederholte ohne Rücksicht auf seither erfolgte Debatten und Differenzierungen einen Stand der Lehrbildung, der – grob gesagt – rund hundert Jahre alt war, bezog sich auf eine – grob gesagt – rund hundert Jahre alte Stufe platonischer Philosophie und hatte sich den Debatten der Zeit über den dreieinigen Gott weitestgehend vollst?ndig verweigert. ?ber Details wurde diskutiert, von Details beispielsweise auch der Lehrentwicklung der platonischen Philosophie verstanden die Bisch?fe etwas – entsprechende Texte sind erhalten und werden in Berlin kritisch ediert. Doch zurück zu der bisch?flichen Selbstevaluation des Arius: Dessen (wie wir heute sagen würden) unterkomplexe, der Komplexit?t zeitgen?ssischer Debatten unangemessene, als reine Repetition vergangener Lehrbildung wiederholte und daher zutiefst unoriginelle Lehrbildung wurde im Rahmen des Selbstevaluationsprozesses der Bisch?fe, zu dem dieselben durch die staatliche Autorit?t angehalten wurden, gewogen und für zu leicht befunden. Und der schlichte griechische Begriff ?Hairesis“ (meint ursprünglich: ?Schule“, ?Richtung“, ?Partei“, insbesondere ?philosophische Schule“ oder ?Schulrichtung“) entwickelte sich zu einem evaluationstechnischen Terminus: ?gewogene und für zu leicht befundene Schule“, H?resie, so wie wir den Ausdruck noch heute verwenden.

Nun sind wir immer noch nicht bei der Inquisition des Hochmittelalters und der frühen Neuzeit angelangt, sondern immer noch im Rahmen der Sp?tantike verblieben und Sie, meine Damen und Herren, warten alle schon auf den Nachtisch. Wichtig ist, wenn wir uns die paar Jahrhunderte noch im Geschwindschritt voranarbeiten wollen, vor allem die Professionalisierung der Selbstevaluation zur beh?rdlichen Fremdevaluation. In der Sp?tantike genügte noch die bisch?fliche Selbstevaluation – genügte diese sowohl der staatlichen Autorit?t, die die Bisch?fe dazu anhielt, zu evaluieren, wie denselben, die sich glücklich damit fühlten. Das ?nderte sich zunehmend im Frühmittelalter. Man kann das als einen Professionalisierungsschub der Evaluation angesichts gesteigerter Komplexit?t der theologischen Lehrbildung deuten: Wie viel Aristoteles ist der Theologie zutr?glich? Wenn man nicht wie die V?ter der Wittenberger Reformation, insbesondere Luther selbst, nicht mit der schlichten Antwort ?besser gar kein Aristoteles“ die Frage im Keim ersticken will, l??t sich ein solcher Evaluationsvorgang nicht mehr mit einer gr??eren Gruppe von Bisch?fen und M?nchen gleichsam im Nebenaufwasch erledigen. Da müssen Profis her, eben jene Domini canes, jene ?Hunde des Herren“ aus dem Orden des heiligen Dominicus, aus dem ordo praedicatorum eines Albertus Magnus oder Thomas von Aquin. Was diese beruflich professionalisierte und dann im Kontext von Reformation und Konfessionalisierung beh?rdlich konstituierte Inquisition von den Evaluationsagenturen unserer Tage unterscheidet, hat der verehrte Kollege Hornbostel schon einmal in einem geistreichen Aufsatz expliziert und dabei genau die einschl?gige neuere Literatur von Kirchenhistorikern insbesondere aus Münster in Westfalen verwendet, so da? dem Kirchenhistoriker an dieser Stelle nichts nachzutragen oder zu bessern bleibt. Wenn wissenschaftlich im Grunde schon alles gesagt ist, kann man nur noch durch freche, leicht polemische Zuspitzung unterhalten. Und die geht so:

Die Entwicklung von der Selbstevaluation der Bisch?fe auf den Konzilien hin zur professionalisierten Evaluation der Inquisition erfuhr bereits von Zeitgenossen heftige Kritik und hat auch heute kein gutes Image, weder in der allgemeinen ?ffentlichkeit noch unter Fachleuten. Das liegt nicht nur daran, da? heute für Evaluation verbindliche Werte wie etwa der der Transparenz von Bewertungen und Entscheidungen in der Inquisition – und übrigens auch in ihrer r?mischen Nachfolgebeh?rde bis auf den heutigen Tag – eher von untergeordneter Bedeutung waren, nein, das liegt daran, da? die Etablierung einer professionalisierten Evaluation anstelle der wissenschaftlichen Selbstevaluation vermutlich aufgrund von Professionalisierungsschüben unvermeidlich ist, aber stets wohl auch notwendigerweise unerquickliche Nebendynamiken freisetzt, die eine wissenschaftliche community in eine audit society verwandelt. Wenn dann gar noch wie bei den Akkreditierungsagenturen im Bologna-Proze? die Trennung von Akteuren und Betroffenen unterbleibt und die Gewinnung von Evaluatoren nach zweifelhaften Kriterien erfolgt – achten Sie einmal auf den Anteil von pensionierten und aktiven Universit?tspr?sidenten in Vorst?nden von Akreditierungsagenturen und z?hlen Sie einmal die Leibnizpreistr?ger unter den Gutachtern –, dann, noch einmal biblisch gesprochen, haben wir es mit dem Tod im Topf zu tun. Zum guten Schlusse habe ich Ihnen hoffentlich gezeigt, da? man, auch ohne direkte sprachliche Vorbilder oder Vorg?nger unserer heutigen Evaluationspraxis in der Vergangenheit zu finden, aus derselben noch etwas lernen kann und verspreche Ihnen allen hoch und heilig, da? ich ganz gewi? nach dem Ende meines Amtes als Universit?tspr?sident am 19. Oktober diesen Jahres nicht in eine Evaluationsagentur eintreten werde.