Humboldt-Universit?t zu Berlin

Begrü?ung Aleida Assmann und Martin Sabrow

Anl?sslich des Vortrags von Aleida Assmann beim Dialog der Disziplinen, 27. September 2007

Wenn ich ein altehrwürdiges Lexikon meines Faches als Indikator nutzen darf, liebe Aleida Assmann, lieber Martin Sabrow, dann liegt wieder einmal eine Wende hinter uns: nach dem linguistic und cultural turn nun der – die Anglistin m?ge dem Altkirchenhistoriker den Barbarismus verzeihen – der memorial turn. Im ?Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ betitelten Handw?rterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, in zweiter Auflage 1928, folgt auf das Lemma ?Geburtstag“ ein Artikel über den schottischen Bibelwissenschaftler Alexander Geddes, in der dritten Auflage 1958 auf ?Geburtstag“ ein Beitrag über den preu?ischen Feldpropst Lambert Gedicke. Erst in der vierten Auflage des Lexikons, das auf dem Weg in die sp?te Neuzeit seinen bestimmten Artikel eingebü?t hat und nun nur noch ?Religion in Geschichte und Gegenwart“ hei?t, schiebt sich zwischen den Geburtstag und den n?mlichen preu?ischen Feldpropst Gedicke ein veritabler Mehrspalter zum Thema ?Ged?chtnis“. Abschnitt r?misch eins, Ged?chtnis religionswissenschaftlich, hat Jan Assmann verfa?t, der als ersten Literaturtitel das einschl?gige opus von Maurice Halbwachs anführt; Abschnitt r?misch zwei, Ged?chtnis biblisch, stammt aus der Feder eines Bibelwissenschaftlers, der als ersten Literaturtitel einen Sammelband aufführt, den Aleida Assmann herausgegeben hat. Da in meinem Fach, der Theologie (von der ich übrigens nach wie vor restlos begeistert bin), methodische Innovationen in aller Regel mit etwa zehn- bis zwanzigj?hriger Versp?tung rezipiert werden, legt sich der Schlu? nahe, da? die von mir so barbarisch memorial turn genannte neue Aufmerksamkeit für das alte Paradigma des Ged?chtnisses etwa seit 1990 zu beobachten ist – und in der Tat stammen die ersten Ver?ffentlichungen von Aleida Assmann zum Thema ?Ged?chtnis“ aus der Zeit unmittelbar nach der Habilitation und der Berufung auf einen anglistischen Lehrstuhl nach Konstanz, also aus den Jahren 1992 und 1993.

?Unter Ged?chtnis verstehen wir hier die F?higkeit zur Speicherung von motorischen F?higkeiten, Erlebnissen und Lerninhalten über gr??ere Zeitr?ume“ – aufmerksam Zuh?rende werden sich bei diesem Zitat nicht nur an einen Autor respektive eine Autorin erinnern, sondern bei meinen knappen Gang durch drei Auflagen eines Standardwerkes für Theologie und Religionswissenschaft m?glicherweise auch an die Tatsache erinnert gefühlt haben, da? man die dritte Auflage jenes Lexikons ?Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ etwas zugespitzt als Produkt eben des Heidelberger Milieus bezeichnen kann, in dem Aleida Assmann als Tochter eines evangelischen Neutestamentlers aufgewachsen ist und als ?gyptologin wie Anglistin auch lange verblieben ist. Etwas mehr Mühe macht es, die Artikel in den zitierten Auflagen des n?mlichen Lexikons mit Herrn Kollegen Sabrow zu verbinden, scheint mir aber nicht unm?glich: Es mü?te nur gelingen, den unter dem Soldatenk?nig t?tigen preu?ischen Feldpropst Gedicke mit einem zeitlichen Canonicus des Stiftes Beatae Mariae Virginis zu Halberstadt, mit Jacob Paul von Gundling, zu verbinden, dem Martin Sabrow einen geistreichen Rehabilitationsversuch gewidmet hat. Sie ahnen, da? gestern, bei h?uslicher Pr?paration meines Gru?wortes, die einschl?gige Literatur ebenso wenig zur Hand war die die erste Auflage des mehrfach genannten theologischen und religionswissenschaftlichen Handw?rterbuchs.

Freilich soll heute über Zeitgeschichte gesprochen werden und nicht über Pietismus in Preu?en. Aber auch hier kann ich mich kurz fassen: Die verschlungenen Pfade, die Aleida Assmann von Bethel bei Bielefeld über Heidelberg und Luxor, nach Konstanz, Berlin und Yale geführt haben, und die providentiellen Verwicklungen, die Martin Sabrow über Kiel, Marburg, Berlin, Freiburg und München nach Potsdam geführt haben, mu? ich im Zeitalter von gut gepflegten Homepages hier nicht nachzeichnen, sondern kann sie darauf hinweisen, da? im Umfeld der gro?en Monographien Aleida Assmanns auch allerlei Aufs?tze zum Thema erschienen sind, beispielsweise zur biographischen Metapher der ?verschlungenen Pfade“ ein Aufsatz zur unl?sbaren Verbindung von Kommunikation über Erinnerung einerseits und Metaphorik andererseits; im zitierten Aufsatz ?Zur Metaphorik der Erinnerung“ übrigens gleich die erste Anmerkung. W?hrend Aleida Assmann im n?mlichen Aufsatz eine Metaphorik vorstellt, die aus der heilen Welt der Heidelberger Theologie ihrer Kindheit stammen k?nnte – ?Tempel“ und ?Bibliothek“, ?Buch“, ?Palimpsest“, ?Spur“, ?Erwachen“ und schlie?lich ?Erwecken“, handelt Martin Sabrow in einem Sammelband unter dem Titel ?Verletztes Ged?chtnis“ über ?Autobiographische Umbruchsreflektionen deutscher Fachgelehrter nach 1945 und 1989“ – mithin, um auf den Beginn meines Gru?wortes zurückzukommen, über Menschen, die eine Wende nicht als mehr oder weniger erfreuliche, gelegentlich notwendige methodische Durchlüftung festgefahrener Wissenschaften erleben, sondern als ?rgerliche Unterbrechung oder gar als pers?nliche Katastrophe. Glücklich die Generation, der solche tief schmerzhaften Wendeprozesse erspart bleiben! Es w?re freilich aber auch nicht besonders glücklich, wenn der von mir so barbarisch apostrophierte memorial turn niemand mehr ?rgern oder aufregen würde – heruntergesintert in die Fu?noten, pazifiziert in den Vorworten der verschiedenen Universit?tsdisziplinen. Nur eine Methode, um deren Anwendung und Ausgestaltung noch gestritten wird, lebt – und das wünsche ich mir jedenfalls für die Ged?chtnisgeschichte. Also wird man beispielsweise sehr sensibel auf alle Tendenzen der Selbstkanonisierung bei Vertretern der Ged?chtnisgeschichte achten, aber auch auf alle gegenl?ufigen Tendenzen zur Fremdbanalisierung des Ged?chtnisses bei ihren Kritikern.

Sie ahnen: Wer sich wie der Pr?sident dieser Universit?t mit der Antike besch?ftigt, also von der Zeitgeschichtsforschung beliebig distant arbeitet, f?ngt nicht erst bei Halbwachs und Assmann und Sabrow an. Unde et qua haec intraverunt in memoriam meam? fragt der nordafrikanische Bischof Augustinus im Blick auf die Bebilderung von Erinnerung, um dann im zehnten Buch seiner ?Belenntnisse“ zu einer ebenso erfahrungsnahen wie tiefgründigen Beschreibung der memoriaals eines Beziehungsgeschehens anzusetzen. Magna uis est memoriae. Und Sie ahnen, verehrte Damen und Herren, liebe Aleida Assmann, lieber Martin Sabrow, da? ich die Worte des sp?tantiken Kirchenvaters natürlich nichts absichtslos an das Ende meiner Einleitung gesetzt habe: So sehr ich mich über das erste ?ffentlich sichtbare Zeichen der Kooperation des Zentrums für Zeithistorische Forschung mit der Humboldt-Universit?t freue und auch über diese Reihe im besonderen, so gern ich unseren beiden G?sten l?nger zugeh?rt h?tte – die Weisheit der Staatlichen Museen hat eine Veranstaltung des Kunsthistorikers Markschies und des Kirchenhistorikers Markschies über eine romanische Statue der Maria als Sedes Sapientiae, justement auf achtzehn Uhr gesetzt. So gern ich Ihnen beiden zuh?re – dem eigenen, im fernen Aachen t?tigen Bruder h?re ich noch ein klein wenig lieber zu und werde mich daher still entfernen – in der Hoffnung, weitere illustre G?ste des ZZF und insbesondere Sie beide bald wieder zu sehen. Einstweilen Ihnen beiden und allen anderen ein herzliches Willkommen an der Alma Mater Berolinensis!

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t