Humboldt-Universit?t zu Berlin

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Festveranstaltung der Jahresversammlung 2010 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Humboldt-Universit?t

Gru?wort am 7. Juli 2010

Mindestens in einem Jubil?umsjahr, hoch verehrte Frau Ministerinnen Schavan und Ahnen, verehrter Pr?sident Kleiner, liebe Kolleginnen und Kollegen - mindestens in einem Jubil?umsjahr, wie es meine gastgebende Humboldt-Universit?t seit Oktober 2009 in Erinnerung an die Gründung der Berliner Universit?t vor zweihundert Jahren feiert -, k?nnte einem schnell deutlich werden, wie sehr wir in der Wissenschaft im Grunde auf den Schultern unserer V?ter und Mütter stehen - oder, um den gern nur angespielten platonisierenden Scholastiker Bernhard von Chartres doch einmal vollst?ndig und in seiner Originalsprache zu zitieren: nos esse quasi nanos gigantum umeris insidentes, "wir seien gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen", wie es im Metalogicus des gleichfalls in Chartres wirkenden Johannes von Salisbury hei?t (III 4,46-50). Das, verehrte Damen und Herren, k?nnte in einem Jubil?umsjahr deutlich werden, wird aber oft nicht deutlich, weil wir nur allzuoft die Vergangenheit der deutschen Wissenschaft monumentalisieren, in einem schlechten Sinne musealisieren und daher zu Gespensterk?mpfen neigen. Und in den Gespensterk?mpfen scheint sich dann der mittelalterliche Satz umzudrehen: Auf unseren Schultern schleppen wir die Zwerge aus l?ngst vergangenen Zeiten umher.

Ich expliziere meine - zugegeben, leicht polemisch zugespitzte - Beobachtung zun?chst einmal nicht, wie man denken k?nnte, an Humboldt, sondern an einem anderen Riesen dieser Universit?t. Generationen von Historikern haben sich an Leopold von Rankes Diktum "blos zeigen, wie es eigentlich gewesen" abgearbeitet. Und haben es für ein Zeichen eines mehr oder weniger quellenpositivistischen, hermeneutisch naiven Historismus genommen. Gespenster für einen Gespensterkampf lassen sich eben leicht konstruieren. Nur wenige Kritiker Rankes scheinen aber die nicht einmal zweihundert Seiten der "Geschichten der romanischen und germanischen V?lker" (in erster Auflage 1824 erschienen) zur Hand genommen zu haben und den n?mlichen Satz im Kontext studiert zu haben: "So hoher ?mter unterwindet sich gegenw?rtiger Versuch nicht: er will blos zeigen, wie es eigentlich gewesen", hei?t es da im Original, eine kaum verhohlene, tief ironische Polemik gegen einen anderen Granden dieses Hauses Unter den Linden, genauer: gegen die Geschichtskonstruktionen der Hegel-Schule, die der damals in Frankfurt/Oder lehrende Gymnasialprofessor als "hohes Amt" tituliert, als feierlichen Gottesdienst Hegelscher Philosophie, aber eben nicht als pr?zise, an den Quellen orientierte Geschichtsschreibung. Die ebenso feine wie tiefe Ironie Rankes ist leider nicht vielen aufgefallen, unter die wenigen z?hlt ein weiterer gro?er Wissenschaftler dieser Universit?t, der Kirchenhistoriker und Wissenschaftsorganisator Adolf von Harnack, auf den entscheidende Anregungen für die Gründung der heutigen Max-Planck-Gesellschaft vor fast genau hundert Jahren zurückgehen.

Wie gesagt: Gespenster für einen Gespensterkampf lassen sich eben leicht konstruieren und Riesen der Vergangenheit kann man leicht auf Zwergenma? stutzen. Und das gilt natürlich auch für den armen Wilhelm von Humboldt, der nicht nur vor dieser Universit?t in Marmor gehauen als Denkmal steht. Was er vor zweihundert Jahren in ebenso klugen wie knappen Gutachten für seinen K?nig kondensierte, war natürlich ein Kondensat - genauer: aus G?ttinger Aufkl?rung und Berliner Romantik, eine Reaktion auf K?nigsberger Wissenschaftsphilosophie und Jenenser Frühromantik, um nur ein paar F?den anzudeuten, die in meisterlicher Weise vom zeitweilig als Kultusminister amtierenden Universalgelehrten aus Tegel gebündelt wurden. Im akademischen Alltag unserer Tage gerinnt das dichte Kondensat Wilhelm von Humboldts zu blassen, pseudo-humboldtschen Formeln wie der allerberühmtesten von der "Einheit von Forschung und Lehre", die in Wahrheit aus der Epoche der entstehenden Massenuniversit?t im zwanzigsten Jahrhundert stammt. Und diese pseudo-humboldtschen Formeln sind dann die Waffen im Kampf der Parteien, die sich im medialen Zeitalter m?glichst ?ffentlichkeitswirksam die Trivialit?ten um die Ohren hauen: "Humboldt ist tot" oder "Humboldt lebt" - beides ist, wie sie mir sicher sofort zugestehen werden, gleichzeitig ebenso wahr wie falsch, gerade so wie die Feuerbachthese unseres gescheiterten Studenten der Rechtswissenschaft aus der Eingangshalle dieser Universit?t. Ich habe über diese Zusammenh?nge jüngst ver?ffentlicht und will Sie, verehrte Damen und Herren, im Rahmen eines Gru?wortes auch nicht mit Details behelligen - aber doch wenigstens meiner Sorge Ausdruck verleihen, da? wir unter den erheblichen Herausforderungen des Alltags, einer dramatischen Finanzkrise und einem deutlichen Zunahme kompetitiver Elemente im Wissenschaftsalltag das freie Nachdenken über die Universit?t vergessen oder jedenfalls zu kurz kommen lassen: das Nachdenken darüber, was wir an einer Universit?t eigentlich lehren wollen, was an einer Universit?t alle Absolventen unbeschadet ihrer disziplin?ren Qualifikationen k?nnen müssen, welche neuen Wissenschaftsfelder wir hier schleunigst einführen sollten, um dabei endlich einmal nicht mehr mindestens zehn Jahre hinter anderen L?ndern hinterzuhinken.

Bei der Ankündigung der vorangegangenen Staffel des Exzellenzwettbewerbs hie? das, um an eine Formulierung des Vorg?ngers von Dorothee Dzwonnek zu erinnern, "frei malen" - und schon deswegen, weil er nach langen Jahren des Stolperns im G?ngelband staatlicher Bevormundung und aggressiver Kürzungsorgien den 三亿体育·(中国)官方网站n solches freie Malen erlaubte, ist der Exzellenzwettbewerb nur zu begrü?en und den Verantwortlichen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Wissenschaftsrates herzlich dafür zu danken, da? erneut alle verfügbaren R?ume des Bürogeb?udes in der Bonner Kennedyallee mit Tausenden von Antragsskizzen gefüllt werden k?nnen. Es ist aber auch kein Zeichen der Undankbarkeit gegenüber der Politik, verehrte Frau Bundesministerin, wenn man den Dank für die vielen zus?tzlichen Mittel mit der besorgten Bitte um nachhaltige Finanzierung kombiniert - Haufen von Personal, die als auslaufendes Cluster auf eine arme Universit?t zurückfallen, bringen eine solche Universit?t aus dem Gleichgewicht, Scharen von Personal eines weitgehend ausfinanzierten Clusters mobilisieren eine ganze Universit?t, ja eine ganze Region; ich wei?, wovon ich spreche, aus den Randstunden meines pr?sidialen Tages im Berliner altertumswissenschaftlichen Exzellenzcluster "Topoi". Und, wenn ich es schon wage, einer klugen Forschungspolitikerin ?ffentlich Ratschl?ge zu geben: Wie w?re es mit einer entschlossenen, finanziell gut unterlegten Initiative, die es erlaubt, die kleinen F?cher zu st?rken, sie so zu bündeln, wie kluge Arbeitsgruppen in den letzten Jahren vorgeschlagen haben, beispielsweise die Wissenschafts- und Wissensgeschichte, die wir für ein wirklich tiefes Nachdenken über die Universit?t unabdingbar brauchen und von der wir deutlich mehr und das an mehr Standorten brauchen als lediglich das in Berlin in den letzten Jahren entstandene gemeinsame Zentrum der drei Universit?ten und des einschl?gigen Max-Planck-Institutes?

Wenn man auf die Riesen der Vergangenheit schaut, kann man sich ziemlich klein fühlen, selbst wenn es Scheinriesen sind oder kleine, h??liche Gnome mit schier unvorstellbarer Zerst?rungskraft - wie die Geschichte der Berliner Universit?t im vergangenen Jahrhundert zeigt, mein Kollege Hubert Wolf wird über jenes schreckliche Schicksalsjahr 1933 sprechen, in dem sich die Friedrich-Wilhelms-Universit?t den Hals brach. Man kann sich angesichts einer solchen Geschichte von h?chsten H?hen und tiefsten Tiefen ganz klein fühlen. Man kann aber auch ganz bescheiden versuchen, aus dieser Geschichte zu lernen, mindestens zu lernen, wo die Me?latte für exzellente Forschung wie Lehre h?ngt, auch heute immer noch h?ngt und versuchen, im Alltag nicht st?ndig darunter durchzulaufen. Denn die deutsche Universit?t ist weder im Kern verrottet (das w?re sozusagen eine unn?tige Selbstverzwergung der deutschen Universit?t) noch, wie ein früher Professor für Orientalistik dieser Universit?t vor rund achtzig Jahren formulierte, im Kern gesund zu nennen (dann würden wir uns selbst zu Riesen ausrufen) - sondern sie steht, wie ja auch die vielgeschm?hten Rankings zeigen, überwiegend an der Spitze des Mittelfeldes, stellenweise am ?u?ersten Rand der Spitzengruppe. ?berwiegend, stellenweise - es kommt darauf an, sich nicht, wie die berühmte These im Foyer unserer Universit?t empfiehlt, in eine unsinnige Alternative zwischen Analyse und Ver?nderung treiben zu lassen und die Schritte in die richtige Richtung gemeinsam zu tun. In den letzten Jahren ist viel in dieser Richtung geschehen, dafür ist den Verantwortlichen sehr herzlich zu danken, liebe Frau Schavan, lieber Herr Kleiner, lieber Herr Strohschneider und schon deswegen ist es eine Freude, Sie hier erneut und ganz herzlich zu begrü?en, aber auch alle die anderen, die die Mitglieder der Deutschen Forschungsgemeinschaft repr?sentieren und unsere G?ste allzumal. Vielen Dank für Ihre Geduld.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t