Humboldt-Universit?t zu Berlin

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Tagung "Discordia concors": Einheit der Wissenschaft in der Verschiedenheit der Disziplinen. Die mittelalterliche Universit?t und der Beginn der modernen Weltsicht

Gru?wort am 9. Juli 2009

Jedesmal, sehr verehrter, lieber Herr Michaletz, lieber Herr Honnefelder, liebe Kolleginnen und Kollegen, jedesmal, wenn ich das Wort "mittelalterliche Universit?t" h?re, kommt mir die Universit?t vor mein geistiges Auge, an der ich mein Studium der Theologie, der Philologie und klassischen Altertumswissenschaften im Jahre 1981 begonnen habe - die Philipps-Universit?t Marburg/Lahn. Nun werden sie gewi? einwenden, da? die Marburger Universit?t gerade nicht zu der stolzen Gruppe mittelalterlicher Universit?tsgründungen geh?rt, aus der die ehrwürdige alma mater Lipsiensis herauszuheben ist, die gerade ihr sechshundertj?hriges Jubil?um feiert. Vielleicht werden sie mich sogar fragen, ob ich mit meiner Einordnung der Marburger Universit?t implizit wie der gro?e Ernst Troeltsch die Reformation, der sich die Marburger Gründung bekanntlich verdankt, dem Mittelalter zuweisen m?chte, selbst wenn man mit solcher Zuordnung heute kaum mehr die Kirchen- und die Profanhistoriker kaum mehr so provoziert wie Ernst Troeltsch dies tat. Nein, darum geht es mir natürlich nicht, wiewohl zu diesem Thema Manches zu sagen w?re. Nein, die Atmosph?re im alten Hauptgeb?ude der Marburger Universit?t erinnerte mich stark an die mittelalterlichen Universit?ten: ein Dominikanerkloster mit Kirche und anschlie?endem Kreuzgang, letzterer gotisch gew?lbt, fast ebenso wie das alte Dominikanerkloster in Leipzig, jedenfalls vor der Zerst?rung des dortigen Universit?tskomplexes, oder das Zisterzienserinnenkloster "Zum Heiligen Kreuz" in Rostock - wobei die Frage, ob wir mit diesen nachmittelalterlichen S?kularisierungstatbest?nden wirklich die mittelalterlichen Universit?t von Leipzig und Rostock in den Blick bekommen, hier einmal ausgeblendet werden kann. Mir kam es nur darauf an, da? mir das Studieren in einer mittelalterlichen Universit?t schon lange bevor ich visiting fellow am Trinity in Oxford wurde, mindestens atmosph?risch wohl vertraut war aus Marburger Studienanf?ngertagen.

Nun ist es mit den Bildern, die unwillkürlich in uns aufsteigen und der atmosph?rischen Konnotation von Begriffen (wenn ich das unter so vielen klugen Philosophen einmal so abgekürzt sagen darf und nicht vom Heiligen Augustinus an beginne, hier pr?ziser zu werden), ist es so eine Sache. Deswegen will ich auch gleich bekennen, da? ich schon in Jenaer Zeiten, also zu Beginn meiner Karriere als akademischer Lehrer, davon getr?umt habe, wenigstens bestimmende Züge der mittelalterlichen Universit?t zu repristinieren. Wer je einmal im Examen erlebt hat, da? wir an den deutschen theologischen Fakult?ten zwar kleine Pannenbergs und Jüngels, vielleicht auch kleine Slenczkas und Wendebourgs aufziehen, aber nur begrenzt selbst?ndig sprechf?hige theologische Individuen, die sich - wie ein Tübinger Kollege einmal so sch?n formuliert hat - den Wahrheitsgehalt der in Geltung stehenden kirchlichen Tradition so aktiv angeeignet haben, da? sie ihn mit eigenen Worten explizieren k?nnen - ja, wer das einmal erlebt hat oder gar in nahezu jedem Examen einmal erlebt, sehnt sich nach der h?chst kunstvollen Architektur von ?bungs- und Prüfungsdisputationen und der bei Thomas von Aquin ja so meisterlich gel?sten Aufgabe, das Gegenargument der eigenen Position mit so gro?er intellektueller Energie zu rekonstruieren, da? man sich die Sache, die man vertritt, so schwer als m?glich macht. Als visiting fellow in Oxford habe ich wieder neu erleben dürfen, da? auch die akademische vita communis, die im l?rmigen und gro?en Berlin ja nur noch in Fetzen existiert, in den gemeinsamen Gebetszeiten und Mahlzeiten, ja selbst im Gebet für den Stifter des Colleges unter den gottesdienstlichen und andachtlichen Fürbitten noch lebt.

Allein, ich befürchte aus ihrem Programm - all' das, was mich interessiert, interessiert sie heute nachmittag überhaupt nicht. Sie interessiert, wenn ich das Programm recht deute, eher ein Problem. Denn wir haben doch alle von den Wissenschaftshistorikern gelernt, da? in der deutschen Aufkl?rungsuniversit?t G?ttingen die gro?e Vermehrung der Disziplinen, ihre Entfaltung und Differenzierung begann und es dann und daneben noch einige rückst?ndige, ihrer mittelalterlichen Architektur verpflichtete Universit?ten gab, die in den Wirren der franz?sischen Revolution und durch Napoleon hinweggefegt wurden. Einmal ganz abgesehen davon, ob dieses Bild der Entwicklungen des sp?ten achtzehnten Jahrhunderts stimmt - stimmt denn die wiederholte Aufführung des ach so langweiligen Possenspiels unter dem Titel "das finstere Mittelalter" im Blick auf die Disziplinenarchitektur? Lohnt es sich nicht, auf die Universit?t des Mittelalters zu sehen, weil wir ja schon alles wissen von den klassischen Fakult?ten, vom Trivium und vom Quadrivium, so wie es geschrieben steht über den Toren der Bibliotheca Bodleriana zu Oxford, mein t?glicher Blick als visiting fellow in den glücklichen Tagen des vergangenen M?rzes? Sie h?tten bestimmt kein Symposium zu diesem Thema organisiert, wenn die Vorurteile, die ihnen da ein Altkirchlicher referiert, das Letzte und Einzige w?ren, was zum Thema zu sagen w?re - und so bedauere ich besonders, meiner Vorlesung wegen und eines Symposiums für den tief verehrten Kanzler meiner Jenaer Anfangsjahre heute abend in Jena, diese spannende Denkmalsbesch?digung, die sie mutma?lich heute nachmittag und abend vorhaben, nicht verfolgen zu k?nnen - ach, liebe Kollegen, bringen sie doch, wenn ich das so unumwunden sagen darf, eiligst den Tagungsband heraus und schenken sie mir ein Exemplar.

So unbescheiden sollte man niemals schlie?en. Und deswegen danke ich - zun?chst und zu allererst meinem Nachredner, Claus Michaletz. Er hat aus reiner Gro?zügigkeit die Otto-Warburg-Seniorprofessur Ludger Honnefelders mit den Mitteln versehen, die es Herrn Kollegen Honnefelder erlauben, so wunderbare Symposien vorzubereiten und durchzuführen. Ihnen und der Pontanova-Stiftung sind wir, lieber Herr Michaletz, unendlich dankbar, da? Sie helfen, neue Brücken zu bauen zwischen der klassischen Mittelalterforschung und so vielen anderen Wissens- und Wissenschaftsbereichen. Namens der ganzen Universit?t m?chte ich sehr, sehr herzlich danken! Und last, but not least Ihnen, lieber Herr Honnefelder. Ich habe mich wieder einmal versch?tzt. Als Sie in Berlin als Guardini-Professor anfingen, prophezeite ich Ihnen, da? Sie mindestens Dekan, wahrscheinlich aber Pr?sident dieser Universit?t werden würden, so beeindruckt haben mich Ihre klaren, pr?zisen ?u?erungen, Ver?ffentlichungen und sonstigen Aktionen. Da habe ich mich aber, so scheint mir, geringfügig geirrt. Und noch einmal geringfügig geirrt habe ich mich, als ich dachte, Sie würden uns nach dem Ablauf Ihrer Zeit als Guardini-Professor endgültig verlassen und sich gegen alle Trends von Berlin nach Bonn zurückziehen. Auch da habe ich mich - diesmal glücklicherweise - geirrt. Sie sind wieder da, planen wie stets etwas ungeheuer Spannendes und ich begrü?e Sie noch einmal namens der Universit?t als deren erster Otto-Warburg-Seniorprofessur. Und Ihnen allen wünsche ich einen wunderbaren Verlauf Ihres Symposiums, an dem ich - nochmals: bedauerlicherweise - leider nicht teilnehmen kann.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t