Er?ffnung der Humboldt Graduate School
Gru?wort vom 26. April 2007
Wir berufen uns, sehr geehrter Herr Senator, lieber Herr Kollege Z?llner, verehrter Herr Vizepr?sident, lieber Herr Pr?mel, Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, meine Damen und Herren,?–?wir berufen uns gern auf die ruhmreiche Tradition der alten Friedrich-Wilhelms-Universit?t, in deren Rechtsnachfolge unsere Humboldt-Universit?t steht und nennen gern die gro?en Namen, die an ihr wirkten; wie sollte das auch anders sein, wenn schon das Hauptgeb?ude unserer Universit?t zwischen Denkm?lern der Gebrüder Humboldt und einem nach Hegel genannten Platz liegt? Nun geh?rt es freilich zur historischen Aufrichtigkeit, allzumal im Vorfeld unseres gro?en Jubil?ums, auch von Schattenseiten unserer Universit?tsgeschichte zu reden. Und mir scheint, verehrte Damen und Herren, da? die Betreuung von Graduierten in vielen F?llen zu den Schattenseiten der klassischen deutschen Universit?t geh?rte und geh?rt – um es einmal ganz fein und dezent zu formulieren. ?Als ich heute nachmittag im Institut war, um mich wieder einmal zu erkundigen, war der Geheimrat wieder einmal nicht da. Aber Weckherlin, sein Assistent, war da und sagte mir, meine Habilitationsschrift sei abgelehnt. Der Geheimrat habe sie als v?llig unzureichend charakterisiert und erkl?rt, sie der Fakult?t weiterzugeben, halte er für Bel?stigung“. Die gerade zitierten Zeilen finden sich im Abschiedsbrief des verhinderten Berliner Privatdozenten Labude und liegen neben seiner Leiche: ?Labude hatte ein Loch in der Schl?fe. Geronnenes Blut verklebte die Haare“. Selbst wenn jener Abschiedsbrief des Germanisten Labude, den die Kriminalpolizei dem Moralisten Fabian überreicht, eine literarische Fiktion Erich K?stners darstellt, selbst wenn der in Berlin lebende Autor K?stner Umst?nde der gescheiterten Frankfurter Habilitation Walter Benjamins in die Berliner Handlung einflicht – der professorale Geheimrat, der eine Promotion oder Habilitation h?chstens dann las, wenn sie zur Begutachtung eingereicht war, niemals für ein wirkliches Gespr?ch zur Verfügung stand und seine Schüler durch den Assistenten abfertigen lie?, starb bekanntlich nicht aus, als die Weimarer Republik den Geheimratstitel für Professoren abschaffte. Wie unertr?glich dieses System mit Menschen umgehen konnte, portraitiert K?stner mit bitterer Ironie auf den Seiten, die den Besuch des fassungslosen Fabian beim professoralen Geheimrat schildern, der mit seiner Ablehnung Labude in den Selbstmord getrieben hat: ?Und dann kam der Geheimrat. Er war ein Mann von altv?terlicher Eleganz, au?erdem standen ihm die Augen etwas zu weit aus dem Kopf. Der Institutsdiener kletterte hinter ihm die Treppe hoch und trug einen Handkoffer. ?Das ist ja fürchterlich’, erkl?rte der Geheimrat“. Im Verlauf des Gespr?chs zwischen dem Geheimrat und Fabian stellt sich n?mlich heraus, da? der Geheimrat die Arbeit keineswegs als eine v?llig unzureichende Leistung eingestuft hat, gerade das Gegenteil und sich der Assistent Weckherlin mit seiner im wahrsten Sinne des Wortes einschl?gigen Nachricht nur einen Scherz erlaubt hatte. Mangelhafte Betreuung und dümmliche Scherze – natürlich will ich nicht behaupten, da? dies die Regel an einer klassischen deutschen Universit?t war oder ist, schon die eigene glückliche Erfahrung in Tübingen spricht dagegen. Au?erdem macht nichtdeutsche Literatur deutlich, da? es sich auch nicht um ein Spezifikum unseres deutschen Universit?tssystems handeln kann, ein Zeichen seiner angeblichen und gern beklagten fundamentalen Rückst?ndigkeit. Tom Sharpe portraitiert in seinem Roman ?Porterhouse Blue“ das fiktive, fünfhundertj?hrige Porterhouse College in Cambridge und verarbeitet damit Erfahrungen seiner Studienzeit im Pembroke College ebenda. Die im Roman ausgebreiteten Verwicklungen eines Promovenden, der an seinem Thema ?The Influence of Pumpernickel on the Politics of 16th Century Osnabrück“ schier verzweifelt, geh?ren natürlich nicht en detail in ein pr?sidiales Gru?wort, aber auch hier wird mit bitterer Ironie gezeichnet, da? den Dean des College, den reformorientierten neuen Master und auch die Tutoren alles M?gliche interessiert, aber jedenfalls definitiv nicht die Probleme einer Promotion über die politische Bedeutung frühneuzeitlicher westf?lischer Ern?hrungsgewohnheiten für die europ?ische Friedensordnung am Ende des drei?igj?hrigen Krieges. Auch wenn ich nicht glaube, da? solche Schattenseiten der traditionellen deutschen, ja der traditionellen europ?ischen Universit?t ein grunds?tzliches Argument gegen die klassische Einzelpromotion darstellen, wird kaum ein vernünftiger Beobachter des Hochschulsystems bestreiten, da? an dieser Stelle erheblicher Reformbedarf besteht – der Wissenschaftsrat hat im Jahre 2002 Empfehlungen zur Reform der Doktorandenausbildung vorgelegt und dabei in einem Atemzug eine Verkürzung der Promotionszeiten, die sachgerechte Strukturierung der Promotionsphase und zugleich eine Steigerung der Selbstst?ndigkeit wie Eigenverantwortlichkeit der Promovierenden empfohlen.
Der Pr?sident dieser Universit?t mu? an dieser Stelle nicht viele Worte machen: Die Einrichtung der Humboldt Graduate School, die ma?geblich von Hans Jürgen Pr?mel entworfen und betrieben wurde, folgt diesen genannten, ma?geblich von unserer Kollegin Karin Donhauser gepr?gten Empfehlungen des Wissenschaftsrates und versucht, sie in eine Institution umzusetzen. Im Angesicht unseres Festredners, meines verehrten Akademiekollegen Julian Nida-Rümelin, liegt mir freilich noch daran, die Einrichtung der Humboldt Graduate School nicht nur als eine Reaktion auf jahrhundertealte Betreuungsprobleme der deutschen Universit?t im Promotionsstudium zu stilisieren. Nein, wie ich an anderen Stellen schon gesagt habe: Eine spezifische Dynamik der Wissenschaftsentwicklung macht strukturierte Doktorandenausbildung und die Etablierung eines gemeinsamen Daches für die strukturierte und individuelle Doktorandenausbildung unabdingbar. Man kann sich dies leicht am wissenschaftlichen Programm unserer Graduiertenschule ?Mind and Brain“ klarmachen, an dem Versuch von Medizinern, Biologen und Philosophen, Nachwuchswissenschaftler beispielsweise gemeinsam über menschliches Handeln und menschliche Freiheit arbeiten zu lassen. Einer der Gutachter, die im vergangenen Frühsommer in Bonn über den Antrag diskutierten, formulierte die einschl?gige Schlüsselfrage sehr pointiert: ?Wie“, so fragte er, ?wollen Sie den sicherstellen, da? die Philosophen genügend Biologie k?nnen, um einer Neurologie-Vorlesung zu folgen?“ Das ist genau die Schlüsselfrage nach der Modernit?t des wissenschaftlichen Profils der deutschen Universit?t und der Modernisierungsf?higkeit unserer Nachwuchsausbildung: Wenn die Philosophen nicht mehr mit ihrem traditionellen Diskurs über den freien Willen unter sich bleiben wollen – und da? sie das nicht mehr dürfen, hat Julian Nida-Rümelin gerade mit seinen letzten Ver?ffentlichungen eindrucksvoll dokumentiert –, dann werden sie genügend Biologie lernen müssen, um einer Neurologie-Vorlesung zu folgen et vice versa, wie der Geisteswissenschaftler unbedingt erg?nzen m?chte. Der natürliche Ort für einen Philosophen, genügend Biologie zu lernen, der natürliche Ort, um die gro?en Schlüsselfragen auf streng disziplin?rer Basis jenseits der klassischen Disziplingrenzen anzugehen, ist die strukturierte Doktorandenausbildung – und man wird kaum bestreiten k?nnen, da? eine solche Ausbildung eben auch bestimmte zentrale Serviceangebote, eben ein gemeinsames Dach, ben?tigt. Das mag dann fast schon trivial erscheinen – aber die Organisation dessen, was vor Augen liegt, ist meist ein besonders schwieriges Gesch?ft.
Ein besonders schwieriges Gesch?ft – ich m?chte nicht
schlie?en, ohne meinem Kollegen Hans Jürgen Pr?mel zu danken. Dank,
lieber Herr Pr?mel, ist in unseren ?mtern selten, jedenfalls deutlich
seltener als Kritik, zu der sich viele berufen fühlen und die offenbar,
wie unser gemeinsamer Kollege Eveslage zu sagen pflegt, zur
Gehaltsklasse geh?rt. Gerade weil dies so ist, m?chte ich Ihnen heute
abend namens der gesamten Universit?t sehr explizit für die gro?en
Mühen danken, die Sie in der Vorbereitung des heutigen Tages auf sich
genommen haben. Unsere Humboldt-Universit?t, die vormalige
Friedrich-Wilhelms-Universit?t, dokumentiert damit ein weiteres Mal,
da? sie sich bis auf den heutigen Tag als Reformuniversit?t versteht,
ja mehr: als das moderne Original der europ?ischen Reformuniversit?ten
– und für diesmal, lieber Herr Pr?mel, gebührt Ihnen und Ihrem Stab die
Palme dafür, diesen hehren Anspruch auch in die Tat umgesetzt zu
haben.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t