Humboldt-Universit?t zu Berlin

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24. Jahrgang des Internationalen Parlaments-Stipendiums (IPS) des Deutschen Bundestages

Gru?wort am 1. Juli 2010

Zu den sch?nsten Erinnerungen meiner im Oktober endenden fünfj?hrigen Amtszeit als Pr?sident der Humboldt-Universit?t zu Berlin, verehrter Herr Bundestagspr?sident, lieber Herr Lammert, meine Damen und Herren Abgeordnete, Exzellenzen, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem aber: lieber Studierende - also zu den sch?nsten Erinnerungen geh?rt eine Auswahlreise im Rahmen des Internationalen Parlaments-Stipendiums in die Vereinigten Staaten. Jene Reise nach New York und San Francisco geh?rt nun nicht deswegen zu meinen sch?nsten Erinnerungen, weil die beiden Metropolen für viele Zeitgenossen zu den sch?nsten St?dten der Welt (nach Berlin natürlich) geh?ren oder weil die Verwaltung dieses Hohen Hauses die Reise perfekt organisiert hat, so wie man es sich überhaupt nur wünschen kann, nein - diese Reise geh?rt zu meinen sch?nsten Erinnerungen, weil sie - wie das ganze Parlaments-Stipendium - geeignet ist, Vertrauen in eine parlamentarische Demokratie mit Parteien zu stabilisieren oder gar neu zu erwecken, wenn es denn dabei ist, kümmerlich zu werden. Die Stipendiaten dieses zu Ende gehenden vierundzwanzigsten Jahres werden es ebenso gespürt haben wie es die Damen und Herren Abgeordneten wissen und meine Kolleginnen und Kollegen an den Universit?ten analysieren: Die in Deutschland vielleicht besonders gro?e Distanz der Intellektuellen zu dem, was man dann despektierlich "Parteienstaat" nennt, war nie klein und ist gegenw?rtig vielleicht besonders gro?. Einen Tag nach einer Wahl - aber was hei?t da schon: einer Wahl - im Hohen Hause mu? ich darüber nun wirklich nicht viele Worte machen. Die typisch deutsche Halbdistanz zu dem (wenn ich das in Form eines Zitates so despektierlich sagen darf) "Fu?volk", das sich im politischen Alltag aufreibt und die hierzulande nicht sehr beliebten Kompromisse in mühsamen Konsensgespr?chen aushandelt, ist gegenw?rtig wieder sehr deutlich spürbar, sie charakterisiert den deutschen Intellektuellen weit mehr als seine franz?sische contrepartie oder den englischen counterpart. Das Internationale Parlaments-Stipendium ist dazu geeignet, diese - wie die Geschichte unseres Landes zeigt - nicht ungef?hrliche, aber eben weit verbreitete Haltung zu korrigieren; ich sage das als ein Universit?tspr?sident, der in fünf Jahren unter der spezifischen Politisierung dieses Amtes in Berlin mehr als einmal gelitten hat, sie für falsch h?lt und auch keiner politischen Partei angeh?rt. Aber das Parlaments-Stipendium korrigiert und kuriert und das ist der Grund, warum ich meine Reise in so besonders angenehmer Erinnerung habe. Denn diese Reise demonstrierte mir die heitere Seite einer gemeinsamen, interfraktionellen Zusammenarbeit in diesem Hohen Hause, die ich bislang nur aus den gro?en Sternstunden unseres Parlamentes kannte - ich denke beispielsweise an die erste Stammzelldebatte oder die Debatte um den Hauptstatdtumzug von Bonn nach Berlin, als der Fraktionszwang aufgehoben war und von den Abgeordneten ebenso tief bewegte wie bewegende Reden vorgetragen wurden. Eine heitere, reiselustige Seite dieser gemeinsamen Verantwortung für das Gemeinwohl, von zeit- und kr?ftezehrendem Engagement in einem politischen Amt, erlebt man bei den Auswahlreisen des Internationalen Parlaments-Stipendiums, lieber Herr B?rnsen, den ich stellvertretend für viele Abgeordnete nennen darf. Und man erlebt herausragend vorbereitete Bewerber, die dokumentieren, da? politisches Engagement wie Interesse und wissenschaftliche Leidenschaft nicht auseinanderfallen müssen, begreift, da? Kenntnisse des deutschen politischen Systems wesentlich weiter verbreitet sind, als wir nach der Lektüre beispielsweise einer amerikanischen Tageszeitung befürchten müssen.

Es w?re, verehrter Herr Bundestagspr?sident, wundersch?n, wenn diese beglückenden Erfahrungen mit unserem politischen System, die die ausw?hlenden etablierten Akademiker ebenso wie die ausgew?hlten Nachwuchsakademiker machen, noch st?rker in die gebildete ?ffentlichkeit diffundieren würden - wir als Humboldt-Universit?t sind im zweihundertsten Jahr unseres Bestehens auf die ?ffentlichen Pl?tze Berlins mit Vorlesungen und 三亿体育·(中国)官方网站 gegangen, überlegen, dies auch im zweihunderteinsten Jahr fortzusetzen und müssen dann auch das Internationale Parlaments-Stipendium unbedingt in diese Pr?sentation vor der allgemeinen ?ffentlichkeit einbeziehen, am besten mit den Abgeordneten, die dazugeh?ren wie die Studierenden. Denn ich wei? ja aus pers?nlicher Erfahrung, da? viele Studierende nicht nur selbstverst?ndlicher Teil der Arbeit eines Abgeordnetenbüros sind (also beispielsweise die aufgeregten Beschwerden der alltagspraktischen Variante der Parteienverdrossenheit zu bearbeiten haben), sondern trotz aller Terminprobleme auch den homo politicus kennenlernen dürfen, der in dem gestre?ten Politiker steckt, der sie da besch?ftigt. Gestern h?rte ich eine Antrittsvorlesung eines Zeitgeschichtlers, der behauptete, die gro?en Visionen seien unseren Politikern aufgrund der allgemeinen Beschleunigung und des Zeitmangels abhanden gekommen. Ich halte das für eine gewagte These, jedenfalls für eine einseitige. Visionen durchzuhalten und zu entwickeln, ist aufgrund der Komplexit?t von Welt, der "neuen Unübersichtlichkeit", wie Habermas einmal sch?n gesagt hat, eben schwieriger geworden als unter den übersichtlichen Verh?ltnissen vergangener Zeiten. Und manches ist gleichgeblieben: In Erlangen h?lt der Intercity, weil der Reichstagsabgeordnete Hermann Stratmann sich einstens für einen Schnellzughalt in seinem Wahlkreis einsetzte - ich wei? dies, weil Stratmann wie ich Theologieprofessor war und man kann diese Tatsache einerseits als Teil eines nicht unproblematischen Lobbyismus in der parlamentarischen Demokratie deuten, andererseits aber auch als frühes Beispiel von Regionalf?rderung, also als Wahrnahme gesamtstaatlicher Verantwortung in einem Einzelfall.

Die deutschen Universit?ten sind, um einen letzten Gedanken anzuschlie?en, teilweise noch unertr?glich deutsch. Das unterscheidet sie von dem heiteren, selbstverst?ndlichen Grad an Internationalisierung, den beispielsweise die Universit?t Oxford schon zu Gründungszeiten im Mittelalter besa? und mittlerweile auch wieder erreicht hat, seitdem selbst den traditionsreichen Lehrstuhl für englische Literatur eine Italienerin bekleidet. In Deutschland wird eine akademische Position bis heute meist noch in einer deutschen Wochenzeitung ausgeschrieben und ein ausl?ndischer Bewerber zu allererst darauf hin geprüft, ob er denn auch gut deutsch spricht. Ich habe, liebe Stipendiaten, gelernt, da? die 114 Stipendiaten dieses Jahres aus 27 L?ndern stammen von Albanien bis eben zu den Vereinigten Staaten. Sie sind, wenn ich das so sagen darf, die Schwalben einer energischeren Internationalisierung deutscher Universit?ten, Schwalben, die hoffentlich den unmittelbar bevorstehenden Frühling ankündigen, angesichts der gro?en Parolen von der Reform der Bologna-Reform, die man landauf, landab h?rt, darf man ja mal hoffen und vor unserer Universit?t steht ja immerhin auch der Weltreisende Alexander von Humboldt, der sich überall mehr zu Hause fühlte als in seiner Geburts- und Heimatstadt Berlin.

Ihre Zeit geht zu Ende, liebe Stipendiaten, meine bald auch. Uns bleiben die wundersch?nen Erinnerungen an die Zeit, die da zu Ende geht, Erinnerungen an beglückende Stunden im und am deutschen Parlament. Es ist, wie ich eingangs sagte, für das politische System nicht nur hierzulande, sondern vermutlich in einer Fülle Ihrer Heimatl?nder wichtig, diese Erinnerungen nicht zu schnell zu vergessen, sondern flei?ig davon zu erz?hlen. Heute ist aber zu allererst zu danken, den Abgeordneten, die ausw?hlen und ins politische Leben einführen, der Bundestagsverwaltung, die nicht nur die Reisen so wunderbar organisiert, den Kolleginnen und Kollegen, die das akademische Programm durchführen, das natürlich neben der politischen Arbeit den Kern des Stipendiums bildet. Am Schlu? "Danke" zu sagen, ist ein feiner Schlu? - allzumal, wenn der Dank ganz frei vom Verdacht ist, ritualisiert zu sein. In diesem Sinne ein ganz, ganz herzliches Dankesch?n!


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t