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Symposium ?Re-Vision - die Kultur(en) der Gesellschaft“ anl?sslich des 60. Geburtstages von Wolfgang Kaschuba

Gru?wort des Pr?sidenten vom 21. Januar 2010

Das Thema, lieber Herr Kaschuba, das irgendwer aus der zahlreichen Schar Ihrer klugen Schülerinnen und Schüler über diese Konferenz gestellt hat - "Re-Vision - die Kultur(en) der Gesellschaft" ist offenkundig von niemandem gew?hlt, dem an einem stillen und besinnlichen Festakt gelegen ist (wobei man sich Freunde eines stillen und besinnlichen Festaktes in der Kaschuba-Schule eigentlich auch kaum vorstellen kann). Denn die Begriffe sind ja, vorsichtig gesagt, in der Diskussion, direkter gesagt: inzwischen heftig umstritten und garantieren schon als Begriffe muntere Debatten. Zwei Beispiele für etwas, was eigentlich nicht erl?utert werden mu?: Ich entsinne mich zum einen an den Antrittsbesuch bei einem hiesigen Politiker, einem aus dem Senat, um den Kreis der Verd?chtigen einzuschr?nken. Ich versuchte, wie sich das so schickt, anl??lich des Antrittsbesuchs meine und keineswegs nur meine Visionen für die Humboldt-Universit?t zu entwickeln. Der aus dem Westen Deutschlands nach Berlin gekommene Politiker wirkte ziemlich mi?gelaunt, als ich von diesen Visionen sprach, h?rte wenig geduldig zu und zitierte dann in seiner ersten Reaktion Helmut Schmidt "Wer Visionen hat, sollte lieber gleich zum Arzt gehen". Also keine Visionen? Sondern nur Revisionen? Keine Visionen für die weitere Entwicklung der Disziplin "Europ?ische Ethnologie", sondern nur Revisionen einstmals, beispielsweise in Berliner Antrittsvorlesungen vertretener Visionen? Das kann ich mir nicht vorstellen, das ist sicher auch nicht gemeint, wenn es im Titel hei?t: "Revisionen". Und ein zweites, diesmal nicht autobiographisches Beispiel: Gelegentlich taucht in den Feuilletons noch jenes Zitat auf, da? am Beginn des vollkommen vergessenen Theaterstücks "Schlageter" des Gott sei Dank ebenfalls vergessenen nationalsozialistischen Dichters Hanns Johst steht: "Wenn ich Kultur h?re … entsichere ich meinen Browning". Es ist vielleicht ein wenig frech, vielleicht ein wenig zugespitzt, aber sei es drum: Mich erinnern nicht wenige Stellungnahmen insbesondere von Finanzpolitikern auch aus dieser demokratischen Gesellschaft an den n?mlichen Satz und bringen mich zum Schlu?, da? die Hauptstichworte "Revision" und "Kultur(en)" im Titel dieses Symposiums auch in dieser Stadt der Politik gelegentlich abgetrotzt werden müssen und die Ausnahmen, also Politiker, die über Revisionen und dann gar ihre eigenen sprechen, ebenso rar sind wie Politiker, die ein mehr als autoerotisches Verh?ltnis zur Kultur haben. Und dann ist die vornehmste Aufgabe der Universit?t, diese Stichworte wieder ins Bewu?tsein zu holen, denen, die sie unter den Teppich kehren und schon nicht mehr h?ren wollen, zur Not um die Ohren zu schlagen, bis sie h?ren, sind wir doch schlie?lich an der deutschen Universit?t kein 三亿体育·(中国)官方网站, der nach ?konomischen Gesichtspunkten Studierende stopft wie man früher die G?nse gestopft hat vor dem Festessen.

Nun ist mir natürlich durchaus deutlich, da? der Titel "Re-Vision - die Kultur(en) der Gesellschaft" sich auf einen Text, eine Forschungsrichtung des verehrten Jubilars Kaschuba bezieht, einen Text, den die besorgten Veranstalter dem Pr?sidenten dieser Universit?t auch gleich mit der Einladung zugestellt haben - Pr?sidenten deutscher Universit?ten lesen kaum, vor lauter Management kommen sie kaum mehr zum Lesen und vielleicht auch gar nicht mehr zum Denken. "Vom Verschwinden des Sozialen im gesellschaftlichen Diskurs": Sie merken, meine Damen und Herren, in Berlin-Mitte wird noch gelesen. Und wird beispielsweise aufmerksam registriert, wie Wolfgang Kaschuba sich 1994 in seiner angespielten Berliner Antrittsvorlesung Hans-Ulrich Wehler anschlo?, dessen Fanfarenst??e gegen den "Rattenf?nger" Derrida (ich zitiere w?rtlich) freilich erst vier Jahre sp?ter publiziert worden sind. Dieser im besten Sinne modenkritische, aufkl?rerische Implus, lieber Herr Kaschuba, der nun gewi? nicht nur Ihre Antrittsvorlesung auszeichnet, steht unserer Universit?t gut an, steht ihr angesichts ihrer in Passagen finsteren Geschichte gut an, steht ihr als der gro?en Reformuniversit?t im aufgekl?rten Preu?en gut an, steht ihr in einer modernen, globalisierten Mediengesellschaft, in der alle Katzen grau scheinen, gut an. Und entsprechend dankbar ist Ihre Universit?t, lieber Herr Kaschuba, Ihnen für die Aufkl?rung, die Sie seit 1992 als Professor für europ?ische Ethnologie in unseren Mauern und weit darüber hinaus inauguriert haben.

Und dann, lieber Herr Kaschuba, und auch das ist zu rühmen, habe ich Sie kennengelernt nicht nur als Aufkl?rer, als ebenso phantasievollen wie energischen Streiter für die Interessen Ihres Faches, nein, ich habe Sie auch als phantasievollen Vertreter Ihres Faches kennengelernt: Umbruchsgesellschaften im Maxim-Gorki-Theater, natürlich auch die Metropolen, in Zukunft jüdische R?ume in Berlin und Budapest, aber auch sch?n l?nger Yerevan, Baku und Tbilissi - ich erinnere mich noch gut aus Tübinger Studenten- und Assistententagen an Hermann Bausinger: Wir sind uns am Neckar in den achtziger Jahren nie pers?nlich begegnet, aber Ihr l?ngerer Weg von der empirischen Kulturwissenschaft am Ludwig-Uhland-Institut zur europ?ischen Ethnologie in Berlin ist selbst für den Historiker des antiken Christentums wahrnehmbar und er freut sich vielleicht gerade deswegen über Ihre kritische Distanz zu den diversen Wenderhetoriken, gleich ob cultural, linguistic oder was auch immer für ein turn. Ich warte, um nicht zu bedeutungsschwanger zu wirken, übrigens immer noch auf den sourcical turn, lateinisch: ad fontes. War l?nger nicht zu h?ren, kommt mindestens in den historischen Wissenschaften immer mal wieder gut. Und besonders erfreulich ist es natürlich, schon europ?isch zu sein, wenn andere noch Nationalgeschichte treiben, lange vor den Moden, lange vor dem turn - das, lieber Herr Kaschuba, kann man auch bei Ihnen lernen.

Pr?sidiale Gru?worte zu Geburtstagen von gesch?tzten Kollegen sollten in einem getragenen Grundton daherkommen. Aus dieser Rolle bin ich mit meinen durchaus frechen Bemerkungen heute gefallen, aber die, die aus der Rolle fallen, bieten den Ethnologen doch wahrscheinlich mindestens ein so interessantes Studienobjekt wie die vielen, die brav ihre Rolle spielen. Und bei aller Inszenierung von Rollenbruch und Rollenwechsel - ganz in der mir zugebilligten Rolle, lieber Herr Kaschuba, m?chte ich diesem interessanten Symposium einen guten Verlauf wünschen und ?ffentlich bemerken, wie sehr ich bedauere, da? mich andere, mehr oder weniger wichtige 三亿体育·(中国)官方网站 vom Besuch abhalten und Ihnen nachtr?glich ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren und alles erdenklich Gute für die n?chsten Jahre der Forschung und Lehre hier bei uns wünschen.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t