Humboldt-Universit?t zu Berlin

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Gru?wort anl?sslich der Antrittsvorlesung von Martin Sabrow an der Humboldt-Universit?t zu Berlin

30. Juni 2010

Kurz vor dem Wissenschaftskolleg zu Berlin, sehr verehrte, liebe Frau Kollegin Metzler, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, kurz vor dem Wissenschaftskolleg in der Wallotstra?e macht die Koenigsalle eine relativ scharfe Kurve – man ist als Autofahrer allein durch die Verkehrssituation, nicht nur durch das Verkehrsschild, gezwungen, das Tempo zu drosseln, um an der Ecke der Kreuzung zur Erdener und zur Wallot-Stra?e nicht aus der Kurve zu fliegen. Natürlich wissen alle, die hier und heute im Raum sitzen, da? am frühen Vormittag des 24. Juni 1922 Josef Prozeller, der Chauffeur des Reichsau?enministers Rathenau, wie alle anderen Autos in der n?mlichen scharfen Kurve mit ihrer unübersichtlichen Kreuzungssituation scharf abbremsen mu?te und auf diese Weise den Autos mit den M?rdern des Ministers Gelegenheit zum Schie?en und zum Werfen der Eierhandgranate gab. Die Detonation h?rte im nahegelegenen Grunewald-Gymnasium, das kaum einen Steinwurf von der nun schon mehrfach erw?hnten Kurve entfernt liegt, der junge Berliner Schüler Dietrich Bonhoeffer aus der Wangenheimstra?e – und wenn er seine Biographie sp?ter nicht zu sehr stilisiert hat, l?ste der politische Mord im liberalen Haus des gro?en Charité-Ordinarius Karl Bonhoeffer nicht geringe Bestürzung aus, die sich auch dem damals sechszehnj?hrigen Oberschüler durchaus vermittelte.

Sie ahnen, sehr verehrte Damen und Herren, warum ich so ausführlich von einer Stra?enkurve gesprochen habe und dem politischen Mord, den diese Stra?enkurve gewisserma?en erst m?glich, jedenfalls erst so effektiv m?glich machte, da? das Mordopfer sehr kurz nach dem Anschlag, noch auf dem Weg zum Haus seinen Verletzungen erlag. Darum, weil Martin Sabrow, der heute seine Antrittsvorlesung an der Berliner Humboldt-Universit?t h?lt, darüber 1994 seine Dissertation und 1998 ein – wenn man das angesichts der trüben Materie sagen darf – geradezu schwungvolles Fischer-Taschenbüchlein geschrieben hat. Das Exemplar meiner Bibliothek tr?gt ein Datum aus dem Jahre 2006, zu einem Zeitpunkt, als ich noch nicht einmal ein volles Jahr als Pr?sident der Humboldt-Universit?t wirkte. Heute nach knapp fünf Jahren, kurz vor dem Ende meiner Amtszeit, wird nun feierlich besiegelt, was damals – anl??lich der Widmung des Buches über den Rathenau-Mord, erstmals ausführlicher besprochen und verabredet wurde – die Berufung des Direktors des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung an die Humboldt-Universit?t auf eine der berühmten Berliner ?Sonder-Professuren“, kurz: ?S-Professuren“, in diesem Fall eine Professur für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte.

Es entspr?che weder dem Genre einer akademischen Antrittsvorlesung, wenn der Pr?sident den Professor nun vorstellen würde, noch darf ein Ordinarius für antikes Christentum wagen, die Ver?ffentlichungen eines Zeithistorikers vorzustellen und damit, ob er will oder nicht, zu bewerten beginnen. Wohl wagen wir Kirchenhistoriker noch etwas, was die sogenannten ?Profanhistoriker“ l?ngst vermeiden, den Sprung durch die Epochen mindestens im Rahmen der Vorlesungen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ein Differenzierungsproze? der allgemeinen Geschichtswissenschaft bei uns nicht (wieder einmal, um der Wahrheit die Ehre zu geben) versp?tet ankommt – mindestens meine jüngeren Kollegen lesen den berühmten Zyklus, der die Geschichte des Christentums vom globalisierten r?mischen Weltreich in fünf oder sechs Epochenvorlesungen bis nach Berlin-Dahlem verengt, schon nicht mehr vollst?ndig. Also: Ich darf es nicht wagen, Martin Sabrow vorzustellen, zu berichten, wie ihn sein Lebensweg von Kiel und Marburg nach Berlin, an eine Berliner Schule, an das Potsdamer Zentrum, an die Universit?t Potsdam und schlie?lich hierher zu uns führte, auf Gastprofessuren in Braunschweig, London und Bologna; vor allem aber nicht wagen, das reiche Panorama der Ver?ffentlichungen zwischen Jakob Gundling, dem Akademiepr?sidenten, der in Bornstaedt bei Potsdam im Weinfa? endete oder jedenfalls geendet haben soll, und der Geschichte der jüngsten Vergangenheit anzubl?ttern, aufzubl?ttern und im Portrait durchzubl?ttern, weil ich mich dann – Sie verzeihen den billigen Kalauer – vor Ihnen allen als Dilettant entbl?ttern k?nnte. Macht doch die Lektüre der wunderbaren Passagen Fontanes über den armen Gundling aus einem althistorisch arbeitenden Theologen noch keinen Frühneuzeithistoriker und die Herausgeberschaft eines im Druck befindlichen Bandes über die ?Erinnerungsorte des Christentums“ aus einem Kirchenhistoriker noch keinen Experten für Ged?chtnisgeschichte.

So halte ich in meinem pr?sidialen Gru?wort zu dieser Antrittsvorlesung auch nur ganz bescheiden zwei meiner eigenen Eindrücke von Martin Sabrow fest, die ich in den letzten Jahren gewonnen habe. Seitdem ich im Kuratorium des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung Sitz und Stimme habe, beeindruckt mich insbesondere die Nachwuchsarbeit unseres neuen Professors für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte. Auf der Homepage des ZZF findet sich die h?chst eindrucksvolle Phalanx der Nachwuchswissenschaftler, die an dieser Einrichtung ausgebildet werden. Sechsundzwanzig z?hlte ich heute Morgen beim Versuch, schlaftrunken eine Homepage auszuwerten. Ein Doktorandenkolloquium, dazu Doktorandenforum und Doktorandenkolleg werden offeriert und wenn ich recht sehe, eine Fülle von Tagungen und Konferenzen dazu, einige auch hier in der Humboldt-Universit?t: Den Kommunismus erz?hlen, diesen Titel habe ich mir gemerkt, weil er eine der vielen Interessen von Sabrow trifft: Wie wird Zeitgeschichte erz?hlt, nach welchen Gesichtspunkten und vor allem auf welcher Basis.

Und damit bin ich bei einem zweiten Eindruck: Erinnerungen. Ich habe, ich darf es heute abend ehrlich gestehen, immer mit gro?em Unwillen die Versuche zur Kenntnis genommen, im Rahmen der sogenannten Ged?chtnisgeschichte Begriffe und Paradigmen zu bilden und hegemonial im Diskurs zur Geltung zu bringen – das sind dann die Momente, in denen ich den unendlich mi?brauchten und unverstandenen Humboldt-Formeln wie ?Einsamkeit und Freiheit“ doch einen unmittelbaren Sinn abgewinnen kann: Bitte Einsamkeit angesichts der Tausenden Bücher und Broschüren zum Thema, Freiheit von diesem Paradigma und nicht schon wieder ein ?Speicherged?chtnis“ und so weiter und so fort, zumal der Altkirchenhistoriker bescheiden darauf hinweist, da? der nordafrikanische Kirchenvater Augustinus im Grunde in seiner herausragend pr?zisen Analyse des Ged?chtnisses in den ?Bekenntnissen“ alles eigentlich schon in recht schlichter Terminologie beschrieben hat. Aus meiner Müdigkeit in Sachen Ged?chtnisgeschichte hat mich Martin Sabrow aufzuwecken vermocht, in einer Podiumsdiskussion, in der er mit einer der Protagonistinnen dieser Richtung h?chst kritisch umging und pr?zise analysierte, wo die Probleme lagen, dann aber auch in einer Podiumsdiskussion zu Beginn dieses Semesters über seinen Sammelband ?Erinnerungsorte der DDR“: Hellsichtig, pr?zise und materialreich analysierte er die Formen der Erinnerung und des Ged?chtnisses, fern jeder blo?en Mode eines Forschungsparadigmas.

Und so, meine Damen und Herren, wünschen wir uns doch die Zeitgeschichte. Ich werde mich hüten, jetzt als Pr?sident der Humboldt-Universit?t über die jüngste Vergangenheit im Osten dieses Landes ?ffentlich zu sprechen, weil ich dann die Diskussion über meinen Nachfolger ?ffentlich kommentieren mü?te – aber es ist ja deutlich, da? insbesondere die Zeitgeschichte ein H?chstma? an methodischer Sensibilit?t und historiographischer Pr?zision braucht, um es etwas flapsig zu sagen: Sp?tantike ist weniger umstritten, da die meisten Protagonisten eben schon gestorben sind und der Konflikt zwischen Selbst- und Fremddeutung nicht mehr auf dem Forum der Zeitgenossen oder, wie man bei Ihnen fachspezifischer sagt, der Zeitzeugen ausgetragen werden mu?. Es h?ngt eben mindesten genauso viel davon ab, wie man über Vergangenheit nachtr?glich redet, wie vom Verhalten in eben dieser Vergangenheit. Und der Untiefen, in die man stürzen kann, sind viele, für die Zeitgenossen wie für die Zeithistoriker, aber wem sage ich das. Martin Sabrow reflektiert über sorgsames Reden in der Zeitgeschichte, er h?lt, indem er darüber reflektiert, auch uns dazu an, die wir als Zeithistoriker dann und wann dilettieren und er setzt Ma?st?be bei der Nachwuchsausbildung und – fast sch?me ich mich, dies zu sagen in der allgemeinen Euphorie der Tonnage-Ideologie an deutschen Universit?ten – auch Ma?st?be bei der Drittmitteleinwerbung. Da lag es – to cut a long story short – nahe, ihn für diese Universit?t zu gewinnen und die F?den zwischen unserem herausragenden Historischen Institut und seinem feinen Zentrum für Zeithistorische Forschung noch enger zu knüpfen. Mich erfüllt es mit gro?er Befriedigung, da? heute feierlich bekr?ftigt wird, was wir 2006 überlegten. Namens der Humboldt-Universit?t hei?e ich Sie, lieber Herr Sabrow, nochmals und feierlich hier Unter den Linden willkommen.