Humboldt-Universit?t zu Berlin

Humboldt-Universit?t zu Berlin | ?ber die Universit?t | Geschichte | Rektoren und Pr?sidenten | Christoph Markschies | Reden des Pr?sidenten | Kombinierten Abschlu?- und Auftaktveranstaltung des ProFiL-Programms

Kombinierten Abschlu?- und Auftaktveranstaltung des ProFiL-Programms

Begrü?ungsrede des Pr?sidenten vom 8. Februar 2010

"Berufungen an Universit?ten - Erfahrungen aus der aktuellen Verfahrenspraxis und Empfehlungen für die Zukunft"

Es liegt nahe, verehrte Frau Wendorf, liebe Kollegen Linscheid und Wagner, meine Damen und Herren, aber insbesondere liebe Teilnehmerinnen der beiden ProFIL-Programm-Durchg?nge und natürlich auch liebe Mentorinnen und Mentoren, da? ich Sie alle nicht einfach mit den üblichen bemühten Worten begrü?e, sondern meine Hochachtung vor dem Programm und seinen beeindruckenden Ergebnisse dadurch dokumentiere, da? ich ihnen ein paar ungeordnete Gedanken zu Ihrem Thema - "Berufungen an Universit?ten - Erfahrungen aus der aktuellen Verfahrenspraxis und Empfehlungen für die Zukunft" vortrage; Frau Donhauser wird das Thema nachher viel besser und viel klüger behandeln, gestützt auf die wichtigen Papiere des Wissenschaftsrates, an deren Erarbeitung sie vermutlich sogar beteiligt war. Ich darf mich angesichts ihrer wissenschaftspolitischen Kompetenz ganz auf meine pers?nliche Erfahrung und ein paar Schlu?folgerungen aus derselben zurückziehen:

Meine ersten Erfahrungen mit Berufungsverfahren machte ich vor vielen, vielen Jahren; damals war ich in einer idyllischen Universit?tsstadt im Süden unseres Landes der Vertreter der Assistentinnen und Assistenten im Fakul?tsrat. Man traf sich in diesem Gremium unter den Bildern würdiger ?lterer Herren aus diversen Jahrhunderten; die beiden Assistentenvertreter führten normalerweise das Protokoll der Sitzungen und durften in der Runde bildlich und physisch pr?senter würdiger ?lterer Herren gelegentlich auch etwas sagen. In einer der ersten Sitzungen dieses erlauchten Gremiums, an der ich teilnehmen durfte, stand eine in der Fakult?t heftig umstrittene Berufungsliste zur Abstimmung an. Als ich den l?nglichen Raum an der Stirnseite betrat, überraschte mich das Bild, das ich sah: Der sonst m??ig gefüllte Raum platzte aus allen N?hten, denn es waren s?mtliche kooptierten Professoren aus der juristischen und philosophischen Fakult?t anwesend, die ich zuvor noch nie in der Runde des Fakult?tsrates erblickt hatte. Dann trat man in die Tagesordnung ein, der betreffende Punkt wurde bald vom Dekan aufgerufen und es erhob sich als erster Redner der letzte Inhaber der Professur, die neu zu besetzen war und warnte mit ebenso bewegten wie bewegenden Worten vor dem Erstplazierten der Liste, über die abgestimmt werden solle. Der zur Berufung Vorgesehene habe, so sprach der prominente Theologe, sei für den Lehrstuhl ungeeignet, denn es fehle ihm ein entscheidendes Detail, das einen wirklichen Vertreter seines Faches auszeichne. Au?erdem sei bekannt, da? er schwierig sei und kaum H?rer habe. Da niemand im Raum dieses Urteil überprüfen konnte (zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden in den meisten theologischen Fakult?ten noch keine Probevortr?ge gehalten), meldete ich mich und wies daraufhin, da? ich w?hrend meines Studiums in den ziemlich vollen H?rs?len des angeblich schwierigen Lehrers gesessen habe und dies nun wirklich nicht best?tigen konnte. So wogte die Diskussion hin und her - schlie?lich wurde die umstrittene Liste mit der Mehrheit der sonst nicht abstimmenden kooptierten Professoren gebilligt, der betreffende Professur wurde berufen, nahm den Ruf an und lehrte bis zum vergangenen Jahr - wenn ich recht sehe, mit sehr gutem Erfolg - in der süddeutschen Universit?tsstadt.

Was ist aus meiner Erfahrung zu lernen? Was habe ich gelernt? Zum einen ist zu lernen, da? Berufungen in unserem Lande noch immer wie damals im Süden all zu oft von "Old-Boys-Netzwerken" gesteuert werden, die - vorsichtig gesagt - ein etwas loses Verh?ltnis zu den akademischen Spielregeln haben. Damit habe ich nun gewi? nichts Revolution?res gesagt. Und doch, um etwas wider den Stachel zu l?cken: Wenn das Old-Boys-Netzwerk aus klugen, gelehrten Zeitgenossen besteht, kann unter Umst?nden Besseres herauskommen, als wenn alle mitreden, vollkommene Transparenz angestrebt wird, alle Gremien beteiligt werden. Ein wenig Aristokratie tut der Gelehrtenrepublik gut; ich sage das, auch wenn man in Berlin für diesen Satz durchaus gesteinigt werden kann. Man mu? nur darauf achten, da? diese Netzwerke wirklich ausschlie?lich aus herausragenden Kollegen und vor allem auch aus den herausragenden Kolleginnen bestehen, also nicht schlichte und dann unfehlbar schlechte m?nnerbündische Vereinigungen sind, die sich - je nach intellektuellem Niveau einen weiteren Skatbruder oder Chellisten für das Streichquartett - berufen. Für die Richtigkeit meiner Beobachtung spricht, da? das erw?hnte süddeutsche Old-Boys-Netzwerk schon in den siebziger Jahren eine der ersten und wirklich ganz herausragenden Frauen in einer theologischen Fakult?t berufen hatte und in der Berufung, die auf den eben berichteten Fall folgte, wieder eine Frau auf den ersten Platz setzte. Man mu? eben nur darauf achten, da? das Kriterium h?chster fachlicher Exzellenz nicht durch m?nnerbündische Mechanismen konterkariert wird.

Zum zweiten ist aus meiner Erfahrung zu lernen, da? nach wie vor so viele Berufungen mi?lingen, weil wir uns an deutschen Universit?ten viel zu wenig Zeit für das Kennenlernen der Kandidatinnen und Kandidaten nehmen, auch zu wenig Zeit für die Suche nach Geeigneten. Natürlich ist die alte Praxis, nur nach Aktenlage und ohne Probevortrag zu entscheiden, weil die entscheidenden Personen sich ohnehin kannten, ein Extrembeispiel und die lamoryante Bemerkung eines Bonner Kollegen ("Wir machen keine Probevortr?ge, da ist die ?berraschung gr??er, wer kommt") vermutlich Geschichte - aber im Vergleich zur Auswahl in Max-Planck-Instituten nehmen wir uns mit den üblichen anderthalb Stunden für Probevortrag und Diskussion fahrl?ssig wenig Zeit für eine Lebenszeitstelle, fürchten auch eine wirklich unabh?ngige Begutachtung wie der Teufel das Weihwasser, wenn sie dem Theologen das theologische Bild nachsehen. Wenn die Professoren nicht ihre Faulheit bei solchen Auswahlen überwinden und sich mehr Zeit für die Lektüre von Schriften und das Kennenlernen von Kandidatinnen wie Kandidaten nehmen, wird sich allerdings niemals etwas ?ndern. Zum Stichwort Faulheit geh?rt leider auch, da? andere Abschnitte von Berufungsverfahren viel, viel zu lange dauern und von einer geradezu bestürzenden Intransparenz für die Betroffenen sind.

Zum dritten ist aus meiner einstigen Erfahrung im Süden zu lernen, da? wir - allzumal in Zeiten betonierter Strukturpl?ne und festgezurrter Studienabl?ufe - viel zu wenig bereit sind, unsere Vorstellungen von dem Profil einer Professur und damit dem Profil der Inhaberin oder des Inhabers zur Diskussion zu stellen und best?ndig zu reformieren, sich einer rasant wandelnden Wissenschaftslandschaft anzupassen. Der gro?e Theologe aus dem Süden, der gegen seinen potentiellen Nachfolger auf der erw?hnten Liste opponierte, informierte den Fakult?tsrat einfach nur darüber, da? der vorgesehene Erstplazierte nicht dem Bild entsprach, das er selbst zu vermitteln versuchte. Gott sei dank, m?chte man ja eigentlich ausrufen. Und doch folgt meistens in Deutschland auf den Lehrstuhlinhaber Chemie r?misch vier der n?chste Inhaber Chemie r?misch vier, im Profil (hier auch das Ende in Kleinbuchstaben) wenig ver?ndert. Das benachteiligt nicht nur kluge junge Frauen mit neuen Ideen, sondern stellt die Dynamik von Wissenschaft einfach still. Als ich einmal nach einer Festveranstaltung der Heidelberger Akademie beim Abendessen die Frage zu stellen wagte, ob die ursprünglich einmal institutionell selbst?ndige Kulturwissenschaft meiner Universit?t nicht l?ngst in die einzelnen F?cher (also beispielsweise Geschichts- oder Literaturwissenschaft) diffundiert sei, verwandelte sich mein Interesse an offener Diskussion und Ver?nderung blitzeschnell in das Gerücht, ich wolle die Kulturwissenschaften einsparen und bescherte mir besorgte Mails, Briefe und Besuche. So kann es einem gehen, wenn man versucht, einer staunenden Universit?t zu vermitteln, da? es einen Zusammenhang zwischen einer individuellen Berufung und dem Gesamtprofil einer Universit?t, deren Profilierung gibt und geben mu?, wenn nicht Erstarrung dominieren soll.

Ich sollte zum Schlu? kommen, damit die Fachleute zu Wort kommen k?nnen. Als ich vor dem Senatssaal vor fast drei Jahren das sch?ne Bild der Absolventinnen des letzten Durchgangs des ProFIL-Programms anbringen lie?, bekam ich allerlei kritische Hinweise: Da sei doch der Innenhof der Technischen Universit?t abgebildet, das solle man im Treppenaufgang der Humboldt-Universit?t tunlichst nicht aufh?ngen. Und so weiter und so fort. Das Bild h?ngt noch und es h?ngt sicher mindestens noch so lange, wie ich als Pr?sident hier amtiere, also bis zum Ende dieses Jahres. Denn es macht optisch hervorragend deutlich, da? wie jetzt auch im sechsten und siebenten Durchgang des ProFIL-Programms, in den vorhergehenden fünf Durchg?ngen kluge Frauen ertüchtigt worden sind, auch dazu ertüchtigt worden sind, sich in den oft noch m?nnerbündischen, chaotischen und laienhaften Berufungsverfahren deutscher Universit?ten durchzusetzen. Man hat mir freundlicherweise die einschl?gigen Zahlen auf einen Vorbereitungszettel geschrieben:

  • 62 Rufe auf Professuren und 3 auf ?quivalente Positionen in der au?eruniversit?ren Forschung bei 83 Absolventinnen mit inzwischen erworbener Berufungsf?higkeit;
  • 42 Gast- und Vertretungsprofessuren und 62 abgeschlossene Habilitationen,
  • 21 Rufe auf Juniorprofessuren und 5 eingeworbene Nachwuchsgruppenleitungen
  • 5 eingeworbene Heisenbergstipendien, 2 Ehrungen mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis, 2 Ernennungen zu Mitgliedern der Jungen Akademie

Ein solcher feiner Erfolg hat für gew?hnlich viele Mütter und V?ter - und daher liegt mir daran, in meiner Er?ffnung auch zu danken (selbstverst?ndlich auch im Namen der Pr?sidien der beiden Berliner Partner-Universit?ten und der Universit?t Potsdam), zuf?rderst den Beiratsmitgliedern, dann der wissenschaftlichen Koordinatorin Frau Jansen, den jeweiligen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und besonders allen Mentorinnen und Mentoren für ihr gro?es Engagement und ihre Bereitschaft, ihren Erfahrungs- und Wissensschatz in die Nachwuchsf?rderung einzubringen.

Wenn ich im Laufe meiner Biographie als Student, Assistent, Professor und Pr?sident etwas über Berufungen gelernt haben sollte, dann war viel Zufall dabei - ein systematisches Nachdenken über Karriereschritte, Hierarchiestufen, Besch?ftigungspositionen und Bewerbungsverfahren gab es in den achtziger und frühen neunziger Jahren in unserem Land nur in Ans?tzen und die waren kaum bekannt. Sie, liebe Absolventinnen und neue Teilnehmerinnen haben die wunderbare Chance (gehabt oder eben vor sich), eine solche systematische Reflexion mit einem ganz pers?nlichen Training zu verbinden. Insofern ist mir, auch angesichts der beeindruckenden Ergebnisse voraufgehender Lehrg?nge, um ihre Zukunft nicht bange, gewi? nicht. Frau Kollegin Karin Donhauser, die sie alle kennen und die ich daher nicht vorstellen mu?, wird nun wesentlich solider, auf der Basis systematischer Reflexion und getragen von der Expertise der vorzüglichen K?lner Gesch?ftsstelle des Wissenschaftsrates vertiefen, was ich allenfalls oberfl?chlich berühren konnte.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t