Er?ffnung der achtzehnten Werner-Reihlen-Vorlesung "Die ?unsichtbare Hand' (Adam Smith) und die Gier"
Gru?wort vom 17. November 2009
Spectabilis, verehrte Familie Reihlen, verehrte Referenten, meine Damen und Herren - über die für diese Reihlen-Vorlesungen titelgebende Metapher der "invisible hand" und den Moralphilosophen Adam Smith, der sie popularisiert hat, sollte ein Kirchenhistoriker, der sich vor allem mit der christlichen Antike besch?ftigt, ebenso wenig r?sonieren wie ein Pr?sident, der durch ein paar J?hrchen Universit?tsverwaltung noch keine spezifische Kompetenz für die klassische Volkswirtschaftslehre erworben hat. Allenfalls über die "Gier" vermag er in seinem Gru?wort zur Er?ffnung dieser Vorlesung etwas sagen - denn die pleonexi3a, das "Mehr-Haben-Wollen", und die avaritia, die phylargyria, sind mir natürlich aus den Lasterkatalogen meiner Kirchenv?ter wohl vertraute Begriffe. Aber nicht erst der nordafrikanische Bischof Augustinus, sondern schon Jahrhunderte zuvor der Historiker Thukydides, meinte, da? jenes "Mehr-Haben-Wollen" aus der Natur des Menschen kommt und als gef?hrlicher Naturtrieb zusammen mit der filotimi3a Wurzel allen ?bels ist (RAC XIII, 228). Immerzu "Mehr-Haben-Wollen" ist für griechische Historiker wie auch die Tragiker gegen g?ttliches Recht und Gesetz, ist ein Ausdruck menschlicher Hybris, st?rt die Gemeinschaft und bringt das bereits erworbene Gut in Gefahr - so, wie gesagt, wurde bereits lange vor Aufkommen des Christentums gedacht und es tut gut, sich solche schlichten Befunde gelegentlich klarzumachen, bevor gro?e Theorien über die Last des augustinischen Erbes in der christlichen Theologie aufgestellt und argumentiert werden. Der pagane Rhetoriker Dion Chrysostomus, ein Zeitgenosse von Plutarch, Tacitus und Plinius dem Jüngeren, schrieb eine ganze Rede gegen die Gier und leitete sie mit der feinen Beobachtung ein, da? "jedermann sie als sch?dlich und verderblich kennt, als die Ursache der gr??ten ?bel, und da? doch keiner von ihr frei ist und sich damit begnügt, eben nur soviel wie sein Nachbar zu haben" (or. 17,6).
Ich will jetzt nicht in einem Gru?wort wie in einem Lexikonartikel durch die diversen Belege aus unterschiedlichen Jahrhunderten wandern und bemerke lediglich zusammenfassend: Auch das Christentum polemisierte bekanntlich von Anfang an gegen die Gier. "Die Gier ist die Wurzel aller ?bel" (1Tim 6,10), um nur einen einzigen biblischen Beleg zu nennen. Entsprechend war beispielsweise die christliche Predigt gegen die Gier zu allen Zeiten wenig dezent, oft drastisch: "M?nner und Frauen, angetan mit schmutzigen Lumpen", die sich auf glühenden Kieselsteinen w?lzen müssen: Diese furchtbare H?llenvision entwirft die Petrusapokalypse für die Gierigen, die "vertraut haben ihrem Reichtum und sich nicht der Witwen und Waisen erbarmt, sondern Gottes Gebot mi?achtet haben" (NTApo II, 573). Obwohl die nachkonstantinischen Kirchenordnungen bestimmen, da? Kleriker, die auf Geld gierig sind, amtsenthoben werden, ist nach dem im fünften Jahrhundert lebenden Gallier Salvian von Marseille Gier praktischer G?tzendienst und ihre weite Verbreitung eine Folge der Dekadenz des Christentums, dessen ?u?eren Zuwachs kein inneres Wachstum entsprach (RAC XIII, 244). Und bei dem gro?en M?nchstheologen Evagrius Ponticus kann man lesen, da? "der Vielbegüterte von Sorgen gefesselt ist und wie ein Hund an die Kette gebunden" ist.
Warum, so fragt sich der Patristiker im Pr?sidentenamt, der das sch?ne Programm der diesj?hrigen Reihlen-Vorlesungen zur Hand nimmt, warum sind wir eigentlich so stumm geworden angesichts der ?ffentlichen Rehabilitierung von Geiz und Gier? Warum haben wir eigentlich solche antiken Texte vergessen und vergleichsweise tatenlos zugesehen, wie die best?ndige Zunahme des Leistungsdrucks (nicht nur, wie man angesichts des neu aufflackernden Bildungsstreiks sagen mu?, an den Universit?ten) die Gier als erfolgreiche Lebenshaltung neu etabliert hat? Die gro?e Wirtschaftskrise macht deutlich, da? diese keine protestantischen Spezialfragen sind, keine Erw?gungen von Menschen, die die reformatorische Polemik gegen religi?se Verg?tzung der Leistung mi?verstanden haben im Sinne einer allgemeinen Polemik gegen Leistung - nein, inzwischen ist auch vielen Menschen, die recht wenig mit Christentum am Hut haben, deutlich, da? die Gier - gerade so, wie es die antiken Heiden und Christen sahen, die gef?hrliche Wurzel allen ?bels ist.
Ich bin sicher, da? sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht bei solchen plakativen Aussagen stehen bleiben werden, sondern differenziert werten und engagiert diskutieren werden. Ich versichere ihnen, da? ihr Thema nicht nur von h?chster Aktualit?t ist, sondern von zentralem Interesse für diverse Disziplinen und somit für viele Angeh?rige dieser Universit?t. Besser kann man eigentlich kein Thema aussuchen, keine Vorlesungsreihe organisieren und deswegen geht am Schlu? mein Dank an die Familie Reihlen, die uns diese Reihe so treu erm?glicht und an die vorbereitenden Professores Gerhardt und Slenczka.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t