Humboldt-Universit?t zu Berlin

Ansprache bei der Ehrenpromotion für Joshua Jortner

Da? jetzt nach dem amtierenden Pr?sidenten der Humboldt-Universit?t, sehr geehrte Herren Pr?sidenten, verehrte Dekane, liebe Kollegen und Studierende und lieber Herr Jortner, auch der designierte Pr?sident dieser Universit?t das Wort ergreift, mag verwundern. Selbst die beeindruckende Tatsache, da? gleich zwei Berliner Universit?ten an eine einzige Person die Ehrendoktorwürde verleihen, rechtfertigt nicht den Auftritt von gleich drei Pr?sidenten. Zudem sind die Kenntnisse eines Historikers und Theologen über die theoretische Modellierung von Elektronentransportprozessen in DNA-Sequenzen beliebig gering.

Mein heutiges Gru?wort verdankt sich eher der Tatsache, da? ich wie der Chemiker, den wir heute ehren, extra aus Tel Aviv zu diesem Anla? angereist bin und unseren heutigen Festakt als einen gro?en H?hepunkt israelischer-deutscher Wissenschaftsbeziehungen würdigen m?chte – als H?hepunkt einer Geschichte, die bekanntlich am tiefsten Punkt begonnen hat, den man sich überhaupt nur vorstellen kann. Diese dramatische Geschichte hat auch die beiden Universit?ten Israels, mit denen Joshua Jortner eng verbunden ist, tief gepr?gt: Die Hebrew University of Jerusalem, als deren Fellow ich gerade forsche, und die Tel Aviv University.

Spuren dieser Pr?gung sind für den, der hinzuschauen vermag, durchaus noch heute gut sichtbar. Wenn man in Tel Aviv über die King George Street flaniert, trifft man unweigerlich auf das sehr traditionsreiche Antiquariat Pollak. Pr?ziser gesagt: Man trifft auf zwei Gesch?fte des Antiquariats Pollak. Im einen gibt es feine, in Leder gebundene Klassiker-Ausgaben und edle Kunstdruckb?nde. Im anderen in langen Holzregalen die Reste der Bibliotheken jener Gelehrten, die Europa verlassen haben und in Israel neu beginnen mu?ten. Und da findet sich zwischen Jacob Wassermann und Ernst Simon immer wieder einmal eine kleine Broschüre des Jüdischen Nationalfonds Keren Kayemeth Lejisrael, in der deutschen Gelehrten in leicht verst?ndlichen Worten erkl?rt wird, wie man sich vor Moskitos schützt, sein Brot zur Not auch mit eigener H?nde Arbeit verdient und dabei noch ein paar Brocken Iwrit lernt. Ich wei? nicht, ob die Familie Jortner 1940 auch eine vergleichbare polnische Broschüre erworben hat. Aber ich wei?, da? der in Israel immer wieder einmal zu h?rende Satz, die Hebr?ische Universit?t sei die deutscheste Universit?t des Nahen Ostens und die in Tel Aviv sei es in abgeschw?chter Form auch, die Wirklichkeit nur sehr eingeschr?nkt trifft. Denn alle, die seit 1925 in Jerusalem und seit 1956 in Tel Aviv lehren oder studieren, mu?ten aus solchen Broschüren und anderen Quellen lernen, mit der spezifischen Situation des Landes und seiner Geschichte umzugehen. Die Notwendigkeit, um des ?berlebens willen eine besondere, entt?uschungsresistente Form alltagspraktischer Energie zu entwickeln, unterscheidet viele israelischen Kollegen, die ich n?her kenne, sehr grunds?tzlich von deutschen Professoren. Wenn ich recht sehe, ist es eben diese entt?uschungsresistente Form alltagspraktischer Energie, die eine gro?e Zahl von israelischen Wissenschaftlern zu energischen Boten einer friedlichen Verst?ndigung zwischen den V?lkern hat werden lassen. Joshua Jortner ist – beispielsweise als Pr?sident der Israel Academy of Sciences and Humanities – mit Leidenschaft für diese, von ihm als ?second track diplomacy“ bezeichnete Kooperation über die Grenzen hinweg eingetreten und hat sie gegenüber Kritikern verteidigt. ?Second track diplomacy“ bedeutet für Jortner, da? eine Politisierung der Wissenschaft strikt vermieden wird und die v?lkerverbindende Kooperation der Wissenschaftler allein nach wissenschaftlichen Ma?st?ben erfolgt – eben dadurch aber kann sie die politischen Grenzen überwinden und die gro?en Konflikte abbauen helfen.

Auch die deutschen Universit?ten (und die Berliner allzumal) brauchen dringend eine solche entt?uschungsresistente, alltagspraktische Energie, um die gegenw?rtigen Herausforderungen besser zu bestehen. Da Sie, lieber Herr Jortner, so eng mit den Berliner Universit?ten verbunden sind und in der Stadt so pr?sent sind, mu? glücklicherweise niemand im Antiquariat Pollak in Tel Aviv st?bern, ob er wohl noch eine von den erw?hnten Broschüren findet. Er kann sich Sie selbst zum Vorbild nehmen. Wir ehren mit den Ehrendoktorwürden beider Universit?ten zugleich auch Ihren Einsatz für die israelisch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen und versichern Ihnen, da? wir fest entschlossen sind, diese Beziehungen nicht nur am Institut für Chemie, sondern in allen Einrichtungen entschlossen auszubauen.

Prof. Dr. Christoph Markschies
Berlin, 11. November 2005