Humboldt-Universit?t zu Berlin

65. Geburtstag von Prof. Dr. Heinz Schilling

Gru?wort vom 23. Mai 2007

Viele ?berreste des Alten Reiches, meine sehr verehrten Damen und Herren, insbesondere aber: verehrter, lieber Herr Kollege Schilling, sind nur den Fachleuten bekannt. Man mu? die magazinierten Best?nde des Halberst?dter Domes schon relativ gut kennen, um zu wissen, da? in einer etwas unscheinbaren Schachtel einer von – wenn ich recht sehe – zwei überlebenden Kurhüten des Alten Reiches liegt. Der gro?e Kurfürst trug die Kopfbedeckung mit achtfach ausgezackter Hermelinkrempe bei der Erbhuldigung der Halberst?dter Lehnskurie am 3. April 1650, die den Entscheidungen des Westf?lischen Friedensvertrages folgte und stifte den Hut nach dem Abschlu? der Feierlichkeiten dem Halberst?dter Domkapitel. Viele ?berreste des Alten Reiches sind nur Fachleuten bekannt – und im Falle der Kurhüte liegt das, wie ich dem Katalog der letztj?hrigen Reichsausstellung entnommen habe, am Insektenfra?, der den Hermelinbesatz und damit das ganze Herrschaftszeichen offenbar so zügig zerst?rte, da? man am Hofe in Berlin oder Dresden eigentlich stets mehrere Exemplare vorr?tig hielt. Entsprechend mager sind die 三亿体育·(中国)官方网站 der Internetenzyklop?die Wikipedia, in der sich – horribile dictu – vermutlich auch viele Berliner Studierende informieren werden, mager und sprachlich wie sachlich inkorrekt: ?Der Kurhut besteht aus einem Hermelinreifen, eine (sic!) Purpurfütterung und einem perlenbesetzten Bügel, der meist von einem Kreuz bekr?nt wird“.

Ganz anders ergeht es einem, wenn man in jenem Internetlexikon das Stichwort ?Konfessionalisierung“ aufruft, das offenbar ein deutlich kundigerer Autor verfa?t hat: Da kann man dann n?mlich lesen: ?Die deutschen Historiker Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling haben diese Theorie Ende der 1970er Jahre unabh?ngig voneinander parallel entwickelt. Sie pr?gt bis heute die Erforschung der frühneuzeitlichen Geschichte Europas“. Nun werde ich mich als Altkirchenhistoriker im Pr?sidentenamt hüten, eine kurze Geschichte des Konfessionalisierungsparadigmas zu entwerfen – das hat mein G?ttinger Kollege Thomas Kaufmann vor einiger Zeit ungleich kundiger getan und k?nnten viele Kolleginnen und Kollegen hier im Raum besser. Aber ich vermute, da? mir niemand widersprechen wird, da? wir gegenw?rtig die paradoxe Situation erleben, da? ein Beschreibungsmodell für die politische und kulturelle Wirklichkeit des Alten Reiches – n?mlich das Konfessionalisierungsparadigma – samt seinem Urheber Schilling bekannter ist als einzelne ?berreste der politischen wie kulturellen Wirklichkeit eben dieses Staatsgebildes, wie eben der erw?hnte Kurhut aus Halberstadt. Staatsgebilde? Der Altkirchenhistoriker wird sich hüten, in die Debatten um den Charakter dieses Reiches einzugreifen, die er ja eher vom Rande her verfolgt: ?Reichs-Staat und frühneuzeitliche Nation der Deutschen oder teilmodernisiertes Reichssystem“ – Herr Kollege Schilling hat ja nicht nur das Konfessionalisierungsparadigma gepr?gt, sondern immer wieder in die Debatte um das Reich in der ihm eigenen Weise ebenso pointiert wie temperamentvoll eingegriffen. Besonders sympathisch berührt einen Kirchenhistoriker, dessen Focus sich traditionell von der reichsweiten antiken Oikumene zun?chst auf Wittenberg und Genf und dann auf Dahlem und Barmen verengt, Schillings in letzter Zeit immer wieder erhobene Forderung, das Alte Reich in einer europ?ischen, komparatistischen Perspektive zu beschreiben.

Aber der Pr?sident dieser Universit?t ist ungeachtet seiner Kenntnisse über die Magazinbest?nde des Halberst?dter Domschatzes kein Frühneuzeithistoriker und daher f?llt ihm im Rahmen einer so feierlichen Festveranstaltung, die er au?erdem zu seinem nicht geringen Kummer bald wieder verlassen mu?, sinnvollerweise auch nicht die Aufgabe einer abschlie?enden Würdigung des Jubilars oder seines Oeuvres zu. Er mu? also nicht darüber grübeln, ob sich der jüngst von Schilling gebrauchte Terminus ?Konfessionsfundamentalismus“ so durchsetzen wird wie der Begriff Konfessionalisierung, der nun von manchen auch für das neunzehnte Jahrhundert verwendet wird, er mu? auch nicht fragen, wie Schillings eigener konfessioneller Hintergrund und die Bielefelder Steppe eine magistrale Sicht auf das Alte Reich pr?gen – nein, er darf als Pr?sident und Sekretar der geisteswissenschaftlichen Klasse der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften einfach danken. Einfach danken für jenen Grundzug des Wissenschaftlers Schilling, den ich eben ?pointiert wie temperamentvoll“ genannt habe. Wenn man es im Alltag oft mit wenig pointierten und leider immer wieder auch mit etwas müden Kollegen zu tun hat, ist man um so dankbarer dafür, welche elementare Leidenschaft für die Sache aus Herrn Kollegen Schilling spricht, welche Kraft, Thesen und Beschreibungen zuzuspitzen und welche Freude, Halbseidenes und Falsches auch so zu nennen. Die Humboldt-Universit?t zu Berlin und auch die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften verdanken ihm sehr viel, weit über die engen Grenzen des Faches hinaus.

Sie ahnen es l?ngst, verehrte Damen und Herren: H?tten die Insekten nicht den Inhalt so vieler Hutschachteln aufgefressen – ich h?tte natürlich versucht, heute zum Festakt einen Kurhut beizubringen und zu dedizieren. Der Halberst?dter kann es begreiflicherweise nicht sein und so bleibt mir nur der dürre Dank und der um so lebhaftere Wunsch, da? der Tag heute ein vollwertiger Ersatz sein m?chte und vielleicht sogar weit mehr – denn eine gewisse Sch?bigkeit wird man Symbolen des Alten Reiches wie den angefressenen Kurhüten und einer Reichskrone, auf der nahezu alles schief und krumm montiert ist, nicht absprechen k?nnen. Aber das ist vermutlich auch ein Thema für kluge Historiker und nicht für pr?sidiale Gru?worte.

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t