Abschiedsvorlesung von Richard Schr?der
Gru?wort vom 4. Februar 2009
?Da wei? man gleich, wo man ist“ – mit diesen Worten, lieber Herr
Minister Sch?uble, liebe Herren Biedenkopf und de Maizière, lieber
Bischof Wolfgang Huber, Spectabilis, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren, endet ein Artikel von Richard Schr?der über die
Feuerbachthese im Hauptgeb?ude der Humboldt-Universit?t: ?Da wei? man
gleich, wo man ist“. Der ebenso vergnügliche wie für seinen Autor
charakteristische Artikel demonstriert zun?chst die erheblichen
philosophischen Probleme dieser angeschlagenen These – und zwar durch
einen schlichten Ersetzungsvorgang: ?Die Meteorologen haben das Wetter
nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, es zu ?ndern“.
Am Beispiel des Wetters argumentiert Schr?der, da? es doch wenig
sinnvoll sei, thetisch eine Alternative von Verstehen und Ver?ndern zu
behaupten, schon gar nicht als Philosoph, dem es um das Verstehen gehen
müsse. Der n?mliche Artikel schlie?t dann mit der Frage, ob man die (im
?brigen denkmalgeschützte) Feuerbachthese entfernen solle und kommt zum
Schlu?, dies besser nicht zu tun – ?da wei? man gleich, wo man
ist“.
Mit den n?mlichen Worten – ?da wei? man gleich, wo man ist“ –
schlie?t freilich nicht nur ein für Richard Schr?ders ebenso streng
logisches, ?u?erst pr?zises wie um Pointen nie verlegenes Denken sehr
charakteristischer Artikel. Mir scheint, da? diese sieben Worte auch
als ?berschrift für sein ganzes ?uvre wie Wirken genommen werden
k?nnen: ?Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit“ – auch da
wei? man gleich, wo man ist: Die These, die widerlegt wird, steht
bereits im Inhaltsverzeichnis, gern werden nach ihrer Explikation
?schlichte Tatsachen“ zur Widerlegung der verbreiteten und doch
falschen These bemüht, eben echt Schr?der. Das k?nnte ich nun an vielen
Texten explizieren, an Zeitungsartikeln, ?ffentlichen Vortr?gen,
Buchver?ffentlichungen – man merkt dem Autor des Bandes ?Abschaffung
der Religion? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen“ an, da? er
seine Erfahrungen mit einem sogenannten ?wissenschaftlichen Atheismus“
bereits vor l?ngerer Zeit gemacht und wei?, wo sich Fanatismus
wissenschaftlich maskiert und man wei? eben doch gleich, wo man
ist.
Meine erste, literarische Begegnung mit Richard Schr?der liegt lange
zurück. Ich studierte in Marburg und benutzte ein Kompendium der
?lutherischen Dogmatik zwischen Reformation und Aufkl?rung“, das mir
nicht recht gefiel. Da las ich eine Rezension eines mir g?nzlich
unbekannten Richard Schr?der aus dem Jahre 1971 – wenn ich recht sehe,
damals Student am katechetischen Oberseminar in Naumburg –, die eine
sorgf?ltige Prüfung der zwei B?nde des Kompendiums enthielt, das anhand
der Quellentexte gewogen und für viel zu leicht befunden wurde, da
wurden meine Bedenken ebenfalls artikuliert und jener Naumburger
Student wu?te doch ungleich viel mehr als sein Marburger Kollege.
?brigens wurde das fragmentarische, zweib?ndige Werk des Kompendiums
der lutherischen Dogmatik nach der Rezension Schr?ders nicht
fortgesetzt und es war wohl auch nicht schade darum.
?Da wei? man gleich, wo man ist“: Dieser Satz Richard Schr?ders gilt auch und vielleicht gerade, wenn es um ?Denken im Zwielicht“ geht, um freies Denken, dem es aus vielerlei Gründen schwer gemacht wurde in einem totalit?ren Staat; man kann das im gleichnamigen Band aus dem Jahre 1990 und seinen klugen Texten zur Kirche im Sozialismus und zum christlich-marxistischen Dialog studieren; wenn in diesen Wochen die letzten Kollegen von den kirchlichen 三亿体育·(中国)官方网站n der alten DDR emeritiert werden, tut es uns jungen Kollegen aus dem Westen, denen das freie Wort so vollkommen selbstverst?ndlich ist, gut, daran zu erinnern, da? der Ort jenes freien Wortes viel weniger die Staatsfakult?ten waren als eben jene kleinen, aber feinen 三亿体育·(中国)官方网站n in der Borsigstra?e, in Leipzig und eben in Naumburg waren, die nach der Wende so vergleichsweise leicht abgewickelt worden sind. In der freien Atmosph?re dieser Ausbildungseinrichtungen ist Richard Schr?der aufgewachsen und es bleibt, verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Aufgabe, nach seiner Emeritierung den Geist dieser Ausbildungseinrichtungen zu bewahren und nicht einfach in der zweihundertj?hrigen Geschichte dieser Fakult?t untergehen zu lassen – dazu ist auch viel zu banal und viel zu schrecklich, was sich mit Namen von Professoren der Theologischen Fakult?t der Friedrich-Wilhelms-Universit?t und der Humboldt-Universit?t verbindet.
?Da wei? man gleich, wo man ist“ – ursprünglich bezieht sich dieser Satz ja auf die Humboldt-Universit?t und darüber sollte ihr gegenw?rtiger Pr?sident nun wenigstens noch ein paar S?tze verlieren. Richard Schr?der hat nicht nur seit 1991 an der Humboldt-Universit?t gelehrt, er hat auf verschiedensten Gebieten für die Freiheit von Lehre und Forschung an dieser Universit?t gestritten, 1998 bis 2000 als Vizepr?sident und gesch?ftsführender Pr?sident Verantwortung in nicht einfacher Zeit getragen und zuletzt als Konzilsvorsitzender durch seine ebenso konzise wie humorige Sitzungsleitung viele beeindruckt. Wenn wir Jüngeren uns einmal klarmachen, da? von bestimmten Alt- und Neukadern eigens die Verfassung der Universit?t ge?ndert wurde, um einen Rektor Schr?der zu verhindern und eine universit?tsfremde Pr?sidentin zu installieren, dann ahnen wir auch die bitteren Hintergründe, die hinter dem auf den ersten Blick so amüsanten Satz ?Da wei? man gleich, wo man ist“ stecken. Vor einiger Zeit las ich einen der geh?ssigen Zeitungsartikel, mit denen ein von Schr?der inauguriertes Reformprojekt für die Humboldt-Universit?t und die Einstellung eines klugen Mitarbeiters kommentiert wurde; die Tatsache einer freien Presse garantiert noch keine wahrheitsgem??e Berichterstattung, auch im neuen Deutschland gibt es ein Neues Deutschland. ?Da wei? man gleich, wo man ist“: Diese Worte k?nnten sehr bitter, sehr resigniert klingen und wahrscheinlich geh?rt der Satz, da? die Humboldt-Universit?t nach 1990 komplett gewendet und erneuert wurde, auch zu den Irrtümern über die deutsche Einheit. Ich habe Richard Schr?der aber nie bitter oder resigniert erlebt; wahre Aufkl?rer, wie er ganz gewi? einer ist, vertrauen fr?hlich auf die Kraft des Argumentes und streiten unverdrossen für die Wahrheit. Nicht zuletzt dafür, lieber Richard Schr?der, ist Ihnen die Humboldt-Universit?t zu Berlin sehr tief dankbar, mindestens ein guter Teil ihrer Professorenschaft und ihrer Mitarbeiter, ganz gewi? ich selbst, der ich nicht dort w?re, wo ich bin, wenn sie nicht dort und anderswo gesessen h?tten.
Einen letzten Punkt mu? ich noch ansprechen, wenn ich schon unter der ?berschrift ?Da wei? man gleich, wo man ist“ spreche. Der Starkstromrasenm?her. Das Tischfeuerwerk. Das k?nnte man ja auch für schlichtes ?berlebenshandwerk aus der alten DDR halten. Den Versuch, sich selbst zu basteln, was die Versorgung wieder einmal nicht liefern kann – ein Volk von Heimwerkern zwischen Bodden und Erzgebirge. Aber mir scheint, diese Erkl?rung greift zu kurz. Auch bei der Erkl?rung des Falls Galilei geben Sie sich nicht mit den vorgefertigten Teilen zufrieden, auch nicht, wenn die nun via Internet und Google Books so unendlich viel leichter zug?nglich sind als in den leeren Regalen von Konsum und unwirschen Zurückweisungen bei PGH. Sie – und das ist nun gewi? nicht abwertend gemeint – basteln sich Ihre ganz eigene, unmittelbar von der Sache her entwickelte L?sung, die in ihrer argumentativen Klarheit verblüfft und erfreut, die schlicht ist, weil die Wahrheit einfach ist.
Gro?en Lobeshymnen, lieber Richard Schr?der, mi?trauen Sie. Und Sie m?gen es, so denke ich, lieber, da? wir diese Ideale klarer Argumentation und unerschrockenen Eintretens für die Wahrheit hier im Hause und in der ganzen Universit?t hochhalten, als da? ich jetzt mit hehren Worten feststelle, da? Sie sich um diese Universit?t verdient gemacht haben. Um klare Argumentation und unerschrockenes Eintreten für die Wahrheit wollen wir uns hier bemühen – und dürfen Sie vielleicht im Gegenzug bitten, uns noch m?glichst lange weiter zu erfreuen mit klugen Zwischenrufen zu Geistesgeschichte und Geistesgegenwart, kurz: mit Ihren wunderbaren Hinweisen auf Gottes Klarheiten weiterzuhelfen, die sein helles Licht in unsere Finsternisse bringen.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident
der Humboldt-Universit?t