Bemerkungen anl??lich der Er?ffnung des Georg-Simmel-Zentrums für Metropolenforschung, 26.01.2007
?Denn tats?chlich: ?Ein Fremdling und ein Gast’ ist in seinem Leben ein jeder, der eine Stadt bewohnt, aber alles in ihr, was von anderen bewundert wird, verachtet und in der Stadt wohnt, als w?re es eine Wüste, damit nicht der Ort über ihn Gewalt habe“. Sie ahnen es, meine Damen und Herren, vermutlich bereits: So, als Fremdlinge und G?ste auf Erden, fühlten sich viele Christenmenschen in der Antike und fühlen sich manche Angeh?riger bestimmter christlicher Gruppen bis heute. Menschen, die sich unbehaust auf Erden fühlen, weil sie ihre Heimat – wie es beim Apostel Paulus hei?t – im Himmel haben, weil ihr – wie es im griechischen Original hei?t – πολ?τευμα, ihre Bürgergesellschaft eigentlich nicht von dieser Welt ist, fühlen sich natürlich insbesondere in St?dten, insbesondere in den Metropolen der Antike fremd. Darüber mu? man eigentlich nicht viele Worte machen. Auch für die antiken Metropolen galt, was nach Georg Simmel für die neuzeitlichen gilt: Steigerung des Lebens, des ?Nervenlebens“, wie er sagt, des intellektuellen Lebens, der Komplexit?t – oder, um eine berühmte Formel eines berühmten Historikers aus einer westf?lischen Kleinstadt zu bemühen: Beschleunigung. Kaum verwunderlich, da? sich unter solchen Umst?nden auch die Gefühle der Heimatlosigkeit und Unbehaustheit steigern und solche Menschen schon in der Antike in der Stadt wohnten, ?als w?re es eine Wüste“.
?ber all’ dies mü?te man, wie gesagt, nicht viele Worte machen. Interessanter ist schon, wo sich der Satz findet, den ich eingangs zitiert habe. Er findet sich in einem Werk eines christlichen Autors vom Beginn des zweiten Jahrhunderts, das ?Teppiche“ überschrieben ist, da es der Gattung der Miszellanliteratur zuzurechnen ist. Der Name des Autors lautet Titus Flavius Clemens, er war also vermutlich in irgendeiner Weise mit dem flavischen Kaiserhaus verwandt und lebte in Alexandrien. Und dies scheint mir der eigentlich interessante Punkt an meinem Zitat: Ein hochgebildeter Zeitgenosse, der in Athen platonische Philosophie studiert hatte und in der antiken Metropole par excellance lebte, in Alexandria, also alle Annehmlichkeiten dieser gro?en Bildungsmetropole genossen hat, fühlt sich in eben dieser Stadt unbehaust und ohne Heimat. Er schreibt mitten in Alexandria sieben Bücher ?Teppiche“, in denen er nachzuweisen versucht, da? das Christentum für gebildete Zeitgenossen die einzige Denk- und Lebensform ist, benutzt die Bibliotheken der Stadt, um ausführlich griechische Klassiker und Philosophen, bekannte und unbekannte, zu zitieren – und verachtet gleichzeitig ?alles in ihr, was von anderen bewundert wird“ und wohnt in der Stadt, als w?re es eine Wüste“. Und an dieser Stelle wird nun die Begründung spannend: ?damit nicht der Ort über ihn Gewalt habe“. An dieser Stelle wird nun pl?tzlich deutlich, da? es hier gar nicht um die urchristliche Heimatlosigkeit, um die Fremdlingsschaft der Christen geht, die Paulus in seinem Brief an die Philipper ausdrückt, sondern um das klassische stoische Ideal der Apathie, das sich mit der epikur?ischen Vorstellung der Atharaxie berührt: um das klassische Ideal des von allem irdischen Getriebe, von aller l?stigen Handarbeit befreiten, allein dem Denken hingegebenen griechischen Weisen, der schon durch labor improbus, aber erst recht durch das gesch?ftige Treiben einer Metropole in den Grundlagen seiner Existenz gef?hrdet ist.
Es l?ge anl??lich der Tatsache, da? wir heute feierlich ein Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung er?ffnen, nahe, diese Beobachtungen zu Clemens Alexandrinus auf die Charakterisierung des intellektuellen Gro?st?dters zu beziehen, die sich in Georg Simmels Aufsatz ?Die Gro?st?dte und das Geistesleben“ findet. Liegt nicht schon beim dem intellektuellen Christen des zweiten Jahrhunderts jener Widerstand gegen drohende Entwurzelung vor, ?mit der“, wie Simmel schreibt, ?die Str?mungen und Diskrepanzen seines ?u?eren Milieus ihn bedrohen“, ein intellektueller Widerstand gegen Entwurzelung, der durchaus dem vergleichbar ist, was nach Simmel für die nach der Reichshauptstadt Berlin modellierte moderne Gro?stadt charakteristisch ist? Ich erinnere an die Ihnen allen bekannten Stichworte Simmels: ?quantitative Steigerung von Bedeutung und Energie“ – bei Clemens sichtbar an den Anstrengungen, so viele pagane antike Autoren zu zitieren wie kein christlicher Autor vor ihm und auch kaum einer nach ihm – und die Mittel ?qualitativer Besonderung“, die ?spezifisch gro?st?dtischen Extravaganzen des Apartseins, der Kaprice, des Preti?sentums“ – bei Clemens sichtbar an den Empfehlungen an die M?nner wie Frauen, auf die üblichen geschlechtsspezifischen Zeichen von Erfolg und Luxus zu verzichten; kurz gesagt: der Blick mit Simmels, ohne Zweifel erg?nzungsbedürftiger Analyse der Gro?stadt aus dem Jahre 1903 auf einen antiken Christen und seine Gedanken über die Stadt verspricht durchaus mehr spannende Ergebnisse, als ich hier andeuten konnte.
Die Haltung des antiken Christentums zur Stadt war nicht nur mit Blick auf ein gebildetes Individuum so ambivalent, wie wir es bei Clemens Alexandrinus beobachten. Sie war auch im Blick auf die gr??eren Zusammenh?nge von h?chster Ambivalenz. Das Christentum, eine aus einer eher d?rflichen Region am Ende des r?mischen Reiches stammende Bewegung, warf sich kurz nach dem schm?hlichen Tode ihres Protagonisten gleichsam mit gro?er Energie auf die St?dte – in der syrischen Metropole Antiochia kam nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte der Begriff ?Christen“ auf, die Metropolis der Provinz Asia, Ephesus, spielt eine zentrale Rolle für die frühe Christentumsgeschichte, Rom und Alexandria waren ebenfalls noch vor dem Ende des ersten Jahrhunderts Ort von kleineren Gemeinden mit hoher theologischer Produktivit?t, in Rom Ende des ersten Jahrhunderts z?hlten sich sogar schon Mitglieder des Kaiserhauses und des Senates zu der neuen superstitio, zum neuen Aberglauben, wie die Juristen die neue Gruppe einsch?tzten. Und von den Gro?st?dten her eroberte das antike Christentum die Kleinst?dte, Lyon, Karthago, Smyrna und so weiter und so fort. Diese Eroberungsstrategie setzte sich nach der sogenannten ?Konstantinischen Wende“, also der massiven juristischen Privilegierung der neuen Religion seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts und ihrer Normierung als Reichsreligion des Imperium unter Kaiser Theodosius im Jahre 380 n.Chr. fort, man sieht an den gro?en Kirchbauten der Sp?tantike in Rom, wie die christliche Kirche mit kaiserlicher Protektion die alte Hauptstadt erobert: Zuerst, noch im vierten Jahrhundert, die gro?en Kirchbauten des Lateran auf einer ehemaligen kaiserlichen Kaserne und von St. Peter auf dem aufgelassenen vatikanischen Zirkus, zwei Kirchen am Rande der Stadt und St. Paul sogar vor den Mauern, aber dann eben auch, deutlich sp?ter die neuen Kirchen und konvertierten paganen Tempel, wie das Pantheon, da? der byzantinische Kaiser Phokas 608 n.Chr. Papst Bonifatius IV. schenkte und das in die Kirche Sancta Maria ad Martyres umgewandelt wurde. Das antike Christentum ist nach einer kurzen, sehr provinziellen Phase zu Beginn zun?chst eine gro?st?dtische Religion – urban evant, wie man auch sagen k?nnte – und verbreitet sich dann erst auf dem Lande – Simmels Zeitgenosse Adolf von Harnack, ebenfalls an der Friedrich-Wilhelms-Universit?t t?tig, hat das in seiner gro?en ?Missionsgeschichte“ gezeigt.
Nur kurz m?chte ich zum Abschlu? noch darauf hinweisen, da? die überaus schnelle Beheimatung der antiken Christen in den Gro?st?dten, die in seltsamen Widerspruch zu den diversen Formen der Gro?stadtkritik steht – Clemens Alexandrinus, den ich eingangs zitierte und interpretierte, bietet nur einen Typ dieser Kritik, eine recht bedeutsame Folge hatte. Das Christentum drückte wie das Judentum seine individuelle wie kollektive Hoffnung mit der Vision einer Stadt aus, mit der Vision eines himmlischen Jerusalem am Ende der Zeiten. Aber nicht zuletzt aufgrund seiner Beheimatung in den Gro?st?dten l?ste es diese eschatologische Erwartung vom konkreten Ort in Pal?stina, der bis ins zwanzigste Jahrhundert ja eher eine Kleinstadt war, und stilisierte das himmlische Jerusalem als gigantische Riesengro?stadt von ungeheueren Ausma?en. W?hrend die ersten Christen – wie übrigens auch die Juden – davon überzeugt waren, da? die Vollendung der Zeiten, das jüngste Gericht und die Wiederkehr des Messias beziehungsweise des Christus im realen pal?stinischen Jerusalem geschehen werde, w?hrend Jesus von Nazareth alle Wallfahrtsfeste in Jerusalem besuchte und Paulus noch hoffte, da? der Erl?ser aus Zion kommen werde (R?mer 11,26), verlor diese gro?e Vision einer eschatologischen, endzeitlichen Stadt zusehends ihren Realit?tsbezug auf die konkrete irdische Stadt Jerusalem – im Judentum wie im Christentum. Die künftige himmlische Stadt wurde seit dem zweiten Jahrhundert nicht nur ganz anders als das durch r?mische Truppen zerst?rte Jerusalem, sondern ganz anders als jede irdische Stadt entworfen, die himmlische Stadt ist riesengro?, eine gigantische Mega-Mega-Metropole (rabbinische Quellen sprechen von H?usern, die drei?ig Stockwerke haben und christliche Quellen von einer Seitenl?nge von zweitausendvierhundert Kilometer).
Die Veranstalter haben den Pr?sidenten der Humboldt-Universit?t um einen wissenschaftlichen Kurzvortrag gebeten, nicht um ein Gru?wort zur Er?ffnung des Simmel-Zentrums. Einen Vortrag hat er gehalten, und hat Ihnen allen hoffentlich dokumentiert, da? er sich auf das neue Zentrum an seiner Universit?t nicht nur freut, weil Georg Simmel die wunderbare Parole ?Geld wird Gott“ gepr?gt hat. Sondern weil er sich durch die Berliner Metropolenforschung Gewinn für viele Fachgebiete unserer Universit?t und nicht zuletzt für sein eigenes erwartet. In diesem Sinne alle guten Wünsche für das Zentrum und seine Arbeit, zuf?rderst für die Konferenz, die heute beginnt.