?bersetzung antiker Literatur - Funktionen und Konzeptionen seit 1800
Gru?wort zur Er?ffnung der Tagung ??bersetzung der Antike“ am 19. April 2007
Sie ahnen es: Am liebsten h?tte der Ordinarius für ?ltere Kirchengeschichte und Patristik an der Humboldt-Universit?t zu Berlin zur Sache gesprochen, vorzugsweise über Schleiermacher und dessen kluge Akademieabhandlung über ?Methoden des ?bersetzens“ von 1813 (in: H. J. St?rig, Das Problem des ?bersetzens, Darmstadt 1963, 38-70), vielleicht auch über den Kirchenvater Hieronymus und dessen berühmten Brief an Pammachius ??ber die beste Art zu übersetzen“ aus dem Jahre 394 nach Christus. Und mindestens genauso gern h?tte der einstige Heidelberger Ordinarius für Historische Theologie in diesem Saal seinen überaus gesch?tzten einstigen Kollegen Rüdiger Bubner begrü?t, der auf dem Programm noch mit einem Vortrag zur aristotelischen Poetik angekündigt ist und ebenso feinsinnig wie pr?zise über griechische Philosophie zu sprechen wu?te. Und schlie?lich h?tte der einstige Tübinger Assistent am Lehrstuhl Kirchengeschichte II – Herr Kollege Ernst August Schmidt erinnert sich gewi? – gern über einen ursprünglich aus Algerien stammenden jüdischen Intellektuellen gesprochen, der in den Jahren 1987 und 1990 nacheinander die Bible und dann den Qur’an ins Franz?sische übersetzt hat – über André Chouraqui, den früheren Vizebürgermeister von Jerusalem, der 1993 in Tübingen den Leopold-Lucas-Preis erhielt: Der junge Assistent durfte die ins Deutsche übertragene Rede des Preistr?gers in den Computer tippen, da seine Chefin damals wie heute ihre klugen Aufs?tze auf einer Schreibmaschine der unterdessen l?ngst untergegangenen Firma Triumph-Adler schrieb und schreibt.
Statt dessen er?ffnet nun der Pr?sident dieser Humboldt-Universit?t zu Berlin, der dies doch alles war und ist – jetziger Berliner Ordinarius für antikes Christentum und einstiger Heidelberger Professor wie Tübinger Assistent eine Tagung des Sonderforschungsbereiches, seines Sonderforschungsbereiches, in dem er auch zu einem Projekt forscht und dessen kluge 三亿体育·(中国)官方网站 er doch viel zu selten besucht. Um so beglückter tut er es heute.
Und weil er auch als Pr?sident Wissenschaftler zu bleiben gedenkt und hoffentlich auch geblieben ist, der Versuchung nicht widerstehen konnte, nun wenigstens doch kurz über Schleiermacher, Hieronymus und Chouraqui zu handeln und damit die Worte seiner Begrü?ung ein wenig vom Topischen und Melancholischen wegziehen m?chte. Einleitend mu? ich gestehen, da? ich Schleiermachers, am 24. Juni 1813 in der Akademie vorgetragene Abhandlung über die verschiedenen Methoden des ?bersetzens zur Vorbereitung dieses Gru?wortes erstmals gelesen habe, anders selbstverst?ndlich als Hieronymus und Chouraqui, den ich – wie erw?hnt, abtippen mu?te. Schleiermacher mu? man nicht abtippen, er ist im Internet eingescannt und ?ffentlich zug?nglich, wenn auch nicht in der kritischen Ausgabe. Schleiermacher bezaubert schon deswegen, weil er wie gewohnt sensibel sein Thema traktiert: Er fragt eingangs, wie man Rede eines anderen, daher unter Umst?nden auch in ?von anderer Sinnes- und Gemütsart“, übersetzen k?nne, wenn man sich doch ganz ?anderer Worte und Wendungen bedienen“ würde (38), macht darauf aufmerksam, da? wir als ?bersetzende ja auch nicht ein Leben lang derselben Sinnes- und Gemütsart bleiben und daher eigenes Reden bisweilen übersetzen mü?ten, um es uns erst wieder als eigenes Reden anzueignen. Schleiermacher versch?rft diese Auslotungen von scheinbar überwindbarer Differenz mit Bemerkungen zur schlechthinnigen Inkommensurabilit?t von Sprachen: Kein Wort in der einen Sprache entspr?che exakt einem anderen, die Irrationalit?t meines deutschen Ausdrucks findet ihr Spiegelbild in der Irrationalit?t, die meine ?bersetzung nun einmal natürlicherweise auch hat. Und doch argumentiert Schleiermacher gleichzeitig gegen Inkommensurabilit?t, wenn er hofft, da? der ?bersetzende die eigene Sprache mit Elementen aus fremden anreichern werde, darin gar eine Bestimmung der Deutschen jenseits aller konkreten ?bersetzungen und insgesamt zu erkennen glaubt – reichlich fünfzig Jahre zuvor h?tte Schleiermacher solche Thesen in der Preu?ischen Akademie noch Franz?sisch formulieren müssen, 1813 bemerkt er in deutscher Sprache über dieselbe: ?Und damit scheint zusammenzutreffen, da? wegen seiner Achtung für das fremde und seiner vermittelnden Natur unser Volk bestimmt sein mag, alle Sch?tze fremder Wissenschaft und Kunst mit seinen eignen zugleich in seiner Sprache gleichsam zu einem gro?en geschichtlichen Ganzen zu vereinigen, das im Mittelpunkt und Herzen von Europa verwahrt werde, damit nun durch Hülfe unserer Sprache, was die verschiedensten Zeiten sch?nes gebracht haben, jeder so rein und vollkommen genie?en k?nne, als dem Fremdling nur m?glich ist. Dies scheint in der That der wahre geschichtliche Zweck des ?bersetzens im gro?en, wie es bei uns einheimisch ist“ (69).
Natürlich – angesichts des Prozesses europ?ischer Einigung ist eine solche idealistische Theorie der ?bersetzung aus der Zeit um 1800 ungeachtet uns tief eingewurzelter Bedenken gegen den Idealismus h?chst aktuell, vielleicht sogar schon ein Stück Beschreibung europ?ischer Wirklichkeit, auch wenn man sich natürlich fragt, ob beispielsweise die neue Bedeutung des Wortes wie des Konzeptes Employability, Besch?ftigungsf?higkeit, an deutschen Universit?ten und andere Anglizismen im deutschen Bildungssystem wirklich schon sind, was Schleiermacher intendierte. Um die Intentionen des Berliner Theologen vom Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in die Gegenwart zu übertragen, m?chte ich wenigstens kurz den Tübinger Leopold-Lucas-Preistr?ger vom Ende des zwanzigsten heranziehen. Mir scheint genauso wie André Chouraqui die ?bersetzung des Qur’ans bis auf den heutigen Tag eine hervorragende Illustration für den Realit?tsgrad von Schleiermachers Konzeption einer Verschmelzung von Sprachen und Kulturen im Proze? der ?bersetzung ungeachtet aller Inkommensurabilit?t. André Chouraqui wies in seiner Tübinger Rede darauf hin, da? der eigentlich unübersetzbare Qur’an über lange Zeit im Westen nur deswegen übersetzt wurde, um eine Waffe in der Hand zu halten – eine Waffe für die Apologetik, eine Waffe für die Mission. Enchiridion kann bekanntlich ?Handmesser“ hei?en. Und dann galt und gilt gewi? nicht, was Franz Rosenzweig formulierte: ?Jede ?bersetzung ist ein messianischer Versuch, der sich der Erl?sung n?hert“. Nein, meine Damen und Herren, in Wahrheit sind bis auf den heutigen Tag nur sehr wenige ?bersetzungen messianische Versuche, der einen gro?en Erl?sung vergleichbare Akte. Messianisch kann Rosenzweig ohne die Gefahr von Blasphemie ?bersetzungen nennen, weil die jüdische Tradition vom Messias sagt, da? er der ist, ?der die Fernen n?herbringt“ (Ha Mashiach hu ha-meqareb ha-rechoqim). Aber selbstverst?ndlich, wie Chouraqui richtig beobachtet, geht jede ?bersetzung das Risiko ein, den N?chsten in die Ferne zu treiben, anstatt den Fernen n?herzubringen.
Schleiermacher, Rosenzweig, Chouraqui – es gibt eine ganze Linie einer idealistischen ?bersetzungstheorie, die ohne wirklich dichte Traditionszusammenh?nge ?bersetzung als Teil eines gro?en eschatologischen Projektes beschreibt, einer Heilsgeschichte, an deren Ende das messianische Reich der Sprache und Kultur entsteht, in der wie vor dem Turmbau zu Babel ein jeder den anderen versteht – selbstverst?ndlich hat auch Schleiermachers ?gro?es geschichtliches Ganzes’, seine Vereinigung aller ?Sch?tze fremder Wissenschaft und Kunst“ diese eschatologische, diese messianische Konnotation, die der Theologe freilich vor den Consodalen seiner Akademie züchtig verborgen h?lt.
Den Hieronymus erw?hne ich nun zum guten Schlusse, damit Sie, verehrte Damen und Herren, nicht meinen, die Theologen mü?ten schon von Berufs wegen die idealistischen ?bersetzungstheorien mit ihren eschatologischen oder eben messianischen Fundamentierungen vertreten, erneuern, jedenfalls vorzugsweise erl?utern. Nüchtern, überaus nüchtern erl?utert er n?mlich als Praktiker in seinem Brief De arte interpretandi an vielen konkreten Beispiele aus der Bibel Fragen der ?bersetzung. Der Kirchenvater fragt, wie jenseits sturer W?rtlichkeit ?die Feinheit und Sch?nheit des Originals“ bewahrt werden kann und hat, wenn ich recht sehe, als erster das wundersch?ne Bild gepr?gt, wonach ?bersetzung wie das Umschütten von Flüssigkeit in eine neue Kanne ist: Etwas geht immer verloren und im neuen Gef?? schmeckt die alte Flüssigkeit doch ein wenig anders.
So, zwischen konkreter Praxis von ?bersetzung und idealistischer Totaltheorie über das messianische Reich der Kultureinheit, sind – wenn den Patristiker sein Laienurteil nicht trügt –, oszillierten um 1800 die ?bersetzungstheorien. Wenn man, wie ich, vor einigen Jahren drei B?nde des lateinischen Kirchenvaters Ambrosius aus dem Lateinischen ins Deutsche übertragen hat, dann greift man erst einmal dankbar zu den eher praktischen Hinweisen und mustert die Totaltheorien mit einer gewissen Distanz. Wenn man in einigen Jahren Abstand auf seine eigene ?bersetzung und die Zeit, die man dafür verwendet hat, schaut, interessieren dann auch die Totaltheorien. Da ich leider eben nicht nur ehemaliger Tübinger Assistent und jetziger Berliner Ordinarius bin, sondern auch ein Pr?sidentenamt verwalte, bedauere ich sehr, nur Teile des heutigen Abends verfolgen zu k?nnen, wünsche aber der Tagung einen guten Verlauf und freue mich ganz uneigennützig auf den Band, in dem ich die Vortr?ge, die ich vers?ume, nachlesen kann.