Rede des designierten Pr?sidenten Prof. Dr. Christoph Markschies
Vorstellung vor dem Konzil am 25.10.2005
Verehrte Mitglieder des Konzils,
meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Studierende,
die Amtsperiode des Pr?sidenten, den Sie zu w?hlen haben, wird in dem
Jahr enden, in dem die Humboldt-Universit?t ihr zweihundertj?hriges
Jubil?um feiert. Eine ?Agenda 2010“ will ich Ihnen heute morgen ganz
gewi? nicht vorstellen, wohl aber meine Vorstellungen für die kommenden
fünf Jahre, die nicht zuletzt auch im Zeichen der Vorbereitung dieses
Jubil?ums stehen werden. Ich tue dies, indem ich zun?chst drei
grunds?tzlichere Bemerkungen zu meinen Zielen als m?glicher Pr?sident
dieser Universit?t vorausschicke und diese allgemeineren Bemerkungen
dann noch mit einigen konkreten Punkten erg?nze. Dabei werde ich mich
auch auf die zw?lf Punkte des letzten Pr?sidiums vom Dezember des
Jahres 2000 beziehen, um von vornherein deutlich zu machen, da? meine
Vorstellungen an vielen Stellen in Kontinuit?t zur bisherigen Arbeit
stehen, und die engagierte Zusammenarbeit eines Teams mit den
Vizepr?sidenten Baer, Eveslage und Pr?mel voraussetzen.
Zun?chst also drei grunds?tzliche Bemerkungen: Wenn ich die kommenden fünf Jahre im Zeichen der Vorbereitung des Jubil?ums sehe, dann denke ich dabei keineswegs nur an die Vorbereitung von bestimmten Festlichkeiten, Ausstellungen und wissenschaftlichen Publikationen. Ich meine, da? wir uns alle miteinander im Vorfeld des Jahres 2010 erneut darauf besinnen sollten, da? hier in der Mitte Berlins vor zweihundert Jahren unter schwierigsten politischen Rahmenbedingungen – n?mlich der vollst?ndigen Katastrophe eines Staatswesens –die Universit?t praktisch noch einmal neu erfunden wurde, jedenfalls die aus Mittelalter und früher Neuzeit überkommene Institution drastisch ver?ndert wurde. Die Formulierung, da? an die Berliner Universit?t ?die besten K?pfe“ geholt werden müssen, stammt nicht von Jürgen Mlynek, sondern aus der Rektoratsrede, die Hermann von Helmholtz 1877 in diesem (damals freilich geringfügig anders eingerichteten) Raum hielt. Dabei zeigen die Texte der gro?en preu?ischen Bildungsreformer, beispielsweise mit ihren Bemerkungen zur zwar überholten, aber noch nicht ersetzbaren Fakult?tsstruktur, da? es damals nicht um Reformen als Selbstzweck ging, sondern um eine Erneuerung der Universit?t mit Blick auf ihre ureigenen Aufgaben. Was die Aufgaben einer so zielgerichtet reformorientierten Universit?t in der Tradition des Aufbruchs von 1810 sind, hat das Leitbild der Humboldt-Universit?t im Jahre 2002 meiner Ansicht nach gültig beschrieben, indem es die Ideale der Brüder Humboldt, von Boeckh, Fichte und Schleiermacher angesichts gegenw?rtiger Debatten zu reformulieren versucht hat. Mir scheint dieser Text vor allem darin ma?stabsetzend, da? er heute inflation?r verwendete Stichworte wie ?Exzellenz“, ?Leistung“ oder ?Einheit von Forschung und Lehre“ vor dem Hintergrund einer Verantwortung vor der Gesellschaft und der Arbeit an ihrer Humanisierung versteht. Für eine so bestimmte ?Reformuniversit?t im Zeichen der Exzellenz“ würde ich mich als Pr?sident an den verschiedenen Stellen, an denen ich besondere Verantwortung trage, einsetzen: Ich nenne hier erst einmal nur die Berufungsverfahren, die institutionelle wie finanzielle Schaffung von Bedingungen für exzellente Forschung wie Lehre, die F?rderung des Nachwuchses auf allen Ebenen (beispielsweise durch eine Humboldt Research School) und St?rkung der Autonomie der 三亿体育·(中国)官方网站 gegenüber dem Senat samt der Sicherung ihrer finanziellen Basis.
Konkreter auf unsere gegenw?rtige Situation bezogen hei?t das: Wir müssen erstens im Vorfeld des Jubil?ums gemeinsam sehr pr?zise bestimmen, welche Schwerpunkte die Universit?t – unbeschadet ihres Charakters als Volluniversit?t – in den n?chsten Jahren setzen will und wie sie sich folglich 2010 pr?sentieren will. Ein gutes Stück weit ist diese Schwerpunktsetzung durch unsere Beitr?ge zu den drei F?rderlinien des Exzellenzwettbewerbes bereits eingeleitet worden und sollte – wie ein Kollege das formuliert hat – im eleganten, nicht brachialen Wettstreit mit den anderen Berliner Universit?ten weiter profiliert werden. Ich pers?nlich werde mich beispielsweise zusammen mit Herrn Ganten dafür einsetzen, da? wir gemeinsam mit der Charité neben die geistes- und kulturwissenschaftliche S?ule unserer Universit?t in Mitte und ihre naturwissenschaftliche S?ule in Adlershof eine dritte lebenswissenschaftliche S?ule stellen, die auf dem Campus Nord angesiedelt sein sollte. Zwischen der Charité und einzelnen Fachrichtungen wie der Biologie oder der Landwirtschaftlich-g?rtnerischen Fakult?t existieren bereits enge Kooperationen; wenn ich von ?Lebenswissenschaft“ rede, stelle ich mir aber nicht nur eine reine Naturwissenschaft neuen Typs vor, sondern eine die ganze Universit?t verbindende Integrationswissenschaft, die die interdisziplin?re Verknüpfung von Geistes-, Kultur- und Naturwissenschaften beispielhaft realisiert – ich habe in meiner Antrittsvorlesung im Mai diesen Jahres ausgeführt, inwiefern auch die historischen Wissenschaften, die Philosophie oder die Theologie ein Teil einer solchen integrativen Lebenswissenschaft sind. Da? eine solche Integrationswissenschaft auch Folgen für die Lehre der beteiligten F?cher haben sollte und haben wird, versteht sich eigentlich von selbst, wenn Wilhelm von Humboldt nicht nur unsere Briefb?gen pr?gen soll. Das im Exzellenzwettbewerb gerade beantragte ?Harnack-Kolleg für transdiziplin?re Forschung“ ist ein erster Baustein einer solchen neuen, integrativen Lebenswissenschaft. Mir ist durchaus klar, da? die meisten Universit?ten, die in Deutschland von Lebenswissenschaften und auf der übrigen Welt von life sciences reden, ein wesentlich st?rker auf die Naturwissenschaften bezogenes Modell dieser neuen Disziplin vor Augen haben. Aber wir sollten Standards der Kooperation, wie sie beispielsweise das Helmholtz-Zentrum gesetzt hat, nicht unterschreiten und auch an diesem Punkte wieder versuchen, mit einer neuen Disziplin jenseits der ebenso klassischen wie mythischen Spaltung von Natur- und Geisteswissenschaften für viele andere Universit?ten wieder ma?stabsetzend zu werden. Noch einmal anders formuliert: Wir haben neben den Naturwissenschaften auch die Geistes- und Kulturwissenschaften, um eine einzigartige neue Lebenswissenschaft zu realisieren.
Zweitens bedeutet eine Gestaltung der kommenden fünf Jahre im Licht des Jubil?ums, da? wir unsere gemeinsame Identit?t, Humboldtianerinnen und Humboldtianer zu sein, st?rken müssen, uns selbstbewu?ter als Angeh?rige dieser ebenso alten wie jungen Reformuniversit?t fühlen dürfen: Die gro?en Entscheidungen dieser Universit?t – wie beispielsweise ihre künftigen Schwerpunktsetzungen – müssen gemeinsam getroffen werden, sie müssen vor allem durch einen transparenten Kommunikationsproze? zwischen der Hochschulleitung und den universit?ren Gruppen vorbereitet werden. Die Exzellenz der Forschung mu? unmittelbar auf die Exzellenz der Lehre und auf exzellente Lern- und Studienbedingungen durchschlagen, wenn sie nicht einen Teil der Universit?t von eben dieser Institution abkoppeln will, woran niemand gelegen sein kann. In Zeiten eines Exzellenzwettbewerbes mu? auf die einheitliche Schwerpunktsetzung in Forschung und Lehre besonders geachtet werden – umgekehrt ist es aber auch besonders leicht m?glich, Forschung und Lehre wieder enger aneinander zu binden. Die Orientierung aller Gruppen an den gemeinsamen Idealen dieser Universit?t mu? durch gezielte Ma?nahmen gest?rkt werden: Ich nenne hier nur die Einrichtung des Tenure-Tracks für Juniorprofessuren, ein wirklich effektives Weiterbildungsprogramm für unsere Verwaltung, die gemeinsame Nachjustierung der Kriterien für die leistungsbezogene Mittelvergabe oder den Bau einer Mensa am Standort Adlershof. Wir müssen überhaupt auch darauf achten, da? die Lasten des Umzugs nach Adlershof gerecht verteilt werden und die eine Universit?t mit ihren beiden Standorten eng verbunden bleibt. Diese St?rkung der eigenen Identit?t bedeutet freilich keine Abkapselung in den engen Grenzen der eigenen Institution. Ich stelle mir ein Netzwerk der bedeutendsten europ?ischen Wissenschaftsinstitutionen und Universit?ten vor, ein gro?es europ?isches Exzellenzcluster, das selbstbewu?t den gro?en amerikanischen Universit?ten gegenüberzutreten vermag. Schlie?lich k?nnten wir mit einer Reihe prominent besetzter ?Humboldt-Gespr?che zur Zukunft der Wissenschaften“ den so notwendigen Dialog zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft intensivieren, in diesem Hause führen und es so tats?chlich wieder zu einer ?Universit?t des Mittelpunktes“ machen.
Drittens verstehe ich unter einer Arbeit im Zeichen des Jubil?ums, da? wir eine Reihe von spezifischen Problemen dieser Universit?t in den n?chsten fünf Jahren gemeinsam l?sen. Ich habe jedes Wort dieses letzten Satzes mit Bedacht gew?hlt: eine Reihe von Problemen, nicht alle, gemeinsam, nicht durch einen Solisten an der Spitze. Drei Probleme nenne ich, die wir meines Erachtens in jedem Fall auf einer solchen Liste führen sollten: Es ist zum einen kaum ertr?glich, in welchem Zustand sich viele Geb?ude unserer Universit?t in der Stadtmitte der ?ffentlichkeit pr?sentieren. Wir brauchen nach dem Vorbild der Mannheimer Universit?t eine Aktion ?Bürger rettet eure H?rs?le“, um wenigstens das Hauptgeb?ude und einige andere Sorgenkinder jubil?umsfein zu bekommen. Das Hauptgeb?ude k?nnte mit einer wiederhergestellten Abgu?sammlung sowie den bekannten einschl?gigen Drittmittelprojekten als unser aller ?Antikezentrum“ und damit als Pendant zu den entsprechenden Museen drüben auf der Insel fungieren und so neue Kreise für unsere Universit?t begeistern. Ich wünsche mir auch ein ?Schaufenster Wissenschaft“ in Adlershof wie Stadtmitte, ein Schaufenster für die st?dtische ?ffentlichkeit und die Touristen, um im Wechsel interessante Forschung dieser Universit?t pr?sentiert zu bekommen. Es ist zum anderen dringend erforderlich, die Autonomie dieser Universit?t zu st?rken. Sie braucht beispielsweise das alleinige Berufungsrecht; das Jubil?um w?re ein sch?ner Anla? für den Senat, es ihr zu schenken. Schon im Jahre 1808 hielt Schleiermacher für eines der wichtigsten Zeichen der neuen Bildungsinstitution, da? sie ihre Wissenschaft, aber auch ihre Besch?ftigungsverh?ltnisse g?nzlich autonom gestalten k?nne; richtig glücklich waren darüber allerdings schon damals die Politiker nicht. Auch das Geb?udemanagement geh?rt in die H?nde der Humboldt-Universit?t und nicht in die H?nde einer unüberschaubaren Landesgesellschaft. Es ist schlie?lich vollkommen unabdingbar, die finanzielle Ausstattung dieser Universit?t zu verbessern. Warum mu? es eigentlich hier wie überall im Land sein, warum müssen hier wie anderswo auch die Naturwissenschaften aus Drittmitteln ihren normalen Grundstudiumsbetrieb finanzieren? Haben wir nicht schon einmal die Universit?t auch im Blick auf ihre Finanzierung neu erfunden?
Ich schlie?e diese knappe Vorstellung, indem ich stichwortartig noch
einige konkrete Punkte erg?nze, um die ich mich kümmern will – sie
beziehen sich, wie eingangs bemerkt, auf die zw?lf Punkte des letzten
Pr?sidiums, deren Stichworte ich jeweils zu Anfang nenne:
- F?rderung von Spitzenleistung und F?rderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Unsere Universit?t darf sich bei diesen beiden Zielen nicht von den in gewisser Hinsicht auch zuf?lligen Ergebnissen des Exzellenzwettbewerbes abh?ngig machen. Was wir gemeinsam als Schwerpunkte beschlossen haben, was wir gemeinsam f?rdern wollen, müssen wir auch dann realisieren, wenn wir es in einer ersten Trance des Wettbewerbs noch nicht finanzieren k?nnen. Beispielsweise sind die Einführung eines fast track für begabte Studierende oder die Berlin Mathematical School zu kostbare Reformideen, als da? wir einfach von ihnen Abstand nehmen k?nnten oder sollten.
- Schaffung einer wissenschaftliche Innovation inspirierenden Atmosph?re: Wir dürfen nicht darin nachlassen, exzellente Forschung und Lehre administrativ immer besser zu erm?glichen und dadurch zu erleichtern; ich denke beispielsweise an die Unterstützung bei der Einwerbung und Bewirtschaftung europ?ischer Mittel, aber auch an ausl?nderfreundliche Studienbedingungen und weitere Partnerschaften mit Osteuropa.
- Finanzielle Ausstattung der Universit?t sichern und verbessern: Auch wenn die Ausstattung der Universit?t nicht mehr allein von Staat gesichert und erwartet werden kann, beginnt der Kampf um die staatlichen Zuschüsse nicht erst bei den Verhandlungen um den n?chsten Hochschulvertrag, sondern am Tag der Amtsübernahme durch entsprechende Lobbyarbeit und die Gewinnung neuer Freunde der Universit?t. Gleichzeitig mu? das bürgerschaftliche Engagement der Stadt für ihre klassische Universit?t deutlich erh?ht werden, das Jubil?um 2010 bietet nicht nur eine Chance für plakative Werbung. Aber auch inneruniversit?r mu? das Kriterium der leistungsorientierten Mittelvergabe noch deutlicher in weiteren Haushaltstiteln zur Geltung gebracht werden; auch geh?ren unsere inneruniversit?ren Zentren besser alimentiert. Warum sollen übrigens Stiftungsprofessuren weitgehend auf die Naturwissenschaften beschr?nkt bleiben?
- Aufbau eines Evaluationssystems: Ich m?chte mich weit ausführlicher, als ich das in den vergangenen Wochen tun konnte, mit den einzelnen Instituten und Fakult?ten unserer Universit?t besch?ftigen, gemeinsam mit ihnen die jeweiligen Leitbilder fortentwickeln und durch Zielvereinbarungen bei der Sicherung wie Fortentwicklung des Qualit?tsniveaus helfen. Dazu geh?rt, da? ein Pr?sident gerade auch für Studierende, aber auch für alle anderen Gruppen leicht erreichbar sein mu?.
- Chance Adlershof nutzen: Wir müssen noch weitere Anstrengungen unternehmen, den Zusammenhalt zwischen der Charité, dem Campus Mitte und Adlershof auszubauen. Ich habe den Bau der Mensa in Adlershof genannt, ich erinnere an die Verpflichtung universit?rer Gremien, auch in Adlershof Sitzungen zu halten. Mir scheint auch, da? wir gemeinsam mit den Gro?forschungsorganisationen noch weitere au?eruniversit?re Institutionen in Berlin etablieren k?nnen, deren Forschung uns und unserer Lehre zugute kommen k?nnen, jedenfalls mit den vorhandenen noch besser kooperieren k?nnen.
- Sch?rfere Profilierung im Au?enauftritt: Die vor einiger Zeit erfolgte und noch nicht endgültig abgeschlossene Eingliederung der Aufgaben einer Vizepr?sidentin in die Ressorts des verbliebenen Pr?sidiums macht die Aufgabe noch dringlicher, unseren Au?enauftritt zu verbessern (ich erinnere an das Stichwort ?Schaufenster der Wissenschaft“) und in der Stadt, aber auch darüber hinaus um Freunde wie Sponsoren zu werben. Wir haben hier doch genügend von dem, was uns interessant macht.
Wenn wir derartige Schwerpunkte setzen, verehrte Damen und Herren, liebe Studierende, werden wir zwar nicht pünktlich zum Jubil?um im Jahr 2010 die Universit?t schon abschlie?end neu erfunden haben. Aber wir werden sichergestellt haben, da? wir bei unseren Versuchen, dies zu tun, an der Spitze der einschl?gigen europ?ischen Institutionen mitbieten. Darauf k?me es mir an. Vielen Dank für Ihre Geduld.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t