Humboldt-Universit?t zu Berlin

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Zweites Humboldt-Streitgespr?ch zum Thema "Wie sollen wir arbeiten? Die Zukunft der Wissenschaftsgesellschaft"

Gru?wort am 29.04.2010

Dekadenzmodelle machen Spa?, meine sehr verehrten Damen und Herren, mindestens ebenso viel wie die Fortschrittsmodelle. Anders w?re jedenfalls nicht zu erkl?ren, da? gerade bei unserem heutigen Thema "Wie sollen wir arbeiten?" so viele Dekadenz- und Fortschrittserz?hlungen en vogue sind. Wenige Beispiele, formuliert auf der Basis des Ankündigungstextes unseres zweiten Humboldt-Streitgespr?chs. Stichwort: Ausbildungs- und Arbeitsverh?ltnisse von Nachwuchswissenschaftlern. Wir alle erinnern uns noch an die Bundesbildungsministerin, die ihre Reden immer stereotyp mit der Wendung "meine Herren und Damen" begann und uns die Juniorprofessur als messianische Befreiung aus der Sklaverei der Assistentur verkündigte. Da wir uns alle nur zu gut an die Rhetorik des brain and slave up erinnern, erspare ich mir und Ihnen Details. Aber eine kleine historiographische und wissenssoziologische Einordung dieses ministerialen Fortschrittsmodells sollte doch noch sein, damit mein Punkt auch verst?ndlich wird: Da mein Bruder aufgrund des ministeriellen Erl?sungswerks an einer technischen Universit?t als Juniorprofessor besch?ftigt wurde und in einer Art Sklavendienst neben einer praktisch vollen Professur noch eine weitere Qualifikationsarbeit, die nicht einmal Habilitation hei?en durfte, hinzubringen hatte, wirkte jedenfalls in Gespr?chen mit ihm (und vielen vergleichbaren) diese ministerielle Fortschrittsrhetorik reichlich l?cherlich. Nicht, da? Sie mich mi?verstehen, meine Damen und Herren: Juniorprofessuren sind für bestimmte Begabungen und Karriereprofile eine vorzügliche Form eines neuen Ausbildungs- und Arbeitsverh?ltnisses, aber als messianisches Heilswerkzeug zur eschatologischen Sanierung der im obrigkeitlichen System erstarrten deutschen Universit?t taugen sie nicht, oder - um die Metapher weiter zu strapazieren - in meinem h?uslichen Werkzeugkasten finden sich wie im Werkzeugkasten eines jeden guten, für Nachwuchsf?rderung Verantwortlichen mehrere Werkzeuge und nicht nur ein einziger Hammer.

Ein zweites Beispiel aus dem Ankündigungstext unseres zweiten Humboldt-Gespr?chs. Wie ver?ndert sich das wissenschaftliche Arbeiten? Auf diese Frage soll heute auch geantwortet werden. Hier dominieren eher die Dekadenzerz?hlungen. Insbesondere Geisteswissenschaftler polemisieren gern gegen die Clusterei, die Haufenbildung, allzumal in den Exzellenzwettbewerben, brain up, das Stichwort pa?t auch hier, obwohl kluge Modifikationen den ersten ministerialen Entwurf eines Elitewettbewerbs noch ziemlich verbessert haben. Die berühmten Forschungscluster unter den Regenschirmbegriffen "Innen und Au?en in den Literaturen"; "Das Eigene und das Fremde in der Weltgeschichte", sinnlose Gro?projekte, langweilige, zusammenhanglose Tagungsb?nde und ein Heer von Nachwuchswissenschaftlern, die nur "Das Eigene und das Fremde bei Schelling" und die 三亿体育·(中国)官方网站 der Querschnittgruppe B 7 beherrschen. H?hnen ist leicht, obwohl inzwischen nahezu alle an solchen Clustern und Gro?forschungsbereichen beteiligt sind, als Gutachter, Projektleiter, Teilprojektleiter und so weiter und so fort. Und wir lesen ja alle die geistreichen Polemiken gegen die unleugbaren Züge von Geistlosigkeit in der Gro?forschung gern, weil wir alle von Einsamkeit und Freiheit tr?umen, bei Humboldts allzumal. Nun stammt der Begriff "vom Gro?betrieb der Wissenschaft" aber nicht aus der jüngsten Vereinbarung der Bundes- und Landesregierungen zum Exzellenzwettbewerb, steht auch in keinem Programmpapier der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Wissenschaftsrates, sondern wurde von einem Anreger der Notgemeinschaft für die Deutsche Wissenschaft gepr?gt und seinem gro?en Mentor und Freund, einem Althistoriker. Sie wissen l?ngst, von wem ich spreche, von Theodor Mommsen und Adolf von Harnack. Insbesondere Harnack hat die Rede vom Gro?betrieb der Wissenschaft gern im Munde geführt, vor über hundert Jahren bereits und auch im Rahmen solcher akademischen Gro?forschung manches zuwege gebracht, nicht nur die bekannten Gro?projekte an der Preu?ischen Akademie der Wissenschaften, sondern auch am Deutschen Historischen Institut in Rom und an vielen anderen Orten. Natürlich fand das auch früher schon bei?ende, sp?ttische Kritik - beispielsweise bei Nietzsches Freund Franz Overbeck in dessen Harnack-Lexikon, natürlich h?hnte Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff über die philologischen Fallstricke, in denen sich altertumswissenschaftliche Gro?forschung schon damals rasch verfing - aber mindestens ist es mit dem Dekadenzmodell, da? die Gro?forschung in den Geisteswissenschaften ein Zeichen sp?tneuzeitlichen Verfalls derselben sei, ein Zeichen des immer gr??eren Einflusses der Naturwissenschaften, historisch betrachtet nicht weit her; wer es nach wie vor vertritt, mu? zur Strafe einen Stapel von B?nden der barocken Gro?forschungsprojekte meines Faches - Acta Sanctorum, Acta conciliorum und wie das alles hei?t - tragen. Lange habe ich auch gedacht, der zunehmende Einflu? der Industrialisierung sei verantwortlich für die statistisch sicher unleugbare Zunahme solcher Gro?forschung in Deutschland, doch heute Mittag trug unser Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth den spannenden Gedanken vor, es sei eher der Versuch einer Autonomisierung der Wissenschaft gegenüber der Industrie, gegenüber dem Milit?r, jedenfalls in der Kaiserzeit und konnte sich dabei auf Texte Harnacks berufen.

Ich bin sehr dankbar, da? das heutige Podium, das Elisabeth Lack wie auch schon das erste ebenso kundig wie energisch vorbereitet hat, so bunt zusammengesetzt ist, da? es bestimmt die schrecklich langweiligen Dekadenz- und Fortschrittsmodelle traditioneller Provenienz nicht wiederholen wird. Es bietet auch eine Garantie dafür, da? heute weder ausschlie?lich über Techniken und Methoden wissenschaftlichen Arbeitens noch über Besch?ftigungsformen allein geredet wird - auch das w?re langweilig und der besondere Reiz des heutigen Abends besteht hoffentlich darin, beides zu kombinieren und vom einen her auf das andere zu blicken. Das Podium bietet schlie?lich auch die Gew?hr dafür, da? ein paar Fortschrittsgeschichten auch ruhig erz?hlt werden k?nnen, liebe Frau Almendinger: ein reiner M?nnerclub ist das wissenschaftliche Arbeiten nicht mehr, obwohl auch das schon Harnack intendierte und in seinem kirchenhistorischen Seminar umzusetzen begann, ob der Weg von einer Wissenschaftsf?rderungsorganisation in das Wissenschaftsministerium aber eine Dekadenz oder ein Fortschritt ist, lieber Herr Schütte, das werden Sie uns wohl erst nach dem Abschlu? der Diskussion ganz ehrlich beantworten wollen. Und Ulrich Herbert gebührt einfach an dieser Stelle einmal der Dank dafür, da? unter seiner Verantwortung entstandene Texte des Wissenschaftsrates kluge neue Arbeits- und Besch?ftigungsformen inauguriert haben, die sich zum Segen ausgewirkt haben in unserer Forschungslandschaft. Bleibt der Dank an die Mercator-Stiftung, lieber Herr Lorentz - Sie haben nicht einfach Geld gegeben, sondern Ihre reiche F?rdererfahrung, ja überhaupt Ihre Erfahrungen im Umgang mit Wissenschaft, Ihren Arbeits- und Besch?ftigungsformen, stets hilfreich und engagiert in die Planung und Durchführung eingebracht, das ist mehr, weit mehr als man erwarten kann und ein Grund zur Freunde dazu. Ihnen geh?rt nun auch dieses Rednerpult.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t